Anke Engelke und Matthias Brandt„Wir sind eben hauptberuflich Glotzer“

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HANDOUT - 30.12.2022, ---, -: Anke Engelke und Matthias Brandt in dem Film "Kurzschluss", einem "Silvester-Special mit Anke Engelke und Matthias Brandt", das am Freitag 30.12.2022 um 23:30 Uhr im Ersten ausgestrahlt wird. (zu dpa-Vorbericht: Engelke und Brandt erleben an Silvester ihren ersten «Kurzschluss») Foto: Btf/WDR/dpa

Anke Engelke und Matthias Brandt in ihrem Silvester-Film „Kurzschluss“

Für das ARD-Silvester-Special „Kurzschluss“, das heute und morgen Abend zu sehen ist, standen Anke Engelke und Matthias Brandt erstmals gemeinsam vor der Kamera. 

Anke Engelke, Matthias Brandt, für das Kammerspiel „Kurzschluss“ standen Sie das erste Mal gemeinsam vor der Kamera …

Matthias Brandt: Das lag aber nicht daran, dass wir das nicht wollten!

Stand die Besetzung von vorneherein fest?

Anke Engelke: Ja, das war relativ schnell klar. Ich war allein schon durch die räumliche Nähe schnell angefixt, Matthias Brandt hat als kluger Hinterfragender noch gesagt: Die Figuren müssen stimmen, wir müssen da echte Menschen erzählen und echte Zustände.

Im Film warten wir gemeinsam mit ihren Charakteren auf Silvester. Nur, dass Sie beide im Vorraum einer Bankfiliale eingeschlossen sind. Sie, Anke Engelke, steckten ja vor 20 Jahren schon einmal fürs Fernsehen mit einem Mann fest, damals mit Olli Dittrich im Aufzug …

Engelke: Es ist sogar schon das dritte Mal! Einmal bin ich mit Bastian Pastewka im Aufzug hängengeblieben, bei der Grimme-Preis-Folge. Und eben mit Olli Dittrich in „Blind Date“. Aber in einer Bankfiliale war ich noch nie eingeschlossen. Ich finde Kammerspiele als Filmidee unglaublich interessant. Wie verhandeln die Personen das untereinander, was entsteht da für eine Dynamik?

Sie spielen beide Figuren, die extrem unterschiedlich, aber beide sehr in ihre jeweiligen Leben eingebunden sind. Will man die miteinander ins Gespräch bringen, muss man sie ja zusammen einsperren.

Brandt: Ja, die würden das sonst nicht tun. Das Handy muss man ihnen auch noch wegnehmen.

Das ist schon auch irgendwie traurig, oder?

Brandt: Andererseits funktioniert es ja und das ist dann wiederum nicht traurig.

Ich finde Kammerspiele als Filmidee unglaublich interessant.
Anke Engelke

Ich musste auch an die „Friends“-Folge denken, in der Chandler mit einer Frau in einem Bankvorraum festsitzt.

Engelke: Da gibt es aber zwei wichtige Unterschiede: Chandler ist mit einer wunderschönen Frau eingesperrt, einem Modell. Dagegen wirke ich ja fast schon abgewrackt. Zweiter Punkt … (wendet sich zu Brandt) jetzt hast Du den Punkt verpasst, wo Du reingrätschen musst und sagen: Stimmt doch überhaupt nicht! Jetzt will ich es nicht mehr hören ... nein, zweiter Punkt, man hört Chandlers inneren Monolog. Was auch ein tolles Mittel ist, aber dann sind wir ganz schnell explizit humoresk, dann ist es einhundert Prozent komödiantisch. Wir hatten ganz großes Interesse daran gehabt, eine Melange aus Drama und Komödie herzustellen. Warum kann es nicht gleichzeitig dramatisch sein und so lebensnah und endzeitlich albern wie zum Beispiel bei Luc Bessons „Der letzte Kampf“?

