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Verwahrlosung in KölnDrogen-Konsumraum am Neumarkt soll schließen – Neues Konzept für Suchtkranke

6 min
Die Drogenszene am Neumarkt. Ein Mann raucht Crack in einem Photoautomaten in der Hugo-Passagen.

Die Drogenszene am Neumarkt. Ein Mann raucht Crack in einem Photoautomaten in der Hugo-Passagen.

Drei neue Suchthilfezentren für 17 Millionen Euro jährlich will Sozialdezernent Harald Rau schaffen. Final ist das neue Konzept aber noch nicht.

Gesundheits- und Sozialdezernent Harald Rau hat dem Hauptausschuss des Kölner Stadtrates am Montag offiziell seine Weiterentwicklung des Kölner Suchthilfekonzeptes präsentiert. Mitte Juli hatte er seine Vorstellungen auch schon im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ geäußert. Demnach will er drei Suchthilfezentren einrichten, zwei davon linksrheinisch, eines rechtsrheinisch.

Noch ist das zehnseitige Papier kein „verwaltungsintern abgestimmtes Konzept“, sondern eine „Grobkonzeption“. Bis Ende des Jahres soll die finale Version vorliegen und der Rat soll sie beschließen. Das Problem: Die jährlichen Kosten würden nach grober erster Schätzung 17 Millionen Euro betragen. Laut Rau fehlt ein „seriöser Vorschlag zur Refinanzierung“, er sei ratlos.

Der Hauptausschuss hat das Konzept zur Kenntnis genommen und beschlossen, einen neuen Standort für den bisherigen Drogenkonsumraum im Gesundheitsamt direkt am Neumarkt zu finden. Er soll aber ein größeres Angebot bieten, unter anderem Dusch-, Wasch- und Ruhemöglichkeiten. Der bisherige soll in diesem Fall geschlossen werden, der neue „fußläufig“ zum Neumarkt sein. Die wichtigsten Fragen und Antworten. 

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Was ist der Anlass für das Konzept?

Die Verwaltung schreibt dazu: „Die sich zuspitzende Lage der offenen Drogenszene in Köln erfordert intensivierte Maßnahmen.“ Das Sozialdezernat begründet das vor allem damit, dass die suchtkranken Menschen seit 2023 Crack, also rauchbares Kokain, statt Heroin konsumieren. Nur: Die Menschen brauchen viel öfter am Tag Nachschub, bis zu zehn Mal am Tag ist laut Verwaltung „üblich“. Der Konsum führt auch zu einer „schweren Verelendung“.

Wie äußert sich das?

Die Stadt nennt elf Orte, an denen sich die offene Drogenszene trifft, unter anderem den Neumarkt, Rudolf- und Friesenplatz. „Diese Orte werden durch unterschiedlich große Gruppen drogenabhängiger Menschen, Drogendelikte, Diebstähle und auch gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Konsumierenden, zurückgelassenen Spritzen, Crack-Pfeifen, Müll und Fäkalien geprägt. Es etabliert sich der Charakter von ‚Lost Places‘.“

Harald Rau, Dezernent für unter anderem Soziales und Gesundheit.

Harald Rau, Dezernent für unter anderem Soziales und Gesundheit.

Was heißt der Vormarsch von Crack und Kokain für die Suchthilfe?

Die Stadt schreibt: „Die deutlich höhere Konsumfrequenz bei Crack und der offensichtlich noch höhere Suchtdruck im Vergleich zu Heroin führen dazu, dass die bei Heroin erfolgreiche Arbeitsweise der Drogenkonsumräume der Wirkdynamik von Crack nicht gerecht wird.“ Dabei ist der Drogenkonsumraum im Gesundheitsamt am Neumarkt gerade erst drei Jahre alt. Seit 2001 gibt es auch einen am Hauptbahnhof. Ein weiterer in Kalk ist im Bau, er soll bis Jahresende eröffnen.

Und was soll jetzt helfen?

Dezernent Raus Vorschlag orientiert sich sehr stark am „Zürcher Modell“ (wir berichteten). In Zürich gibt es drei Drogenkonsumräume an unterschiedlichen Standorten mit unterschiedlichen Öffnungszeiten. Florian Meyer, Zürcher Leiter der Abteilung „Schadensminderung für illegale Substanzen“, sagte dieser Zeitung Anfang Juni: „So gelingt es uns, die Szene täglich von einem Standort zum anderen zu verlagern.“ In den Einrichtungen wird der Kleinhandel mit Drogen toleriert, außerhalb ist er strengstens verboten. Das fordert auch Rau.

Und wie soll es in Köln konkret aussehen?

Die drei Drogenkonsumräume sollen in das neue Suchthilfekonzept integriert werden. Ohnehin plant Rau wie in Zürich mit drei Standorten. Das größere Suchthilfezentrum soll „in enger örtlicher und organisatorischer Verbindung zum Drogenkonsumraum“ am Neumarkt rund um die Uhr im Drei-Schicht-System betrieben werden und 180 Plätze haben. Aber Rau sprich von „einem Gebäude“, in dem der Drogenkonsumraum unterkommen soll. Demnach wäre der bisherige dafür nicht vorgesehen. Vor allem Aufenthalt, Essen und Waschen sind ein weiterer Schwerpunkt des neuen Angebots und eben jene sogenannten Express-Konsumplätze.

