Köln – Irgendwo muss der Horizont sein. Verborgen in der Wolkenmasse, die über den Landebahnen und den Terminals hängt, wie eine Glasglocke über einer Käseplatte.
„Da.“ Jan Gattermanns Finger deutet hinaus aus der Fensterfront des Towers, dorthin, wo das ungeübte Auge gar nichts sieht, nur die dichten wabernden Wolken. Dann, nach ein paar Sekunden, ein schwaches Licht. Und plötzlich taucht die Maschine wie aus dem Nichts aus der Wolkenwand auf. Die Nase leicht nach oben gereckt, sinkt sie tiefer und setzt sanft auf der Landebahn auf. Elegant und lautlos, der Lärm der Triebwerke dringt nicht bis herauf.
Das Knacken des Funkgerätes stört den feierlichen Moment. Der Pilot meldet sich beim Tower. Gattermanns Kollegin begrüßt das Pilotenteam am Köln-Bonner Flughafen und weist ihm den Weg, auf dem es die Landebahn verlassen soll. Als Towerlotsin ist sie verantwortlich für die aktiven Start-und-Lande-Bahnen.
Ein junges Team
An ihrem Arbeitsplatz reiht sich unterhalb der Rundumverglasung Monitor an Monitor: Radar, Wetterüberwachung, Tabellen, die die landenden und startenden Maschinen ankündigen. Ein bisschen sieht es hier aus wie am Set eines 70-Jahre-Science-Fiction-Films – wären da nicht die bunten Kaffeetassen auf dem Tisch beim Treppenaufgang, daneben ein halbleeres Nutella-Glas, Besteck, Mineralwasserflaschen. Und trügen die Lotsen nicht Jeans und Kapuzenpulli, als wären sie direkt vom Uni-Hörsaal in den Tower spaziert. Keiner von ihnen ist viel älter als 30. Fast irritierend entspannt ist die Atmosphäre hier oben. Man könnte beinahe vergessen, dass diese jungen Leute die Verantwortung für mehrere Hundert Menschen gleichzeitig tragen – in der Luft und auf dem Rollfeld.
Der Luftraum über Deutschland ist in verschiedene Sektoren eingeteilt. Während die Tower-Lotsen für die Umgebung der jeweiligen Flughäfen zuständig sind, kontrollieren die sogenannten Center-Lotsen den übrigen Flugverkehr in einem der vier Center, in Bremen, München, Karlsruhe und in Langen bei Frankfurt. Hat ein in Köln gestarteter Großjet eine Höhe von etwa 2.000 Fuß (rund 600 Meter) erreicht, verlässt er die Towerfrequenz und meldet sich bei den Center-Lotsen an, die die Maschine dann von Sektor zu Sektor kontrollieren und weiterleiten. Fast permanent bekommen die Piloten dabei über Funk Anweisungen; bei Bedarf müssen sie die Höhe oder den Kurs anpassen, bis es am Zielort wieder an die Landung geht: Im Anflugbereich überwacht der Fluglotse den Sinkflug und achtet auf Geschwindigkeit und Sicherheitsabstände.
Im Ernstfall die Regie übernehmen und ein in Not geratenes Flugzeug per Ferndiagnose zu Boden leiten, wie es in Spielfilmen gerne gezeigt wird – das kann man aus dem Tower heraus aber nicht. Wenn ein Pilot ein Problem meldet, soll sich die Crew im Tower in ihn hineinversetzen können. Deshalb lernen Fluglotsen während ihrer Ausbildung bei der Deutschen Flugsicherung (DFS) auch die Cockpit-Funktionen kennen. „Was in seinem Flugzeug geschieht, liegt aber letztlich in der Verantwortung des Piloten“, sagt Gattermann.
Lesen Sie auf der nächsten Seite mehr zu den Aufgaben eines Fluglotsen im Ernstfall.
