Kölner ZooWie der Affe Petermann zum kölschen Mythos wurde

Lesezeit 6 Minuten

Köln – Das Leben des Affen Petermann ist ein kölscher Mythos, eine Helden-Geschichte, eine Legende. Sie handelt von einem vermenschlichten Schimpansen, der im Nachkriegs-Köln herumgereicht wird als Werbeträger, Witzfigur und Fernseh-Unterhalter und Jahre später, am 10. Oktober 1985, aus seinem Käfig im Kölner Zoo ausbricht, fast  dessen Direktor umbringt und auf der Flucht erschossen wird. Petermann, der Freiheitskämpfer, der Anarchist, wird es später heißen. Die linksalternative Szene konnte sich immer besonders gut mit Petermann und seinem Schicksal identifizieren.

Riele Freytag empfängt in ihrem Wohnzimmer und serviert Kaffee. Der Blick aus dem Panoramafenster schweift über die grünen Hügel über Kürten-Dürscheid, wo Freytag seit Jahrzehnten in ländlicher Abgeschiedenheit lebt. Als praktische Ärztin hat sie im Ort gearbeitet und eine eigene Praxis gehabt. Weil sie das bergische Platt beherrscht, kam sie mit den Einheimischen immer gut zurecht. Im Eigenverlag hat sie mehrere Bände mit Geschichten aus dem Bergischen Land veröffentlicht. Die Nachfrage sei groß.

Wichtigste Bezugsperson für Petermann

Über ihre Zeit mit dem Affen Petermann hat Riele Freytag, heute 81 Jahre alt, öffentlich weder geschrieben noch gesprochen. Nur ihre Kinder und ihr Mann bekamen das Foto mit  der jungen Riele und dem Affen auf dem Arm zu Gesicht. Riele Freytag verdrängte die Episode lange Zeit. Erst als sie kürzlich ein Buch mit dem Titel „Der Affe zu Köln oder: Petermanns Rache“ geschenkt bekam, „ist die Geschichte wieder hochgekommen“.

Petermann und Freytag

Riele Freytag mit einem Foto, das sie als Ju­gend­li­che mit Petermann zeigt.

Auf Pressefotos war es meistens ihre Mutter, die mit Petermann zu sehen war. Auch in dem Buch wird Riele Freytag, die damals noch Holtermann mit Nachnamen hieß, nicht erwähnt. Dabei war sie es, die sich in erster Linie kümmerte, als Petermann 1950 in den Kölner Zoo kam. Die damals 14-Jährige war die Stieftochter von Werner Zahn, Zoodirektor von 1939 bis 1951, und lebte in der Direktoren-Villa auf dem Tierpark-Gelände. „Petermann hat in der Wohnung ein eigenes Zimmer gehabt, das zur Hälfte aus seinem Käfig mit einem Klettergerüst bestand“, sagt Riele Freytag. Ein Jahr lang war der Teenager Petermanns Ersatz-Mutter und wichtigste Bezugsperson. Wenn Riele aus der Schule kam, gab sie ihm zu essen, hielt ihn auf dem Arm, wenn sie Hausaufgaben machte, ging mit ihm spazieren. Manchmal, verbotenerweise, auch außerhalb des Zoogeländes. Das Tier sei ihr nicht von der Seite gewichen. Das Haus habe zwar übel nach Affe gerochen. „Aber meine Freundinnen beneideten mich“, sagt Freytag, die einmal ihre ganze Klasse zu sich nach Hause einlud und Petermann vorführte.

Beide Schimpansen wurden erschossen

 34 Jahre später ist von dem süßen Äffchen nichts mehr übrig geblieben. Petermann sei ein „Verhaltenskrüppel“ gewesen, sagt der ehemalige Zoo-Direktor Gunther Nogge, der am 10. Oktober 1985 von dem damals 36-jährigen Schimpansen und seiner Gefährtin Susi angegriffen wurde, nachdem ein unerfahrener Tierpfleger die Tür zum Käfig nicht richtig verschlossen hatte. Nogge kam zufällig vorbei, wurde von Susi und Petermann niedergerissen und schwer im Gesicht verletzt. Anschließend ließen sich die Tiere noch von einem Wärter wegführen, doch dann flüchteten sie. Petermann wurde von einem Tierpfleger im Zoo erschossen, Susi außerhalb des Zoogeländes von der Polizei.

Zoodirektor Gunther Nogge liegt nach dem Angriff im Krankenhaus.

Zoodirektor Gunther Nogge liegt nach dem Angriff im Krankenhaus.

Petermann habe in Gesellschaft der Menschen viele affentypische Verhaltensweisen schlicht nicht gelernt, so Nogge: „Ein Schimpanse, der wie Petermann ohne Kontakt zu Artgenossen aufwächst, hat keine Gelegenheit, seine arteigenen Verhaltensweisen zu erlernen.“ So habe sich Petermann etwa für Susi nie interessiert, „weder als Gesellschafterin noch als Sexpartnerin. Sie war ja nur eine Schimpansin.“ Und Petermann habe sich selbst als Menschen verstanden. Doch der Angriff wäre auch ohne dieses Selbstverständnis passiert, sagt Nogge.

