Mein VeedelMit Linus durch Köln-Rath

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Talentproben-Präsentator Linus alias Michael Büttgen in Alltagskleidung an einem seiner Lieblingslokale im Veedel, dem „Rather Hof"

Talentproben-Präsentator Linus alias Michael Büttgen in Alltagskleidung an einem seiner Lieblingslokale im Veedel, dem „Rather Hof"

Rath – Bestimmte Dinge funktionieren einfach nicht, da stellt sich das Hirn quer. Klassisches Beispiel ist die Aufforderung: „Denken Sie nicht an einen lila Elefanten!“ Was passiert? Sofort taucht ein violetter Dickhäuter vor unserem geistigen Auge auf. Anderes Beispiel: Stellen Sie sich Atze Schröder ohne Locken vor. Geht auch nicht. Oder den Talentproben-Präsentator Linus im stinknormalen Outfit. Ohne Rosenanzug, ohne Kuhkostüm, Leopardenlook, Barbie-Dress. Ohne Sonnenbrille mit Glitzersteinen oder Leuchtelementen. Die Kölner und Nicht-Kölner, die seit 21 Jahren die Bühne am Deutzer Tanzbrunnen säumen, werden bestätigen: Linus in Alltagskleidung – unvorstellbar!

Aber es gibt auch diesen Michael Büttgen, wie er eigentlich heißt. Um ihn zivil zu erleben, muss man neuerdings nach Rath-Heumar. Dort wohnt der 52-Jährige seit März dieses Jahres nicht nur, dort verdient er auch sein Geld, sofern er nicht gerade mehr oder minder gesangsbegabte Menschen vorstellt. „Königslust“ heißt das Geschäft in der Rösrather Straße, in dem Büttgen Kunst, Kuriosa und Antiquitäten feilbietet.

Selbst wenn man kein Fan von Gründerzeit-Lüstern oder Wandmasken aus den 1950er Jahren ist, muss man Linus attestieren, dass er eine echte Attraktion auf der Rösrather Straße am Rande vom Königsforst geschaffen hat. Auch nebenan, im „Rather Modetreff“, freut man sich über den neuen Nachbarn. „Ich muss das ja nicht machen“, erklärt der zum Trödler mutierte Entertainer und fügt – um den Gedanken an vorrangig finanzielle Beweggründe gar nicht erst aufkommen zu lassen – direkt hinzu: „Es macht einfach tierisch Spaß. Und zwar deswegen, weil jedes Teil eine echte Geschichte hat.“

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Stolz zeigt er auf zwei Schaufensterpuppenköpfe aus den 1920er Jahren und erläutert, dass die Firma Siegel seinerzeit noch „richtige Charaktere“ hergestellt habe. Sein Mobiltelefon klingelt. Er muss drangehen, weil für die bevorstehenden Veranstaltungen noch einiges abgeklärt werden muss. Am 17. September ist Schützenfest in Rath-Heumar, da wird Linus, ebenso wie der nur wenige 100 Meter entfernt wohnende Bläck-Fööss-Musiker Bömmel Lückerath, wieder in der Formation der „King’s Forest Allstars“ zu erleben sein. Eine Woche später, beim Herbstfest, tritt Linus im Vorprogramm von Schlagersänger Guildo Horn auf.

Während der viel beschäftigte Mann noch am Telefon festgehalten wird, stöbern zwei Kunden im Warenangebot. Vermutlich ist es noch wichtiger, Zeit als Geld mitzubringen, um die mitunter verborgenen Schätze zu heben. Eine englische Teemaschine zum Beispiel, die dank der eingebauten Zeituhr weckt und direkt mit der Teezubereitung beginnt. Alte Kino-Bauchläden, ein mindestens lebensgroßer Plüsch-Esel, den man jedoch nur mieten kann, sowie ein Hochfrequenzstrahl-Apparat, mit dessen Hilfe sich laut zugehörigem Handbuch von 1928 unter anderem Hysterie, Furunkel oder Magenleiden lindern lassen.

Michael Büttgen braucht dieses Gerät definitiv nicht. Er wirkt ausgeglichen, entspannt und hat in all den Jahren seine Figur gehalten, obwohl er „vor zweieinhalb Jahren mit dem Rauchen aufgehört“ hat. Dabei dürfte es in seinem Veedel gar kein Problem sein, mal ein paar Kilos zuzulegen. Die erste schwere Versuchung winkt nur wenige Meter vom „Königslust“ entfernt in Gestalt der Bäckerei und Konditorei Arminius, die laut Angaben von Helen Schrankel, der hinterm Tresen stehenden Schwester des Chefs, „seit circa 125 Jahren besteht“. Während Linus auf das legendäre Buttermilchschwarzbrot schwört, fahren seine beiden Kinder – neun und zwölf Jahre – auf den Rosinenquarkblatz ab.

Ein paar Schritte weiter ist das Reich von Vittorio Perino und seiner gleichnamigen Trattoria und Eisdiele. Der freundliche Italiener lebt seit 42 Jahren in Deutschland und ist bekannt für sein Tiramisu. Weil die Sonne gerade so freundlich um die Ecke schaut, lassen wir uns draußen nieder und machen die Probe aufs Exempel. Dabei erzählt Linus aus seinem Leben.