Medizinische Zwischenfälle sind Standard
Alle paar Tage meldet ein Pilot dem Tower etwa, dass ein Passagier einen Herzinfarkt hat. In diesem Fall gilt es, den Luftraum frei zu räumen, damit das Flugzeug mit dem Patienten möglichst schnell landen kann. Für Gattermann ist das Routine. Schwieriger wird es, wenn sich Donner, Blitz und Sturm über dem Flughafen zusammenballen. „Kein Pilot fliegt freiwillig durch ein Gewitter.“
Selbstständig den Kurs ändern darf der Pilot aber nicht, er muss auf die Anweisungen aus dem Tower warten. Die Fluglotsen wiederum müssen sich darauf einstellen, dass plötzlich nur noch zwei Drittel des Luftraumes zur Verfügung stehen. Und natürlich kann sich die Position der Schlechtwetterfront ständig verändern. Der Lotse, der für die Startfreigabe zuständig ist, kann bestimmen, dass die Maschinen am Boden bleiben. Was aber in der Luft ist, ist eben in der Luft. Gattermann sieht das Problem pragmatisch: „Dafür habe ich in der Höhe Platz: Ich kann stapeln.“
Und wenn Schlimmeres passiert? Hat er gelernt, wie er sich als Lotse im Falle eines Terroranschlages oder einer Flugzeugentführungen verhalten soll? „Ja.“ Mehr sagt Gattermann dazu nicht. Sicherheitsgründe.
In Extremsituationen ist das Team im Tower im Zweifelsfall trotzdem machtlos. „Wir können nicht direkt ins Cockpit eingreifen.“ Bei ungewöhnlichen Flugbewegungen ist daher der erste Schritt, den Piloten anzusprechen. Wie reagiert er? Hat er ein Problem? Kommt keine Antwort, kann der Lotse im Notfall die Luftverteidigung alarmieren. Die wiederum könnte Abfangjäger schicken, die Sichtkontakt zu der Maschine herstellen. Wenn die Zeit dafür reicht.
„Meine Nachbarn hielten mich für arbeitslos“
Während Piloten, Flugbegleiter, Techniker und Sicherheitspersonal auch für die Passagiere allgegenwärtig sind, bleiben Fluglotsen im Verborgenen. Je besser sie arbeiten, desto weniger nimmt man sie wahr. Gattermann mag das, das Unsichtbare, Geheimnisvolle seines Berufes. Das kann auch mal zu Missverständnissen führen. „Meine Nachbarn dachten lange Zeit, ich sei arbeitslos“, sagt Gattermann. „Weil ich immer zu unterschiedlichen Zeiten zu Hause bin.“
Schichtdienst ist für Fluglotsen normal, zumal wenn es, wie in Köln, kein Nachtflugverbot gibt. Im Gegenteil: Wenn es dunkel wird, herrscht auf dem Rollfeld besondere Betriebsamkeit. Der Flughafen Köln/Bonn ist das Europa-Drehkreuz des Logistikunternehmens UPS, die ganze Nacht über starten und landen hier Frachtflugzeuge.
Doch auch, wenn hier alle so tiefenentspannt wirken, die Dauerkonzentration strengt an. Pro Tag gibt es in Köln bis zu 470 Starts und Landungen, 10.000 Flugbewegungen sind es in ganz Deutschland. An manchen Tagen sind 550 Flugzeuge gleichzeitig in der Luft. Nach drei Stunden voller Konzentration müssen die Kölner Lotsen eine halbstündige Pause machen, das ist Vorschrift. Wenn die Aufmerksamkeit nachlässt, steigt das Risiko, Fehler zu machen.
Köln ist Jan Gattermanns Wunscharbeitsplatz. Er mag die Abwechslung: „Hier startet alles, vom kleinen Sportflugzeug bis zum Starfighter. Ich kann alles anwenden, was ich gelernt habe.“
Nach neun Jahren bei der DFS hat der Platz im Tower immer noch etwas Magisches für ihn. Eine Karriere als Pilot hat er nie angestrebt. „Das wäre nicht meins.“ Zu den Pilotenteams vor Ort hält er engen Kontakt, als Supervisor sitzt er nicht mehr nur im Tower, sondern ist Schnittstelle zu den Firmen und Fluglinien.
Bei aller Begeisterung: Wenn Gattermann seine Schicht im Tower beendet hat, lässt er die Arbeit wirklich hinter sich. „Ich will nach dem Job nicht auch noch ständig vom Fliegen reden.“ Seine Freizeit, sagt er, drehe sich um andere Dinge.
Mit Ausnahmen. Neulich war er mit einem Freund in Los Angeles. Die beiden haben sich die Stadt angesehen und sind an den Strand gegangen. Einen Nachmittag aber haben sie am Flughafen verbracht. Haben in der Sonne gesessen und den Maschinen bei Start und Landung zugesehen. Einfach so. Zum Spaß.