Nach außen hin scheinen Ihre Figuren ihr Leben zu meistern, sie ist die Bürgermeisterin ihrer kleinen Heimatstadt, er Unternehmer in Berlin. Aber hinter diesen Erfolgsgeschichten verbirgt sich jeweils ein Scheitern. Sie beide sind doch noch sehr viel erfolgreicher. Wo knüpfen Sie da an? Gibt es auch für Sie Momente, in denen Sie glauben, gescheitert zu sein?

Engelke: Ich muss hier nirgendwo anknüpfen. Ich muss nicht jemanden spielen, der so ist wie ich, oder das aus mir selbst herausholen. Das kommt alles aus dem Buch und aus der Situation.

Brandt: Wenn irgendwas bei Leuten nicht klappt, haben die per se schon mal meine Sympathie, die haben mich auf ihrer Seite. Ich gucke Menschen sehr gerne dabei zu, wie sie damit zurechtkommen, dass Dinge nicht funktionieren. Ich meine das nicht im voyeuristischen Sinn: Deren Bemühen, damit zurechtzukommen, dass es etwas misslingt, ist für mich die interessanteste erzählerische Essenz überhaupt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich noch mal in einem Superhelden-Film mitspiele ist, also gering. Das spiegelt mein grundsätzliches Lebensgefühl: Es funktionieren einfach mehr Dinge nicht, als dass sie funktionieren. Ich weiß nicht, warum man so viel Energie darauf verwendet, eine Welt vorzuspiegeln, bei der das andersherum ist. Das habe ich noch nie verstanden. Zudem das andere ja auch noch interessanter ist.

Aber es ist natürlich komisch und oft auch ziemlich befriedigend, Menschen dabei zuzuschauen, die versuchen, das vorzuspiegeln.

Brandt: Weil die mir etwas abnehmen, die machen das auch für mich in dem Moment. Die befreien mich dadurch. Das ist ja das Tolle an großer Literatur oder Musik, oder irgendeiner anderen Kunst, dass die etwas ausdrückt, was ich genauso empfinde, nur eben selbst nicht so ausdrücken kann.

Wenn irgendwas bei Leuten nicht klappt, haben die per se schon mal meine Sympathie.
Matthias Brandt

Zuletzt konnte man in „King of Stonks“ über Sie lachen, aber ansonsten spielen Sie, Matthias Brandt, nur selten in komödiantischen Stoffen. Während Sie, Anke Engelke, in letzter Zeit in ungewöhnlich dramatischen Rollen zu sehen waren, in Filmen wie „Mutter“ oder „Mein Sohn“. Treffen Sie sich jetzt in der Mitte?

Engelke: Kann ich gut verstehen, die Frage, aber das ist natürlich Ihre Außenwahrnehmung. Aus meiner Perspektive sieht das ganz anders aus: Ich habe bei einem Sketch, der am Ende vielleicht Menschen zum Lachen bringt, ebenfalls meinen Text gelernt, stehe auf der Marke, kenne meine Vorgänge und nehme meine Figur ernst. Ob das jetzt eine Kassiererin ist, die Bullshit redet, oder eine überforderte Mutter, die ihr Kind zusammenfaltet: Ich nehme diese Frau ernst, ich nehme deren Leben und deren Welt ernst. Da gibt es keinen Genre-Unterschied. Wenn das jetzt so wahrgenommen wird, dass ich plötzlich eher ernstere Rollen spiele, ist das für mich also etwas befremdlich. Und wenn Matthias Brandt tragische Figuren spielt, wie zuletzt in „Sörensen hat Angst“, dann ist dieser Typ in seiner Tragik auch hochgradig lustig. Was wiederum ganz schrecklich ist, weil es im richtigen Leben ja genauso sein kann. Und aus demselben Grund können komische Rollen eben auch tragisch sein.

Dann ist die Vorbereitung also dieselbe, egal um was für eine Rolle, egal um was für ein Genre es sich handelt?

