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Antwort an Jürgen Domian„Dir ist kein Vorwurf der Thunberg-Hasser zu abgedroschen”

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Domian hat Greta Thunberg attestiert, sie gehe ihm auf die Nerven. Für seinen offenen Brief an die Umweltschützerin hat er viel Kritik, aber auch viel Zustimmung bekommen.

  • Nach einer Auswertung des Magazins „Focus“ von 2019 ist Ruprecht Polenz der reichweitenstärkste deutsche Politiker auf Twitter.
  • Hier antwortet er kritisch auf den offenen Brief, den der Moderator Jürgen Domian im „Kölner Stadt-Anzeiger” an Greta geschrieben hat.
  • Er fragt: Will sich da jemand, dessen Einschaltquoten nicht mehr die besten sind, auf Kosten einer jungen Frau profilieren?

„Herzlichst, Dein Domian“, so endet ein alles andere als herzlicher offener Brief des Radio- und TV-Moderators an Greta Thunberg. Wie Donald Trump und Dieter Nuhr arbeitet sich jetzt auch Domian an der jungen Schwedin und der „Fridays for Future“-Bewegung ab. Warum gerade jetzt? Dazu später.

Schon 2019, schreibt Domian, habe er vor dem Fernseher gesessen bei Thunbergs Auftritt vor der UN-Klimakonferenz und habe sich ein paarmal schütteln müssen – „vor lauter Fremdschämen. Dein Gebaren war derart hysterisch, dass ich es kaum aushalten konnte“. Jetzt, Monate später, kann Domian, in seinen Radiosendungen die Selbstbeherrschung in Person, einfach nicht mehr an sich halten, sagt er.

„Wärst Du ein - sagen wir mal - neunundvierzigjähriger Mann ohne Handicap, der die gleichen Dinge sagt und tut wie Du - kein Mensch spräche über Dich“, bricht es aus ihm heraus. „So aber hatten die Medien gleich zu Beginn Deiner Karriere eine tolle Geschichte: eine Jugendliche, erkrankt am Asperger-Syndrom und zudem an Depressionen und Essstörungen leidend“, fällt Domian über die inzwischen 17-Jährige her. Da wirkt es wie Hohn, wenn er am Ende schreibt: „Zum Schluss aber strecke ich Dir die Hand entgegen.“

Alles zum Thema Fridays for Future

Domian reiht sich ein in die Phalanx der Thunberg-Hasser, die sich nicht zu schade sind, Greta ihre Krankheiten vorzuhalten, statt sich mit ihren Argumenten für wirksamen Klimaschutz auseinanderzusetzen. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat dazu vor Kurzem in der „taz“ angemerkt: „Der Hassende gibt alle seine Hemmungen auf. Er macht selbst den Krankheitsverdacht zum Argument gegen die Person – und übersieht: Mit den Verbalprügeln für eine junge, zart und schmächtig wirkende Frau kann man öffentlich nun wirklich keine Sympathie- und Tapferkeitspunkte gewinnen.“

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Auch die Bewegung Fridays for Future bekommt von Domian ihr Fett weg: „Deine Generation und speziell Deine Fridays-for-Future-Freunde aus der Mittel- oder Oberschicht haben maßgeblich zu genau der Misere beitragen, die Ihr so lautstark anprangert. Seit Jahren lasst ihr Euch von Euren Eltern mit ihren dicken Autos bis vors Schultor chauffieren.“ Die meisten kommen wahrscheinlich mit dem Schulbus oder dem Fahrrad, aber sei‘s drum. Domian ist kein Vorwurf der Thunberg-Hasser zu abgedroschen, als dass er ihn nicht lauthals wiederholen würde. „Geh nach Brasilien, nach Russland, China oder nach Indien!“ ruft er ihr zu. „Da spielt die Musik. Das Weltklima wird nicht in Deutschland oder Schweden gerettet.“

Trump, Nuhr und jetzt auch Domian als Latecomer sagen nichts zum eigentlichen Thema von Fridays for Future und Greta Thunberg: Was passiert mit unserem Klima, wenn zu wenig passiert? Wenn wir nicht energisch und schnell umsteuern, um Treibhausgas-frei zu werden und die weitere Erderhitzung auf maximal zwei Grad zu begrenzen. Stattdessen gehen sie Greta Thunberg persönlich an und werfen ihr vor, sich ungebührlich in den Vordergrund zu spielen.