Das zweite „zentrumsnahe“ Angebot soll fußläufig tausend Meter vom größten Suchthilfezentrum 16 Stunden täglich betrieben werden. Es soll an den Drogenkonsumraum am Hauptbahnhof angegliedert sein und 60 Plätze haben.

Das dritte Suchthilfezentrum soll mit dem Drogenkonsumraum in Kalk entstehen, ebenfalls 16 Stunden täglich. Es soll Arbeitsgelegenheiten wie das Säubern des öffentlichen Raums, Aufenthaltsmöglichkeiten und Essen anbieten. Der Verein Vision betreibt den Raum. Laut Stadt könnte die geplante Ausweitung auf 120 Plätze auf der Vision-Fläche erfolgen oder über Container auf dem Areal des Polizeipräsidiums.

War Kölns Polizeipräsident Johannes Hermanns nicht gegen Konsumräume im Zentrum?

Ja, darauf weist auch Rau hin. Trotzdem spricht er sich für szenenahe Standorte aus, unter anderem weil ein Konsumraum im rechtsrheinischen an der Siegburger Straße vor etwas mehr als zehn Jahren schließen musste.

Was würden die neuen Pläne kosten?

Rau geht von 17,17 Millionen Euro jährlich aus, spricht aber davon, dass die Summen „äußerst vorläufig“ sind. Zum Vergleich: Derzeit sind für die bisherigen Angebote dieses Jahr 3,05 Millionen Euro angesetzt, für nächstes Jahr 3,36 Millionen Euro. Es braucht also jährlich 14 Millionen Euro mehr. Zur Einordnung: Im November ging die Stadt für dieses Jahr von 399,34 Millionen Euro Verlust aus, nächstes Jahr von 443,80 Millionen Euro.

Und wie will die Stadt das bezahlen?

Das ist völlig unklar. Laut Rau haben wegen der Dimension des Problems Unternehmen und Institutionen ihre Unterstützung zugesagt, sie sind „wesentlicher Bestandteil“ der Umsetzung. Um welche es sich handelt, hielt Rau im Konzept nicht fest.

Aber bis das umgesetzt ist, dauert doch noch. Was soll bis dahin passieren?

Zunächst muss die Stadt Immobilien finden, Arbeiten ausschreiben, die Immobilien umbauen und Personal finden. Das war für das Angebot am Neumarkt ein großes Problem. Doch laut Rau duldet „die erhebliche Problemlage“ sowohl für die suchtkranken Menschen als auch die Anwohner und Firmen im öffentlichen Raum „keine weitere Verzögerung“. Deshalb will Rau „unverzüglich Interimslösungen“ suchen.

Und wie könnten die aussehen?

Wie etwa in Dortmund. Die Stadt im Ruhrgebiet hat eine Freifläche neben dem Drogenkonsumraum als Aufenthaltsfläche eingerichtet. Dort dürfen keine Drogen konsumiert werden, aber die Suchtkranken warten, bis sie konsumieren können. Zudem gibt es Möglichkeiten zum Unterstellen bei Regen, Sitzmöglichkeiten und Toiletten. Aber auch dafür müsste der Rat Geld bereitstellen, wie viel ließ Rau offen. Rau kann sich eine Fläche nahe des Drogenkonsumraums am Neumarkt vorstellen.

Wie geht es weiter?

Rau will das Konzept finalisieren, damit der Rat es bis Ende des Jahres beschließt und es dann umgesetzt wird.

Und was hat der Hauptausschuss beschlossen?

Das Konzept selbst stand noch nicht zur Abstimmung. Deshalb beschloss der Hauptausschuss mehrheitlich einen kurzfristig vorgelegten Antrag von Grünen, SPD, Linke, Volt und der Ratsgruppe Klima Freunde und Gut. Er sieht vor, einen alternativen Standort für den Drogenkonsumraum am Neumarkt zu finden. „Prioritär“ soll die frühere Kaufhof-Zentrale an der Leonhard-Tietz-Straße geprüft werden. Auch ein Interim in Zelten oder Containern als Anlaufstelle für die suchtkranken Menschen soll zunächst eingerichtet werden. Bezahlt werden soll das aus den geplanten Umbaukosten für die Leonhard-Tietz-Straße, die ein großer Teil des Rates skeptisch sieht.

Ist ein Drogenkonsumraum in der früheren Leonhard-Tietz-Straße möglich?

Nein. Stadtentwicklungsdezernent Andree Haack stellte klar, dass der Eigentümer, die Swiss Life, der Nutzung als Drogenkonsumraum nicht zustimmen wird. Der Mietvertrag sehe nur eine Büronutzung vor.