Köln – 0.43 Uhr: Elke Baytaroglu, 44, Freiberuflerin - Schicht: 22 bis 5 Uhr.
Elke Baytaroglu liebt es, nachts zu arbeiten. Die Menschen, das Gewusel – „das ist Action! Man fährt immer ein Stück mit.“ Mit nach Izmir und Antalya, in die Sonne, in die Ferne. Denn nachts, wenn in der Stadt alles schläft, herrscht Hochbetrieb im Terminal 2 des Flughafens Köln/Bonn, Hochbetrieb für Elke Baytaroglu. Zwischen Check-in, Coffee-to-go und Sicherheitskontrolle versucht sie, ein paar goldene Kärtchen an die Leute zu bringen. Jede Nacht. Der Stand der Kreditkartenfirma steht inmitten der Abflughalle. Es ist voll um kurz vor eins, sehr voll. „Gerade geht's noch“, sagt Baytaroglu. „Doch gleich, wenn die Mallorca-Flieger kommen und die Fuerteventura-Urlauber – dann geht’s richtig ab.“ Sie findet das hinreißend. Um 4.10 Uhr ist Abflug. Ab halb zwei könne es dann schon mal so voll werden, dass die ganze Halle ausgefüllt ist. Action.
1.06 Uhr: Eleni Emalia Makri, Putzfrau - Schicht: 22 bis 6 Uhr
Terminal 1 schläft. Viel stiller ist es in dem zweiten Flügel des Flughafens. Bis auf das Fahrzeug von Eleni Emalia Makri. Das tost so laut wie eine Laubmaschine. Die Griechin sieht müde aus, trotzdem lacht sie viel, wirft den Kopf in den Nacken. „Schwierig“, sagt sie, „nachts zu arbeiten“. Ihr Deutsch ist etwas verbesserungswürdig. Vor 20 Jahren ist sie aus Korfu nach Deutschland gekommen. Seit 20 Jahren fährt sie das orangefarbene Elektrofahrzeug. Ihr Job: „Müll leeren, Boden wischen, staubsaugen“. Von zehn bis sechs. Schon einige Wochen am Stück macht sie derzeit Nachtarbeit. Weil viele Kollegen im Urlaub sind. Aber sie beschwert sich nicht. Sagt nur noch mal: „Ist schwierig“, aber es geht. „Ich komme morgens um sechs nach Hause und bereite meine Kleine auf die Schule vor. Dann kann ich schlafen, bis zwei Uhr.“ Nächte hätten auch etwas Gutes, nur dann kann sie auf der Maschine fahren. Tagsüber sei zu viel los. Sie dreht den Zündschlüssel, der Motor geht an. Eleni Emilia Makri düst los, auf ihrem Gefährt, rein in die Stille von Terminal 1.
1.52 Uhr: Klaus Schwarzenberger, 47, Terminal-Service - Schicht: 22.30 bis 6.30 Uhr
„Moiiiiin“, sagt Klaus Schwarzenberger. „Wir schlafen eigentlich schon“, scherzt er. Zusammen mit Nicole Bakte sitzt er in einem großen, hellgrauen Kubus in Form eines Aluminium-Koffers. Mitten in der Ankunftshalle. Klaus Schwarzenberger findet seine Arbeit wunderbar, sein Privatleben sei darauf ausgerichtet, sagt er. Es gebe im Terminal-Service drei Nachtstellen: „Zwei auf Teilzeit und eine Vollzeit – und das bin ich.“ Seit 14 Jahren macht er das, er ist das gewöhnt. Von der Flugabfertigung, wo er vorher arbeitete. „Schon damals immer nachts.“ Im Informationskoffer sei die Arbeit angenehm, im Sommer ist viel los, ganz toll sei das. „Wenn ich hier um elf anfange, stehen hier hundert Menschen, da ist der Bär los, dann kommen die ganzen Flieger an.“ Klar sei man dann neidisch auf die braun gebrannten Ankömmlinge. „Aber es ist auch schön, die Freude der Menschen beim Wiedersehen.“
2.28 Uhr: Vanessa Thiele, 21, und Raphael Szlafka, 23, Sanitäter - Schicht: 18 bis 6 Uhr
Zack, zack, zack muss es gehen bei Vanessa Thiele und Raphael Szlafka, sie sind im Stress. Die beiden schippern zwei zusammengeklappte Rollstühle durch die Zwischenebene des Flughafens. Sie sind auf dem Weg in die Station.
Szlafka: Ich war hier mal Zivi, jetzt mache ich das hier neben dem Studium. Wir haben immer zwölf Stunden Schicht, entweder Tag oder Nacht, von sechs bis sechs. Aber lieber nachts als tagsüber, finde ich.