In der Deutzer Adolphstraße, „nur anderthalb Kilometer vom Tanzbrunnen entfernt“, wurde er von einer Hebamme ans Licht der Welt gezogen. Nach seinem Abitur stellte er fest: „Ich hätt’ eigentlich gar nicht so lange in die Schule gemusst, weil ich eh keine Lust zum Studieren hatte.“ Was machte er stattdessen? Er nahm so ziemlich jeden Job an, den er kriegen konnte. Linus war Herrenfahrer („ja, so nannte man damals noch den Chauffeur“), Blumenverkäufer, Büroarbeiter und Pfennigabsatz-Gießer. Letzteres allerdings nur einen Monat lang, erklärt Büttgen und berichtet von den Arbeitsbedingungen bei circa 40 Grad Raumtemperatur.

Beginn der Musik-Karriere

Neben seinen beruflichen Gehversuchen startete er seine Musik-Karriere. Gewissermaßen zwischen Kinder- und Kirchenchor erfolgte die Gründung der ersten eigenen Band „Helikopter“. Linus lacht und wischt sich die Spuren von Tiramisu vom Mund. „Moviestar“ habe er damals gesungen und sei „wahnsinnig stolz“ gewesen. Es folgte die Gründung der nächsten Band „Snäp“. Trommelnd mit dabei war Fööss-Schlagzeuger Gus Gusovius. Und wie kam Büttgen zu seinem Künstlernamen? „Das war während meiner Sturm- und Drangzeit.“ Damals besuchte er mit einem Freund eine Kirmes, beide tankten bescheiden schmeckenden Sekt, und irgendwie verfielen sie dort auf die Idee, sich Spitznamen zu geben. So sei er zu „Linus“ von den „Peanuts“ gekommen. Ohne Schmusedecke.

Wir laufen die Rösrather Straße weiter und streifen die „Gaststätte B. Burger“, wo Linus gerne hingeht, vor allem am Schnitzeltag, wenn „für 5,90 Euro anderthalb Schweine auf dem Teller landen. Aber richtig gut!“ Sein Frühstück nimmt er ab und zu gerne im Café Schnettler ein, weil er die Atmosphäre dort – mit Platzdeckchen und Tischmülleimern – so herrlich findet.

Kellner-Kollege Till Schweiger

Während wir in Richtung Veranstaltungsplatz weiterziehen, vorbei an Friseur Jaax, erzählt Linus von seiner Zeit als Wirt und dass er die Erlebnisgastronomie zwar nicht erfunden, aber quasi nach Köln gebracht habe. Mal eben 150 Palmen aufzustellen und 7,5 Kubikmeter Sand ankarren zu lassen, um eine echte Beach-Party feiern zu können, und die Kellner gemäß dem „Nikolaus-im-Dschungel“-Motto mit Lendenschurz à la Tarzan auszustatten, daran hatte er Spaß. An den Spaziergängen in den Königsforst, die in seiner Kindheit immer sonntags auf dem Programm standen, hingegen gar nicht.

Wir stehen auf dem Platz, wo am 23. September das Herbstfest stattfinden wird. „Dann sind 2000 Leute hier“, sagt Linus, der unter anderem „Easy“ von Lionel Richie singen wird. Oben auf dem Gerüst des ehemaligen Schulhauses hämmert ein Bauarbeiter an der Fassade. Kennt der den Mann, der sonst gerne in glamourösen Anzügen vor sein Publikum tritt und trotz begehbarem Kleiderschrank allmählich Aufbewahrungsprobleme hat? Der Arbeiter schüttelt den Kopf. „Ich komm’ aber auch aus der Hocheifel.“

Wir passieren „Körperformen“, ein Studio, wo man durch Strom zu Fitness gelangen soll. Was treibt Linus für Sport? „Eurosport“. Er lacht. „Und die Sportschau.“

Während wir an einem kleinen weißen Haus mit verwildertem Garten vorbeikommen, erzählt Linus, er fände Rath-Heumar auch deswegen super, weil es der einzige Kölner Stadtteil ohne Parkuhren sei. „Inzwischen gibt es hier übrigens auch Thai-Massagen.“ Er lacht. Habe er bereits ausprobiert und „hinterher gefragt, ob es das auch ohne Schmerzen gibt?“ Bei seinem zweiten Versuch hat er sich für eine Aroma-Massage entschieden.

Inzwischen stehen wir am Biergarten des Rather Hofs. Linus ist ein Freund von gutbürgerlicher Küche. „Es muss was auf dem Teller sein und schmecken.“ In den Rather Hof gehe er auch deswegen gerne, weil er beim ehemaligen Pächter „Ekki“, dem Gastronom Ekkehard Paul Tratzsch, schon vor 30 Jahren in der Südstadt gekellnert habe. „Übrigens zusammen mit dem Schauspieler Till Schweiger. Der hat daraufhin Karriere gemacht, und ich bin jetzt Trödler.“

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