Petermann habe in ihm einen ranghöheren Kontrahenten gesehen, den es niederzuringen galt. Am 10. Oktober 1985 habe das Tier unverhofft Gelegenheit erhalten, ihm den Rang streitig zu machen. Eine durchaus „artgerechte Verhaltensweise“, sagt Nogge.  Nicht artgerecht war, wie das Tier in den 1950er Jahren behandelt wurde. Petermann riss Karten im Zoo ab, aß vor Publikum wie ein Mensch, trat im Karneval mit Lederhose und Seppelhut auf, prostete dem Publikum auf einer Silvestergala im Fernsehen zu. 1959 eröffnet der Affe öffentlichkeitswirksam ein Postsparbuch, um für Spenden für ein neues Affenhaus zu werben.

Belustigung der unterhaltungssüchtigen Nachkriegsgesellschaft

Petermann wurde zur Belustigung der unterhaltungssüchtigen Nachkriegsgesellschaft dressiert. Erst als er in die Pubertät kam und deutlich an Kraft gewann, wurde er für solche Eskapaden zu gefährlich. Er kam in den Käfig, wo er gerne mit Kot auf die Zoobesucher geworfen haben soll. Eine Scheibe verdarb ihm den Spaß.

Vermenschlicht worden sei Petermann schon vor seiner Ankunft in Köln, sagt Riele Freytag. Petermann sei mit dem Schiff aus Afrika gekommen, seine Mutter sei während der Fahrt gestorben. Zunächst sei der Schimpanse, damals noch ein Baby, in Holland aufgepäppelt worden – wahrscheinlich von der Frau eines Tierpflegers, die das Schimpansen-Kind sogar mit ins Bett genommen habe. Von Holland sei Petermann nach Köln gebracht worden – in einem weißen Strickjäckchen und ohne Scheu vor Menschen.

Freytag: „Ich konnte ich gar nicht glauben, dass das der Petermann sein sollte“

Ihr Stiefvater sei immer gegen die allzu große Nähe Petermanns zu Menschen gewesen, sagt Freytag. Das führe zu aggressivem Verhalten, habe er gesagt. Aber eine Alternative habe es nicht gegeben. Der Versuch, den erst einjährigen Petermann und den bereits im Zoo lebenden Schimpansen Harri in einen Käfig zu stecken, sei gescheitert. „Sie haben sich nicht vertragen“, sagt Riele Freytag. Wäre Petermann nicht in ihre Familie gekommen und dort umsorgt worden, hätte er vielleicht nicht überlebt.

Petermann sei von ihr weder dressiert noch angezogen worden, sagt die Ärztin im Ruhestand. Das alles sei erst passiert, nachdem ihr Stiefvater 1951 den Posten des Zoodirektors krankheitsbedingt aufgeben musste. Riele Freytag zog fort und vergaß schnell ihre Zeit mit Petermann, dem damals so anhänglichen Affenbaby. Als sie Jahre später von seinem blutigen Übergriff hörte, „konnte ich gar nicht glauben, dass das der Petermann sein sollte“.

„Schrecklich“ nennt Riele Freytag, was mit dem Tier in seinen ersten Jahren angestellt wurde. Ein angezogener Affe prostet Karnevalisten auf dem Elferratstisch zu? „Da hört der Spaß auf.“ Gunther Nogge, heute 75 Jahre alt und im Gesicht noch immer vernarbt, sieht Petermann eher als typisches  Opfer seiner Zeit. Viele Affen seien damals ähnlich vorgeführt worden. Es wäre daher falsch, dem Zoo Vorwürfe zu machen: „Erst seitdem die heute weltberühmte Jane Goodall Anfang der sechziger Jahre als erster Mensch in den Wald ging, um Schimpansen in der Natur zu beobachten, wissen wir, dass sie dort nicht mit Fahrrädchen, Lederhosen und Tiroler Hut und schon gar nicht allein leben, sondern in Familiengruppen.“ Die Einstellung den Tieren gegenüber habe sich gewandelt. Schimpansen würden heute nirgendwo mehr als Einzeltiere oder zu zwei gehalten, sondern in Gruppen wie in der Natur: „Und sie sollen die Menschen nicht zu deren Gaudi  nachäffen, sondern ihre artspezifischen Verhaltensweisen ausleben.“

Doch selbst nach seinem Tod wurden Petermann menschliche Verhaltensweisen angedichtet. Sein Ausbruch  wurde  zum Akt der Anarchie und des Aufbegehrens umgedeutet. Bevor er von einem Tierpfleger erschossen wurde, soll er den linken Arm gen Himmel gereckt haben, so die Legende.  Petermanns letzte Rolle: Revolutionär.

KStA abonnieren