Thiele: Ich mache mein FSJ hier beim Roten Kreuz. Wir schieben praktisch Rollstühle. Vorwiegend Rentner. Aber es gibt auch viele Menschen mit Behinderung oder Kinder. Heute ist richtig viel los. Wir waren seit dreieinhalb Stunden nicht mehr auf Station …
Szlafka: … sprich: kurz hinsetzen, etwas trinken. Wir können nicht richtig planen. Normalweise sollen die Leute drei bis vier Tage vorher Bescheid sagen, aber die machen das meistens erst, wenn sie einchecken, dann sagen sie, jo, wir brauchen jetzt einen Rollstuhl. Wenn das viele zur gleichen Zeit machen, kann das schon problematisch werden. Wir waren jetzt gerade zu zweit unterwegs und hatten drei Rollstuhlfahrer. Man muss sich irgendwie arrangieren.
thiele: Auf der Erste-Hilfe-Station, hinter der Autovermietung links rein, sitzt einer, der der koordiniert alles. Gibt uns unsere Einsätze. Nachts arbeiten ist cool. Am Flughafen ist es wie eine Familie, und nachts ist das intensiver. Weil so viel passiert, im Sommer. So. Und jetzt müssen wir los.
2.53 Uhr: der Lange, 53, Flaschensammler - Schicht: 22 bis 5 Uhr
Die Mallorca-Urlauber sind da im Terminal 2. Die Halle surrt. Gut für den Mann, der unter seinen Kollegen nur „der Lange“ heißt und mit seinem Gepäckwagen vor dem Kreditkartenstand vorbeirollt. Schnurstracks auf seinen Platz zu, neben den drei Mülleimern. Er hält an, sieht ein paar leere Flaschen vor dem Restmüll-Container, sammelt sie ein und wirft sie in eine der beiden großen Plastiktüten. Der Mann arbeitet nicht, „das ist mein Hobby“, sagt er. Er ist Frührentner und verbringt seine Sommernächte am Flughafen, um sich ein paar Euro dazuzuverdienen, die Rente reicht nicht, die Eltern möchte er nicht fragen. „Wenn es gut läuft in der Ferienzeit, mache ich in der Nacht 25 bis 30 Euro.“ Vom Flughafen werden die Flaschensammler geduldet, sonst wäre das Mülldiebstahl.
Sechs Kollegen seien in dieser Nacht unterwegs. „Da hinten sitzt einer, der ist ein bisschen älter als ich, 57, der ist taubstumm.“ Er zeigt auf einen älteren Herren vor den Tonnen gegenüber. „Dann haben wir einen Türken hier, der kurvt bestimmt draußen rum.“ Dann gebe es den Rainer, der sei arbeitslos. Und „der Spitzbart“, ein Kroate.
Jetzt kämen die Deutschen, sein liebstes Publikum. „Die nach Palma und Ibiza fahren, die trinken und schmeißen alles hier rein.“ In den nächsten zwei Stunden rechnet er damit, noch zweimal so viel zu sammeln. Dann füllt er alles in zwei blaue Säcke und fährt mit dem Fahrrad nach Hause. Eine japanische Dame nähert sich, sie ist verwirrt, als sie den Langen sieht mit seinem Gepäckwagen und den leeren Flaschen. Aber der Mülleimer quillt über. Sie guckt ihn fragend an, wirft die Flasche zaghaft auf den Wagen. „Danke, schönen Urlaub“, ruft der Lange.
4.00 Uhr Dogan Kopal, 53, Taxifahrer - Schicht: 18 bis 6 Uhr.
Seit vier Stunden steht Dogan Kopal vor dem Terminalgebäude. Vier Stunden, kein Kunde. „Nichts los hier.“ Er ist frustriert. Kopal ist in Deutschland im politischen Exil, kommt ursprünglich aus Anatolien, hat Theater- und Filmwissenschaften studiert, ein Intellektueller. Fuß fassen konnte er damit in Deutschland nicht.
Seit ein paar Jahren ist er Taxifahrer: „Anstrengend ist es nicht, nur gibt es wenig Arbeit. Es kommen sehr, sehr viele Leute. Aber die meisten sind Ausländer – das ist jetzt kein Rassismus, ich bin ja selbst Ausländer – die geben lieber ihre Unterhose her, aber ein Taxi? Nein. Italiener, Griechen, Türken. Geiz ohne Ende. Ich komme aus der Türkei. Ich liebe alle drei Länder, aber sie geben kein Geld aus.“
Jeden Abend um 18 Uhr beginnt Kopal seine Nachtschicht. Kommt er morgens nach Hause, braucht er ein paar Stunden, um zu schlafen, ab sieben, acht Uhr bis drei Uhr. „Es ist immer das Gleiche. Eine sehr ekelhafte Arbeit. Bevor ich angefangen habe, liebte ich alle Menschen dieser Erde. Jetzt hasse ich. Nur meine beiden Kinder nicht. Man kriegt vom Taxifahren richtigen Hass. Taxifahrer sind intelligente Menschen, aber sie werden mit der Zeit unverschämt und frustriert. Weil die Achtung vor Menschen verloren gegangen ist. Man fühlt sich so nichtsnutzig, wenn man hier steht. Obwohl das ja gar nicht so ist. Aber man hat es ja nicht in der Hand.“
Die Taxi-Schlange, in der Kopal steht, bewegt sich. Er zwinkert, steigt ein, und bewegt sich vor. Wenigstens ein paar Meter.