Flut, Flucht und Maria 2.0Krippe in Kölner Kirche zeigt Aufschrei gegen die Nöte

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In der Szenenmitte stehen zwei voll verschleierte afghanische Frauen, ihrer Persönlichkeit beraubt.

Wahn – Zwei vollverschleierte Frauen mit nichts als einem vergitterten Sehschlitz als Fenster zur Welt – solche Figuren im Zentrum einer Krippendarstellung dürfte es in Köln bisher kaum gegeben haben. Die Wahner Hänneschenkrippe in der Pfarrkirche St. Aegidius macht in diesem Jahr auf vielfältiges Unrecht und menschliche Not aufmerksam, ob in der unmittelbaren Umgebung oder weltweit. Die Burkaträgerinnen stehen dabei für die Frauen Afghanistans, denen das Recht genommen wurde, sich als Individuen zu zeigen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. In der Krippenszene ist ihr Anblick ein deutlicher Aufruf dazu, Unrecht nicht untätig geschehen zu lassen und Unglücklichen zu helfen.

Szenerien lösen ein Film im Kopf aus

Statt von Frieden auf Erden künden die Figuren in der 50 Jahre alten, heimeligen Krippenkulisse von großer Not. Krippenbauer Ulrich Hüwel, der schon 29 Mal den historischen Figuren aus dem Hänneschen-Theater eine jeweils spezielle Weihnachtsbotschaft mitgegeben hat, thematisiert in der aktuellen Darstellung viel Schlimmes aus dem vergangenen Jahr und hat seine Vorstellungen wie immer mit Pfarrer Johannes Mahlberg abgesprochen. „Mir war schon im Herbst klar, was die Krippe zeigen sollte“, sagt der Mann, der mit Kreativität, handwerklicher Begabung, Improvisationsgeist und großem zeitlichen Aufwand alle Jahre wieder unvergessliche Szenen schafft.

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Ulrich Hüwel engagiert sich als Krippenbauer und hat die Gehhilfe des beinamputierten Kranken aus einem Puppen-Buggy gebastelt. 

Seine stillen Bilder lösen im Kopf des Betrachters quasi einen Film aus. Sie ermahnen dazu, genauer hinzuschauen, nicht in Weihnachtsseligkeit zu dümpeln, sondern das Christsein als Handlungsauftrag zu begreifen.

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Bestemo und Besteva  stehen vor den rümmern ihres Hauses – Sinnbild der Flutkatastrophe.   

Handlungsfelder bietet diese Krippe in reichem Maß. Da sind die Hänneschen-Figuren der Bestemo und des Bestevas, die fassungslos vor den Trümmern ihres Zuhauses stehen – ein Hinweis auf die Flutkatastrophe untern anderem an der Ahr. Da ist der Obdachlose, der keinen Bezugsmenschen mehr hat und dessen einziger Freund der Alkohol geworden ist. Es gibt Flüchtlinge, die unbeachtet und unter menschenunwürdigen Bedingungen zwischen Todesangst und Hoffnung vegetieren.

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Aufmerksamkeit fordert vergeblich das Bärbelchen, das sich in der Maria 2.0-Bewegung für eine zeitgemäße Kirche engagiert und von einem Kirchenoberen in Kardinalsrobe mit Missachtung gestraft wird. „Nicht zufällig ist es die Figur des Schäl, der den Kirchenfürsten darstellt“, sagt Ulrich Hüwel, Ingenieur für Industrie-Ofenbau im Ruhestand.

Kaum beachtet ist seinen Worten nach auch eine weitere, große Gruppe von Menschen: die Kranken, die an den Rand des gesellschaftlichen Bewusstseins gedrängt sind, gerade in Corona- Zeiten. Für sie steht in der Szene ein beinamputierter Patient, der sich mit dem Tropf am Wägelchen einmal kurz vor die Tür gewagt hat. Das Wägelchen hat der Krippenbauer übrigens aus einem ausgedienten Puppen-Buggy gebastelt, der einst seinen Töchtern gehört hat. Von Kindern, Enkeln und aus dem heimischen Bastelkeller stammen viele der Kleider und Requisiten für die Krippe, denn die Hänneschen- Figuren sind hier selten in ihren vertrauten Originalkostümen zu sehen. Die Burkas für dieses Jahr hat, wie so vieles, Hüwels Ehefrau Gisela geschneidert.

Krippe sorgt für Diskussionen 

Der Wirt allerdings, Mählwurms Pitter, trägt seine Köbes- Montur, während er ein letztes Mal seine Kneipe abschließt. Pandemiebedingt musste sein Wirtshaus für immer schließen- da geht es dem Knollendorf-Kneipier in der Krippe nicht besser als zahlreichen Angehörigen des Gastgewerbes im wirklichen Leben.

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Der Wirt musste seine Kneipe schließen und hat coronabedingt seine Existenz verloren.

Und das Christkind? Das liegt in Lumpen allein auf dem Boden und schaut den Betrachtern entgegen. „Das sorgte bei den Besuchern der Krippe oft für Diskussionen“, erfuhr Krippenbauer Hüwel von den ehrenamtlichen Helfern, die in der Weihnachtszeit die Kirchenöffnung samt Krippenbesuch ermöglichen. Schaut das Christkind weg von all dem Elend? Oder verlangt es von den Besuchern Hilfe? Darüber kann jeder Gast nachdenken und eigene Optionen im Kampf gegen vielerlei Not prüfen. Auch Spenden für die Krippe selbst sind willkommen. Ulrich Hüwel will zu den Knollendorfer Figuren, die er jährlich neu in Szene setzt, nämlich gern weitere Originalpuppen erwerben. „Es gibt zu wenig Kinder“, befindet er und wünscht sich Zuwachs. „Dat Rös un dat Köbes’che“ aus der Hänneschen-Famillich könnten mit ihrem speziellen Charme die Krippenbilder noch bereichern.

Die Krippe in St. Aegidius, Frankfurter Straße 175, ist noch einige Tage zu sehen, unter anderem vor und nach den Gottesdiensten (Freitag, 14. Januar, 18.30 Uhr, Sonntag, 16,. Januar, 11 bis 13 Uhr, Montag, 17. Januar, 12 Uhr).

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