Brandt: Das kriegt höchstens durch den Zusammenhang, in den das gesetzt wird, einen unterschiedlichen Charakter. Für uns ist das kein Unterschied. Alles andere wäre auch extrem kontraproduktiv. Gestern Abend habe ich zufälligerweise etwas gesehen, das mir nicht gefallen hat, weil die Leute, die das gemacht haben, sich selbst so wahnsinnig lustig fanden. In dem Moment entlarvt sich das sofort und ist tot. So etwas werden sie nie in einer guten Komödie sehen, sie werden in keinem „Ladykracher“-Sketch sehen, dass Anke Engelke sich selber lustig findet.

Komische Rollen können eben auch tragisch sein.
Anke Engelke

Ihre Figuren in „Kurzschluss“ wachsen einem sehr schnell ans Herz. Man könnte, ohne zu viel verraten zu wollen, eine wunderbare Fortsetzung drehen. Ist da schon etwas geplant?

Engelke: Also, wir hätten beide Bock. Aber das liegt nicht in unserer Hand. Wir können uns jetzt nicht Folge 2 bis 7 wünschen, bis zur Rente.

Aber wenn Sie könnten?

Engelke: Na klar. Die Autoren – Claudius Pläging und Max Bierhals – sind ja auch Füchse. Die haben das schon mit Absicht so geschrieben, dass es hinten offen ist. Aber Matthias Brandt und ich altern leider sehr schnell …

Brandt: … es ist eine Frage von Wochen …

Engelke: … da müssten wir jetzt wirklich schon eine Halle anmieten.

Haben Sie Ihre „Kurzschluss“-Charaktere nach Drehschluss noch länger mit sich herumgetragen, oder vergisst man seine Rollen ganz schnell wieder?

Engelke: Ganz ehrlich: Dafür sind sie nicht skurril oder aberwitzig genug. Das sind schon echt Zeitgenossen aus dem sogenannten Volk. Da hat es andere Rollen gegeben, die sich nicht so gut abschütteln ließen. Ich bin auch nicht so drauf, dass ich dann nur noch so Auto fahre, wie meine Figur Auto fahren würde. Nur wenn so ein Drehtag beginnt und wenn er endet, ist man in so einer Twilight Zone.

Wenn ich mir die Leute angucke, fällt es mir schwer, mir nicht vorzustellen, die zu sein.
Matthias Brandt

Brandt: Weißt Du noch, wie das bei „Raumschiff Enterprise“ war, wenn der Beamer mal nicht funktionierte? Dann waren die so halb entmaterialisiert. So fühlt sich das an. Man ist in so einer Schleusensituation. Wie Fußballspieler, die vor dem Anpfiff im Spielertunnel warten. Die haben oft so einen ganz bestimmten Gesichtsausdruck. Nicht mehr in der einen Welt, noch nicht in der anderen.

Engelke: Das ist ein Superbild. Genauso stehst Du auch in [Christian Petzolds] „Transit“ hinter der Theke und man fragt sich, wo bist Du gerade?

Brandt: Für mich war das allerdings nie so ein großes Thema, dass ich als Schauspieler nicht mehr weiß, bin ich jetzt ich, oder der, den ich spiele? Darüber macht man sich ja oft lustig, aber ich kenne Kollegen, für die das problematisch ist. Es ist ja auch ein Grenzbereich, in dem man sich da bewegt, man wagt sich schon weit aus sich heraus. Selbst wenn ich nur über die Straße gehe und mir die Leute angucke, fällt es mir schwer, mir nicht vorzustellen, die zu sein. Das ist so ein Dauerzustand für mich.

Engelke: Wir sind eben hauptberuflich Glotzer. Die Leute denken vielleicht, Sie glotzen uns an, weil sie uns schon mal irgendwo im Kino oder im Fernsehen gesehen haben. Aber ich glotze ja viel, viel mehr. Das ist eine Art legaler Diebstahl von Bewegungsabläufen und Sprache, den wir da betreiben.

Der halbstündige Silvester-Film „Kurzschluss“ ist am 30. Dezember um 23.30 Uhr und am 31. Dezember um 19 Uhr im Ersten zu sehen. Außerdem am 31. Dezember um 16.10 Uhr im WDR und ab dem 30. in der ARD Mediathek.

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