Köln – Mirko H. war am Abend des 14. Februar beim Geisterzug, verkleidet als böser Wolf, das Rotkäppchen an der Hand – seine Mitbewohnerin. Gegen 4 Uhr nachts saß der 28-Jährige in einer Crêperie in der Engelbertstraße, wo seine Freundin Natalia arbeitet. Während er auf das Ende von Natalias Schicht wartete, beleidigte wenige Meter entfernt auf der Zülpicher Straße ein Mann drei Polizisten auf derbste Art und Weise. Er hatte jemanden mit einer Flasche bedroht, dann spuckte er die Polizisten an, trat nach ihnen und schlug wild um sich. Später beschimpfte er im Rettungswagen noch die Sanitäter aufs Übelste.
Weil der Randalierer Tage vorher Mirko H.s Führerschein gestohlen hatte, nahmen die Polizisten falsche Personalien auf – Mirkos. Und so kam es, dass Mirko H. sich nun vor dem Kölner Amtsgericht wegen Körperverletzung und Beleidigung verantworten musste.
„Ich mache das jetzt seit 40 Jahren, aber einen so eindeutigen Unsinn gab es hier noch nie“, sagte sein Anwalt, Pierre Gärtner. Dass das Verfahren gegen Mirko H. überhaupt eröffnet wurde, hat seiner Meinung nach vor allem mit schlampigen Ermittlungen zu tun. Mirko H. wurde nie von der Polizei vernommen. In der Ermittlungsakte steht der Vermerk, dass er zur Vernehmung nicht erschienen ist. „Ich habe aber nie einen Brief bekommen“, sagte Mirko H. „Vielleicht ist er verloren gegangen, ich bin in der Zeit umgezogen – hatte aber einen Nachsendeauftrag.“ Das nächste Schreiben erreichte ihn: Die Anklageschrift. Dann kam die Ladung zum Hauptverfahren. „Er kam damit sehr verzweifelt zu mir“, sagte Anwalt Gärtner. Von Anfang an beruhigte er Mirko H., der in seinem ganzen Leben noch nie etwas mit der Polizei zu tun hatte.
Rechnung für den Rettungsdienst
Und weil die Geschichte so absurd ist, ließ Gärtner es drauf ankommen und erschien mit seinem Mandanten pünktlich zur Verhandlung in Saal 16. Mirko H., Analyst bei einer Vermögensverwaltung, fühlte sich sichtlich unwohl auf der Anklagebank. Als die Staatsanwältin die Vorwürfe mit all den Beleidigungen aufzählte, schaute er vor sich auf den Tisch. Später sagte er: „Das gehört alles nicht zu meinem Wortschatz, absolut nicht.“ Eine Polizeibeamtin und ihre zwei Kollegen, die an Karneval bei dem Einsatz in der Zülpicher Straße waren, wurden als Zeugen gehört. „Er war es definitiv nicht“, sagte die 26-jährige Beamtin. „Vor Ort bestanden damals kleine Zweifel, aber jetzt kann ich sagen: Er war es nicht.“ Ihr Kollege sagte: „Wir waren eigentlich sicher, dass er es ist. Aber ich kann zu 100 Prozent sagen: Nein, er war es nicht.“ Die Vorsitzende Richterin schickte den dritten Zeugen daraufhin nach Hause, ohne ihn zu hören. Mirko H. wurde freigesprochen.
Obwohl sein Anwalt vor der Urteilsverkündung ausführte, wie sehr ein Ermittlungsverfahren jemanden belastet, der wie Mirko H. noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist, fand die Richterin kein nettes Wort für den Angeklagten. „Man hätte ihn zumindest einmal anhören müssen, die Akten vielleicht etwas genauer lesen, und insgesamt wäre mehr Fingerspitzengefühl angebracht gewesen“, sagte Gärtner. Die Einzige, die sich im Saal bei Mirko H. entschuldigte, war die Polizistin. Im April bekam der 28-Jährige noch einen Gebührenbescheid von der Stadt. Für die „Inanspruchnahme des Rettungsdienstes“ in der Nacht auf den 15. Februar sollte er 264 Euro bezahlen. Der Randalierer, der mit seinem Führerschein unterwegs war, wurde damals ins Krankenhaus Weyertal gebracht. Danach holten Polizisten ihn ab und brachten ihn mit dem Gefangenentransporter ins Polizeipräsidium, wo er über Nacht in Gewahrsam genommen wurde. Wer er ist, ist bis heute nicht bekannt.