Sie selbst scheint sich der Gefahren einer zu starken Fixierung der Klimaschutz-Bewegung auf ihre Person sehr wohl bewusst zu sein. Neulich antwortete sie auf die Frage eines Moderators, wie es ihr gehe: „Das ist irrelevant.“ Stattdessen sprach sie über die Erderwärmung und nannte die aktuellen Zahlen. „Sie versucht, als Person zur Seite zu treten, um die Inhalte wieder in den Vordergrund zu rücken“, wie Pörksen analysiert.

Zur Person

Ruprecht Polenz, geboren 1946, saß von 1994 bis 2013 für die CDU im Bundestag. Er war Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses und im Jahr 2000 für kurze Zeit Generalsekretär seiner Partei. Polenz war bereits in seiner Zeit als Abgeordneter einer der aktivsten Nutzer der Internet-Plattform Facebook. Nach einer Auswertung des Magazins „Focus“ von 2019 ist Polenz der reichweitenstärkste deutsche Politiker auf Twitter. Seine Tweets seien im ausgewerteten Zeitraum von neun Monaten mehr als 900.000 Mal geteilt oder favorisiert worden. (jf)

Nichts ist neu oder originell in dem offenen Brief von Domian. Warum schreibt er ihn dann? Dass er es jetzt nicht mehr ausgehalten habe, klingt nicht besonders überzeugend. Schon plausibler finde ich, dass er ein breites Echo und Aufmerksamkeit für seine Person erwarten durfte. Schließlich ist es ein probates Mittel, sich an einer prominenten Persönlichkeit zu reiben. Der auf sie gerichtete Scheinwerfer erfasst dann auch den Kritiker.

Domian kann dieses Licht zweifellos brauchen. Seine sehr erfolgreiche Radiosendung hatte er nach 21 Jahren 2016 beendet. Vor ein paar Monaten startete er ein Comeback. Seit November 2019 war er für zunächst einen Monat wöchentlich um 23.30 Uhr in einem neuen Talk-Format im WDR zu sehen. Nach den Pilotsendungen bangten seine Fans, ob das Programm fortgesetzt würde. Kurz vor Jahresende dann die erlösende Nachricht: Es geht 2020 weiter. Die vorgelegte Schlagzahl war den Programmverantwortlichen allerdings zu hoch. Statt jede Woche gibt’s den Domian-Talk nur noch einmal im Monat. Da kann man etwas Extra-Aufmerksamkeit gut vertragen. Durch seinen offenen Brief im „Kölner Stadt-Anzeiger“ ist Domian wieder in aller Munde. „Stern“, „Die Welt“ und andere Zeitungen und Zeitschriften zitierten daraus. Im Netz gab es heftige Diskussionen dazu. Der „Stadt-Anzeiger“ hat nicht nur Domians Brief veröffentlicht, sondern nun auch noch diese Replik.

Dieter Nuhr mag seine ähnlich vorgetragene Thunberg-Kritik zusätzliches Publikum beschert haben. Ich bin nicht sicher, ob das Kalkül auch bei Domian aufgeht. Schließlich schätzt ihn sein Publikum, weil er seine Gesprächspartner ernst nimmt; weil er so einfühlsam und geduldig zuhören kann; weil er seine Worte voller Empathie sorgfältig abwägt, um niemanden zu verletzen. Zu diesem Domian, den so viele Menschen schätzen, passt sein offener Brief an Greta Thunberg wie die Faust aufs Auge. 

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