Wenn sogar der Bäcker fehltWo in Köln ungleiche Lebensbedingungen herrschen

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Die Versorgungslage in Gremberghoven ist schlecht: Der alte Supermarkt des Viertels an der Frankenstraße ist schon seit Jahren geschlossen, nur noch zwei Kioske sind als Nahversorger geblieben.

Köln – Architektonisch ist der Ort ein Schmuckstück. Doch wenn es um die Dinge geht, die man zum täglichen Leben braucht, sieht es finster aus: Die schöne „Eisenbahner-Siedlung“ Gremberghoven ist ein Ort ohne Supermarkt, ohne Bank und ohne Bäcker. Es gibt keine Kneipe, kein Restaurant, keinen Wirt und keinen Pastor. Die Nahversorgung beschränkt sich auf einen Imbiss und zwei Kioske. Samstag und Sonntag fährt die einzige Buslinie im Ort nur alle halbe Stunde. Alternativ kann man – je nachdem, wo man im Ort wohnt – anderthalb Kilometer zur S-Bahn laufen.

Als Kölns Oberbürgermeisterin zu wählen war, machten noch nicht einmal 17 Prozent der Wahlberechtigten in Gremberghoven mit. Den meisten war offensichtlich egal, wer bei der Kommunalwahl gewinnt.

Vieles in der Stadt ist sehr ungleich verteilt

„Gleiche Lebensbedingungen“ hat die wiedergewählte Oberbürgermeisterin Henriette Reker den Kölnern vor der Stichwahl versprochen. Niemand solle zu kurz kommen, wenn es um Chancen zur Teilhabe und Verbesserungen der Bedingungen im Viertel geht. Es gebe einiges zu tun. Denn tatsächlich ist vieles in der Stadt sehr ungleich verteilt: Einkaufsmöglichkeiten, Gaststätten, Ärzte, Freizeitangebote, Naherholungsmöglichkeiten, soziale Angebote – und nicht zuletzt die Aufmerksamkeit, die diesen Themen zukommt.

Alles zum Thema Kölner Verkehrs-Betriebe

Mit dem Wahlsieg der Grünen bekommt das Thema zusätzliche Brisanz: Die Fraktion, die in Zukunft im Rathaus den Ton angeben wird, besteht fast ausschließlich aus Politikerinnen und Politikern aus den Stadtbezirken Ehrenfeld und Nippes sowie der Innenstadt. Schon im Wahlkampf ließ sich ein Missverhältnis bei der Themengewichtung – nicht nur bei den Grünen – ausmachen. Die Frage, ob aus der Venloer Straße eine Einbahnstraße werden sollte, hatte das Zeug zum kommunalpolitischen Top-Thema. Für die Nahversorgung in Gremberghoven interessierte sich währenddessen so gut wie niemand.

Für die Daten der Stadt ist das „Amt für Stadtentwicklung und Statistik“ zuständig. Hier hat man in den vergangenen drei Jahren in einem aufwendigen Prozess an einer „Stadtstrategie“ gearbeitet, die mit „Kölner Perspektiven 230+“ überschrieben ist. In dem dicken, lesenswerten Bericht werden Entwicklungsziele für die wachsende Stadt beschrieben. Um zu zeigen, was zu tun ist, wurden „Grundlagenkarten“ gezeichnet: Dichte der Wohnbebauung, Nahversorgungs- und Einzelhandelszentren, Verkehrsnetz, Grünflächen, Siedlungsflächen, Schulen, Kultureinrichtungen, Gesundheitsversorgung, soziale Einrichtungen, Sportangebote und vieles mehr – nichts blieb unberücksichtigt. Die Fleißarbeit belegt: Von gleichen Lebensbedingungen ist diese Stadt sehr weit entfernt. 

Zudem gibt es große Unterschiede bei der baulichen Dichte oder der Bevölkerungszusammensetzung in fast homogenen, „teilweise dörflichen, teilweise suburbanen“ Quartieren, in Großsiedlungen und in den von bunter Vielfalt geprägten innerstädtischen Vierteln.

Vielfalt erhalten, Nachteile ausgleichen! Aber wie?

Diese Vielfalt und auch Unterschiedlichkeit solle erhalten bleiben, so Amtsleiterin Brigitte Scholz. Gleiche Lebensbedingungen könne nicht heißen, alle Viertel gleich zu machen. „Es geht nicht ums Gleichmachen, sondern um den Ausgleich von Nachteilen.“ Das klingt leichter, als es ist.

