Ukraine-Experte André Härtel„Wir bezahlen gerade Putins nächsten Krieg"

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Militärtransport im Osten der Ukraine.

  • Osteuropa-Experte André Härtel spricht im Interview über die europäische Verantwortung im Ukraine-Krieg.
  • Seiner Meinung nach richtet sich der Krieg nicht nur gegen die Ukraine, sondern auch gegen Europa und seine Werte.
  • Dem Experten zufolge ist es sehr wichtig, die Ukraine mit militärischer Ausrüstung zu versorgen.
  • Am Donnerstag spricht er im Lew Kopelew Forum am Kölner Neumarkt zum „Krieg in der Ukraine: Zeitenwende für die europäische Politik?“

Köln – Am Donnerstag sprechen Sie im Lew Kopelew Forum zum Krieg in der Ukraine. Ist das, was Kopelew in den 30er Jahren erlebte – Kollektivierung, Hungersnot, Ermordung der Opposition – eine Analogie zu heute Gewissermaßen. Die Ukrainer haben sich seit Annexion der Krim und dem Donbass-Krieg 2014 mit Putin, mit dem autoritären Russland und sicher auch vermehrt mit den Erfahrungen des Stalinismus auseinandergesetzt. Sie waren sich der Gefahr der Eskalation bewusst. Dass die Aggression solche Dimensionen annimmt, das ist aber auch für sie ein Schock.

Der Stalinismus bestimmt die geschichtsphilosophische Sicht Putins. Uns fällt jetzt wie Schuppen von den Augen, wie zielgerichtet Putin das eigene Land auf diesen Krieg vorbereitet hat: Gleichschaltung der Medien, die Erstickung der Zivilgesellschaft, Verhaftung der politischen Opposition. Die russische Gesellschaft ist heute mehr oder weniger atomisiert.

Wo enden die Analogien?

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André Härtel

Die Ukraine ist seit 30 Jahren unabhängig. Eineinhalb Generationen der Ukrainer kennen Russland und die Sowjetunion nicht mehr. Die Chance, den eigenen Staat zu gestalten, ist eine völlig neue Erfahrung für sie. Das erklärt auch den enormen Widerstand, mit dem Putin nicht gerechnet hat. Er dachte, er trifft in der Ukraine auf viele, die ihm wohlgesonnen oder apathisch sind. Das staatliche Projekt der Ukrainer seit 1991 hat eine  vollkommen neue Qualität.

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Der Krieg sei „eine Zeitenwende für Europa?“, so der Titel Ihres Vortrags. Warum das Fragezeichen?

Ich habe nicht den Eindruck, dass wir das, was passiert, in seiner ganzen Dimension verstanden haben. Wir reagieren, aber wir agieren nicht. Dieser Konflikt richtet sich nicht allein gegen die Ukraine. Er richtet sich gegen Europa und seine Werte. Wir aber reagieren zu langsam, unsere Debatten sind zu provinziell. Das Pendel schlägt schon wieder in ein „Ja, aber“ um – wie hoch ist die wirtschaftliche Rechnung. Eine Zeitenwende muss anders aussehen: ein komplettes Öl- und Gasembargo. Wir haben Putins Krieg bereits bezahlt. Mit unserer Halbherzigkeit bezahlen wir gerade den nächsten. Wir müssen die Finanzierung der russischen Kriegsmaschine stoppen. Was, wenn sie langfristig an der europäischen Ostgrenze steht. Das ist ein strategisches Worst-Case-Szenario auch für Deutschland. Es liegt in unserem existenziellen Interesse, die Ukraine wirkungsvoll militärisch auszustatten. Darüber müssen wir sprechen.

Der Osteuropaexperte André Härtel spricht an diesem Donnerstag um 19 Uhr im Lew Kopelew Forum am Kölner Neumarkt zum „Krieg in der Ukraine: Zeitenwende für die europäische Politik?“ Moderation: Robert Baag, freier Journalist mit Osteuropa-Schwerpunkt

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