Kölner Wochen im LiteraturhausBachs Tochter würde heute gendern

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Ein Leben ohne Bach kann sich Angela Steidele nicht vorstellen.

Ein Leben ohne Bach kann sich Angela Steidele nicht vorstellen.

Köln – Die Leipziger Lerchen gab es zum Nachtisch. Angela Steidele hatte die Marzipantörtchen am Vortag gebacken. Nun bedachte sie im Literaturhaus Köln die Gäste der Premierenlesung ihres neuen Romans „Aufklärung“ mit diesem feinen Gebäck. Es war der köstliche Abschluss eines famosen Auftritts.

Zu erleben war ein Roman, der ein farbenfrohes und quellenfundiertes Zeitgemälde entwirft. Zudem erklang ein Lobgesang auf Johann Sebastian Bach, der „ein Aufklärer in Tönen“ gewesen sei und über den Angela Steidele sagt: „Ich kann mir ein Leben ohne Bach nicht vorstellen.“ Schließlich trat eine Autorin auf, die gewitzt und kundig Auskunft gab – und bei den Lesepassagen singend ihre Chorerfahrung (klar: im Bach-Verein Köln) zum Besten gab.

Roman aus dem 18. Jahrhundert mit Bachs Tochter als Ich-Erzählerin

Angela Steidele bringt uns – wie schon in ihren vorangegangenen Büchern – Frauen aus der Zeit vor 1850 nahe. Ihre Ich-Erzählerin Dorothea Bach (1708-1774), die kaum bekannte Tochter des Komponisten, führt uns durch das intellektuell strahlende Leipzig im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts. Anlass dafür ist Dorotheas Freundin Luise Gottsched (1713-1762), die kurz zuvor verstorben ist. „Ich habe mich halt so über die Biografie Luises geärgert, die der Professor veröffentlicht hat“, sagt sie. Johann Christoph Gottsched nämlich habe „ja eigentlich nur sein eigenes Leben geschildert und nennt es das Leben seiner Frau.“ Daher schreibt Dorothea auf, woran sie sich erinnert.

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Kölner Wochen

Das Literaturhaus Köln hat mit Angela Steidele seine „Kölner Wochen“ eröffnet. Es folgen (mit einigen Buchpremieren): Doris Konradi mit „Aber die Insel“ (26. 9.), Simone Scharbert stellt ihren Roman „Rosa in Grau. Eine Heimsuchung“ (4. 10.) vor. Volker Dittrich, Aila Franken, Timo Ben Schöfer und Enno Stahl erinnern an Erasmus Schöfer (10. 10.). Melanie Raabe erzählt die Geschichte zweier ungleicher Freundinnen in „Die Kunst des Verschwindens“ vor(12. 10.). In Ulrike Anna Bleiers Roman „Spukhafte Fernwirkung“ tritt die Welt selbst als Erzählerin auf (2. 11.). Es gibt einen Dieter-Wellershoff-Abend (3. 11.) und Bastian Schneider präsentiert „Das Loch in der Innentasche meines Mantels“ (7. 11.) Am 13.11. ist die Matinee zum „Buch für die Stadt“ mit Nava Ebrahimi. www.literaturhaus-koeln.de

Dies geschieht inmitten eines dampfenden Leipziger Allerleis aus Kunst und Wissenschaft, Eitelkeit und Solidarität, Aufbruch und Reaktion. Männer geben den Ton an. Doch die scheinbar festgefügten Verhältnisse geraten ins Wanken. Das „Sapere aude!“, die Aufforderung „Wage, weise zu sein“, findet neuen Zuspruch. Professor Gottsched ruft es seinen Studenten zu: „Sapere aude, sapperlot!“

Angela Steidele fordert eine „Aufklärung 2.0“

Da wird dann auch die Rolle der Frau neu bedacht. Ein Zeitfenster voller „hochgelahrter Frauenzimmer“ tut sich auf. Mit der Gottschedin, der Salonnière Ziegler, der Theaterprinzipalin Caroline Neuber und Bachs zweiter Ehefrau Anna Magdalena. Es werden sogar – nochmals sapperlot - die Gender-Debatten unserer Gegenwart geführt: „Wer seine Vernunft gebraucht, kann die deutsche Sprache nicht geschlechtergerecht finden. Seine, verstehen Sie?“ Derart verspielt wird im Roman mehr als einmal der Zeit vorgegriffen.

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Leichtfüßig kommt die „Aufklärung“ daher. Und ganz gegenwärtig. Angela Steidele meint, es sei ja „nicht zu fassen“, dass wir uns selbst heute noch mit Trump’schen Fake News und dem Leugnen der Corona-Pandemie auseinandersetzen müssten. Sie stellt fest: „Wir brauchen dringend eine Aufklärung 2.0.“ Es muss eben immer wieder aufs Neue bedacht und geprüft werden, was wahr und richtig ist. Zur Stärkung darf man getrost eine Leipziger Lerche verzehren.

Zum Buch

Angela Steidele: „Aufklärung“, Insel, 604 Seiten, 25 Euro. E-Book: 21,99 Euro.

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