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Jedes Viertel hat Vorzüge, aber auch Nachteile. Sie zu messen und zu vergleichen ist schwierig. Und es ist nicht klar, wann ein Nachteil so groß ist, dass die Stadt aktiv werden muss. Sonst hätten Esch, Neubrück oder Widdersdorf wohl längst einen Straßenbahnanschluss. Rechtfertigt die bessere Luft und die weniger dichte Bebauung in einem äußeren Stadtteil, dass am Wochenende nur einmal pro Stunde ein Bus Richtung Innenstadt fährt? Die Chancen auf Teilhabe am kulturellen Leben sind für Kölner Jugendliche, die sich in der Regel ihren Wohnort nicht selbst ausgesucht haben, höchst unterschiedlich. Und auch ein Rentner, die nicht mehr so schnell von einem Ort zum anderen kommt, kann nichts dafür, dass es in seinem Veedel keine Einkaufsmöglichkeiten oder keine Kneipe mehr gibt.

Die "Stadtstrategie" als Downloadangebot

Die „Stadtstrategie – Kölner Perspektiven 2030+“ findet man als Download auf den Internetseiten der Stadt, wenn man in der Rubrik „Politik & Verwaltung“ zum Bereich „Stadtentwicklung“ weiterklickt. http://www.stadt-koeln.de 

Die Stadt benennt in ihrer Stadtstrategie die Probleme und auch die Ziele. Die besten Aussichten sie zu erreichen hat man, wenn ein neuer Stadtteil wie Kreuzfeld geplant wird. In einigen Fällen profitieren Stadtteile von ihrem Wachstum, weil höhere Einwohnerzahlen die Ansiedlung von Einzelhandel, Dienstleistern oder auch Ärzten verschiedener Fachrichtungen wahrscheinlicher machen. Bei allen anderen Vierteln wird es aufwendiger und teuer. Die Stadt muss die Infrastruktur verbessern oder selbst als Akteur, zum Beispiel als Vermieter, auftreten.

Viel Nachholbedarf beim Nahverkehr

„Wirtschaftlich nicht vertretbar“, lautet nicht nur das Argument eines privatwirtschaftlich orientierten Unternehmens, wenn es sich gegen einen Standort entscheidet. Es findet sich auch im Nahverkehrsplan der Stadt. Ob eine neue Stadtbahntrasse gebaut wird oder die Taktfrequenz einer Busverbindung erhöht wird, ist das Ergebnis von wirtschaftlicher Kalkulation. 

Der Nahverkehrsplan dokumentiert die ungleichen Lebensbedingungen in der Stadt recht nachdrücklich. Ein Bus ersetzt keine erreichbare Bahnverbindung, wie man an der Zahl der Nahverkehrsnutzer sehen kann. In Esch, Auweiler, Widdersdorf oder Libur nutzen weniger als 15 Prozent das KVB-Angebot. In gut angeschlossenen Stadtteilen mit Bahnverbindungen sind es doppelt so viele. Der Nahverkehrsplan beurteilt auch „Verbindungsqualitäten“ in die Innenstadt oder in „zentrale Versorgungsbereiche“ im jeweiligen Stadtbezirk. An einem Werktags-Vormittag wird für zwölf Stadtteile in den Bezirken Chorweiler, Porz und Rodenkirchen die Verbindung ins Zentrum als verbesserungswürdig eingestuft. Bei den Verbindungen in die Versorgungszentren der Bezirke bekommen zehn Stadtteile keine gute Bewertung: Wahnheide, Libur, Langel, Meschenich, Marienburg, Bayenthal, Braunsfeld, Ossendorf und Neubrück.

Isi Testfahrt

Unser Autor hat das neue Angebot der KVB, die On-Demand-Busse „Isi“, getestet.

Stadt und KVB hoffen, dass das neue „On-Demand“-Angebot „Isi“ Verbesserungen bringen wird. Die Pilotphase mit den rot-weißen Kleinbussen hat begonnen. Die „Stadtstrategie – Kölner Perspektiven2030+“ geht sehr viel weiter. Neben den seit langem avisierten Linienverlängerungen in Porz, nach Neubrück, Widdersdorf und im linksrheinischen Süden nach Meschenich schlägt das Strategiepapier weitere Verlängerungen nach Rheinkassel, Brauweiler, Niederkassel, Leverkusen und Odenthal. 

Vier neue Brücken über den Rhein

Ehrgeizig ist auch ein weiterer verkehrspolitischer Vorschlag. Zusätzlich zu den bereits diskutierten, zwei neuen innerstädtischen Rheinbrücken für Fußgänger und Radfahrer sollen zwei weitere im Süden zwischen Porz-Langel und Godorf sowie im Norden zwischen Niehl und Stammheim gebaut werden. 

