Barbara Schock-Werner bringt es „Auf den Punkt“„Am Domparkhaus wird das antike Erbe Kölns mit Füßen getreten“

Lesezeit 4 Minuten
Die Konstruktion der Römermauer ist auf Ebene 1 im Parkhaus bestens erkennbar.

Die Konstruktion der Römermauer ist auf Ebene 1 im Parkhaus bestens erkennbar.

Köln – Uns Kölnern, sage ich gern, uns Kölnern liegt die Geschichte zu Füßen. Zweitausend Jahre Vergangenheit, nur wenige Meter unter unseren Straßen und Häusern. Aber es gibt auch Stellen in der Stadt, da denke ich jedes Mal: Wie gehen wir nur mit diesem großartigen archäologischen Erbe um? Wir treten es mit Füßen!

Jeder Hinweis auf die Römermauer fehlt

Das haarsträubendste Beispiel befindet sich ausgerechnet an einem der markantesten und belebtesten Orte Kölns, zwischen Hauptbahnhof und Dom. Als Autofahrer kennen Sie vielleicht den Eingang zum Domparkhaus gegenüber vom „Kölntourismus“-Laden. Die Türe ist leicht zu übersehen, weil an dem Gitter davor immer ein Haufen Fahrräder angekettet ist. Was aber völlig fehlt, ist irgendeine Art von Hinweis darauf, dass direkt hinter dem Eingang einer der eindrucksvollsten Reste der antiken römischen Stadtmauer zu sehen ist, zusammen mit dem Unterbau des einzigen Stadttors in Richtung Norden.

Einen Bogen davon haben Sie garantiert schon mal gesehen. Die Rekonstruktion des kleinen Bogens steht auf dem Platz links vor der Domfassade, der große Bogen ist im Römisch-Germanischen Museum wiedererrichtet worden. Aber ungleich spektakulärer sind die monumentalen, im Ursprungszustand erhaltenen Mauerabschnitte aus dem späten 1. Jahrhundert im Domparkhaus. Nur sagt einem das ärgerlicherweise keiner. Selbst Kölner gehen ahnungs- und achtlos daran vorbei. Und wer hier bloß schnell sein Auto abstellt, kriegt es ohnehin nicht mit. Deswegen dachte ich, bevor die Stadt hoffentlich bald etwas zur Information der Einheimischen und der Touristen unternimmt, führe ich Sie heute schon mal in meiner Kolumne hin.

Alles zum Thema Barbara Schock-Werner

Im Draufblick von oben, auf der ersten Ebene des Parkhauses, erkennen Sie besser als an jeder anderen Stelle in Köln die Bauweise der alten Römer: Die 2,40 starke Mauer besteht aus einer Füllschicht im „Opus Caementium“, dem römischen Zement. Außen wie innen ist sie mit Grauwacke-Quadern verkleidet, stufig abgesetzt und zur Feldseite hin – da, wo heute der Hauptbahnhof ist – mit einem Schrägsockel versehen. Wo das einst drei Meter tief im Boden versenkte Fundament der auf fast acht Meter Höhe geplanten Mauer begann, das sehen Sie an der gröberen Verarbeitung der ansonsten absolut akkurat gemauerten Außenschicht. Dafür steigen Sie am besten die Treppe hinunter auf Ebene 2 des Parkhauses.

Vor der Mauer befand sich ein gut zehn Meter breiter, drei bis vier Meter tiefer Graben. Haben Sie sich schon mal gewundert, warum die Straßenführung zwischen Bahnhofsvorplatz und Dom so weit unten verläuft? Von jetzt an wissen Sie es: Die heutige Trankgasse folgt dem antiken römischen Stadtgraben. Allerdings ist der Unterschied im Geländeniveau, der den Stadtplanern bis heute zu schaffen macht, erst durch den Bau der Domplatte richtig dramatisch geworden. Auf alten Ansichten ist zu sehen, dass er früher nicht gar so stark ausfiel.

Lesen Sie mehr auf der nächsten Seite.

Wenn Sie ein Stück an der Mauer entlanggehen, stoßen Sie auf einen quadratisch gemauerten Anbau aus dem Mittelalter: den „Anno-Stollen“. Dieser 5,50 Meter hohe Schacht soll im Haus eines Domherrn senkrecht nach unten in einen Gang gemündet sein, der unter der Stadtmauer hindurch ins Freie führte. Wie die Annalen des Abtes Lampert von Hersfeld (ca. 1028 bis ca. 1085) berichten, war dies der Fluchtweg, den der heilige Erzbischof Anno II. (1010 bis 1075) im Jahr 1074 nutzte, um sich vor den aufständischen Bürgern seiner Bischofsstadt in Sicherheit zu bringen.

Schon damals hatte die kirchliche Obrigkeit ihre liebe Not mit den Kölner Quergeistern. Diese aber hatten es ihrerseits – im Gegensatz zu heute und gerade in Annos Fall – nicht nur mit einem frommen Oberhirten, sondern auch mit einem Machthaber von solcher Brutalität zu tun, dass wir beides eigentlich kaum mehr zusammenbringen.

Diese Kolumne ist Teil einer Serie, in der Dombaumeisterin a. D. Barbara Schock-Werner und Chefkorrespondent Joachim Frank jeden Monat markante Orte Kölns aufsuchen – verborgene Perlen und auch Schandflecke. „Auf den Punkt“ ist mit dem Deutschen Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung prämiert. Im DuMont Buchverlag sind die gesammelten Kolumnen, ergänzt um Originaltexte, in zweiter, durchgesehener Auflage erschienen.

Barbara Schock-Werner mit Joachim Frank: Köln auf den Punkt. 176 Seiten, 96 Fotos von Csaba Peter Rakoczy, 14,99 Euro.

Erhältlich auch als E-Book und im KStA-Shop: Servicecenter Breite Str. 72 (DuMont-Carré),

Tel. 0221/56799303. www.ksta.de/shop

Von Ebene 1 aus können Sie einen Blick ins Innere des Anno-Stollens werfen. Bei meinem letzten Besuch allerdings ging das nicht, weil irgendjemand Stücke vergammelter Pappe auf das Schutzgitter gelegt hatte samt einem Putzlumpen. Köln, sage ich nur. Mein Gott, Köln!

Wenn die geplante Via Culturalis vollendet sein wird, dann könnte sie sehr gut hier beginnen, an der Nordmauer des antiken Köln. „Mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit“, hieß ein populärer Archäologie-Führer von Rudolf Pörtner aus meiner Jugendzeit. Wie Sie sehen, kann auch die Einfahrt in eine Tiefgarage genügen. Und dieses skurrile Nebeneinander von Parkhaus-Tristesse und glanzvoller Historie ist eben auch – typisch Köln.

KStA abonnieren