Ein Supermarkt ist keine Selbstverständlichkeit

Wer in der Südstadt oder im Agnesviertel wohnt, in Kalk oder in Nippes wird sich nicht vorstellen können, dass es Stadtviertel in Köln ohne Supermarkt oder ähnliche Nahversorgungsangebote gibt. Die Kölner Handelskette Rewe betreibt in Köln rund 40 Filialen, Konkurrent Edeka kommt auf 20 – doch sie sind höchst ungleich verteilt. Während man entlang der Neusser Straße von einem Rewe in den nächsten wandern und zwischendurch auch noch beim Discounter die Preise vergleichen kann, sind Orte wie Libur, Flittard, Godorf oder Merkenich für die Ketten offenbar uninteressant. 

Bei Drogeriemärkten sieht es ähnlich aus. Die bekanntesten Ketten sind DM mit knapp 40 Filialen und Rossmann mit fast 25 Drogerien. Allein 15 dieser Märkte befinden sich in der Innenstadt. Noch nicht einmal eine Bäckerei ist in manchen Vierteln eine Selbstverständlichkeit.

Nicht egal, wer in ein freies Ladenlokal einzieht

Wenn das Einzugsgebiet zu klein oder die Einwohnerzahl im Stadtteil zu gering ist, wird eine Ansiedlung wirtschaftlich uninteressant. Bürgervereine und Stadtteilpolitiker versuchen dagegen zu halten, so zuletzt in Godorf oder nun in der Porzer Mitte, wo die Frage nach einem neuen Supermarkt zum Streitthema wurde. Wenn man ein Viertel attraktiv machen will, ist es eben nicht egal, wer in ein freies Ladenlokal zieht. Der Discounter, den die städtische Stadtentwicklungsgesellschaft „Moderne Stadt“ als Mieter vorstellte, durfte es nicht werden, so die Interessenvertreter vor Ort. Sie haben sich durchgesetzt. Jetzt kommt wohl Rewe. Mit welchen Rabatten gelockt wurde, ist noch unbekannt. 

Wenn eine städtische Tochter selbst Vermieter von Ladenlokalen ist, gibt es Spielräume. In ländlichen Gebieten, wo Einzelhändler in Scharen die Dörfer verlassen haben, kennt man mittlerweile das Instrument eines aktiven und subventionierten Leerstandmanagements. Die Kommunen oder auch Wohnungsbauunternehmen gehen selbst als Mieter in leerstehende Ladenlokale, um diese dann günstiger weiter zu vermieten. In Köln war das bislang kein Thema. (bec, fra)

Kein Kinderarzt in jedem Veedel

Auch die medizinische Versorgung ist ungleich verteilt. Vor allem bei der Facharztversorgung gibt es Schieflagen. Beispiel Kinderärzte: Es gibt 126 Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin in Köln – und trotzdem mehrere Stadtteile ohne Kinderarztpraxis, so etwa Grengel, Wahn oder Ossendorf. Im großen, kinderreichen Mülheim gibt es nur zwei Praxen, die auch noch Buchforst und Buchheim mit versorgen. Ähnlich sieht es in Chorweiler aus. Einkommensschwache Gebiete sind für viele Ärzte weniger interessant, weil es dort kaum Privatpatienten gibt. 

Grün höchst ungleich verteilt

In den Stadtteilen Lindenthal und Sülz leben so viele Einwohner wie in Kalk, Vingst und Humboldt-Gremberg. Doch die Möglichkeiten der jeweils rund 53 000 Kölner sind höchst unterschiedlich, wenn es darum geht, Grünanlagen in der Nachbarschaft zu nutzen. Zu Lindenthal und Sülz gehören 626 Hektar an Parks, Wald und Sportflächen. In den drei rechtsrheinischen Stadtteilen sind es laut letzter städtischer Statistik nur 143 Hektar, also weniger als ein Viertel. Ungleichgewichte dieser Art auszugleichen, scheint fast unmöglich – erst recht in einer wachsenden Stadt. 

Eisdielen als Armutsindikator

Der Pfarrer von Vingst und Höhenberg, Kölns alternativer Ehrenbürger Franz Meuer, hat das Fehlen einer Eisdiele im Stadtviertel zum Indikator für soziale Not gemacht. Arme Stadtteile erkenne man daran, dass es keine Eisdiele gibt. Das stimmt nicht ganz, denn auch im Hahnwald gibt es keine Eisdiele. Tatsächlich macht Meurers Hinweis aber deutlich, dass „Nahversorgung“ im Veedel mehr ist als Einkaufen im Supermarkt. Und dass es beim Erstreben gleicher „Lebensbedingungen“ um mehr geht als die Grundversorgung mit dem, was Erwachsene als das Nötigste ansehen. (bec, fra)

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