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GastbeitragJürgen Rüttgers über Konrad Adenauers Weg zur Kanzlerschaft

5 min

Der frisch gewählte Bundeskanzler Konrad Adenauer 

Köln – Nach der gewonnenen Bundestagswahl am 14. August 1949 ging es Konrad Adenauer, dem Spitzenkandidaten der Union, darum, eine Mehrheit im Bundestag für eine stabile Bundesregierung zu bekommen. Obwohl er seit langem das Amt des Kanzlers anstrebte, war er sehr zurückhaltend, seine Kandidatur anzukündigen. Er galt nicht umsonst als ein schlauer Fuchs.

Adenauer wusste, dass es in der Union viele Anhänger der Großen Koalition gab. Zweimal traf er sich mit Karl Arnold, dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, der hier eine Große Koalition führte. Für eine Alternative hierzu gab es aber auch Vorgespräche mit dem nordrhein-westfälischen FDP-Vorsitzenden Franz Blücher und Heinrich Hellwege, dem Chef der Deutschen Partei (DP) sowie mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard (CSU). Man war sich einig: Theodor Heuss (FDP) sollte Bundespräsident werden, Konrad Adenauer Bundeskanzler und Hans Ehard Bundesratspräsident.

Rüttgers

Jürgen Rüttgers

Solche Hinterzimmer-Verabredungen waren schon damals sehr schwierig, gab es doch viele, die sich zur Übernahme hoher Ämter berufen fühlten. Aber damit hatte der erfahrene Politiker Adenauer gerechnet. Am 21. August fand deshalb ein informelles Treffen führender Unionspolitiker in seinem Privathaus statt. Es dauerte von 13 bis 18 Uhr. An diesem heißen Sonntag fuhr der sonst so sparsame Adenauer alles auf, was damals möglich war. Teilnehmer waren die Ministerpräsidenten Peter Altmeier aus Rheinland-Pfalz und Gebhard Müller aus Tübingen. Aus dem Frankfurter Wirtschaftsrat waren der Oberdirektor Hermann Josef Pünder und Ludwig Erhard dabei, Abgeordnete wie Robert Pferdmenges, Erich Köhler, Theodor Blank und eine Reihe von Landesvorsitzenden. Aus Bayern waren Staatsminister Anton Pfeiffer, der Landtagspräsident Michael Horlacher sowie der junge CSU-Generalsekretär Franz-Josef Strauß gekommen. Nicht anwesend: der Düsseldorfer Ministerpräsident Karl Arnold.

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Der sonst so sparsame Adenauer fuhr alles auf, was möglich war

In seinem Bericht zur Lage sprach sich Adenauer für eine Minderheitsregierung von CDU/CSU und FDP aus. Als Befürworter der Großen Koalition Kritik an der FDP übten, wartete Adenauer mit dem Vorschlag auf, die Deutsche Partei in eine Koalition einzubeziehen, da Hellwege und Hans-Christoph Seebohm aus der DP „ehrlich und anständig“ seien.

Nachdem eine klare Mehrheit sich gegen den „Regierungsmischmasch“ (Adenauer) einer Großen Koalition ausgesprochen hatte, ging es in eine Pause mit gutem Essen und sehr gutem Wein. Strauß schrieb später in seinen Erinnerungen über „das Edelste vom Edlen, Auslesen, Weine, wie ich sie in meinem Leben noch nicht getrunken hatte“. Nach dem Essen stellte Adenauer dann fest, er habe sich überzeugen lassen, sich als „Bundeskanzler zur Verfügung zu stellen“. Er sei Vorsitzender der CDU in der britischen Zone und habe Verwaltungserfahrung. Außerdem habe ihm sein Arzt gesagt, „für zwei Jahre könne er dies Amt wohl führen“. Es wurden bekanntlich 14 Jahre daraus. In Rhöndorf hatte Adenauer die Weichen gestellt.

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Als am 15. September 1949 die Wahl des ersten Bundeskanzlers stattfand, gab es weder in der CDU/CSU-Fraktion noch in der neuen Koalition eine Einigung über die Ministerliste. Um 9.30 Uhr war ein Zählappell angesetzt, bei dem drei Abgeordnete aus Schleswig-Holstein fehlten. Die Nervosität stieg. Um 11 Uhr begann die Sitzung des Deutschen Bundestages. Adenauer erhält im ersten Wahlgang 202 Stimmen, eine mehr als nach dem Grundgesetz erforderlich. Adenauer hatte sich selbstverständlich selbst gewählt, wie er später gestand. Nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses sagte er leise auf Kölsch zu seinem neben ihm sitzenden Freund Robert Pferdmenges: „Et hätt noch immer jot jejange!“

Die wegweisende Antrittsrede wurde in letzter Minute fertig

Fünf Tage nach seiner Wahl zum ersten Bundeskanzler wurde am 20. September 1949 das neue Bundeskabinett vereidigt. Anschließend gab Adenauer seine erste Regierungserklärung ab. Immer wieder hatte er die Arbeit an dieser wichtigen Rede vor sich her geschoben. Diese Rede sollte und musste den Bürgern den Weg in ein neues demokratisches Deutschland zeigen. Die Regierungserklärung wurde erst in letzter Minute fertig. Sieben Sekretärinnen mussten unter Zeitdruck die Reinschriften der 25 Seiten des Entwurfes fertigen.

Adenauers Politik für den Neuanfang, die er in seiner Regierungserklärung erläuterte, war revolutionär. Sie stellte einen Bruch mit der Politik und den Mythen von Kaiserreich und Drittem Reich dar. Ziele waren die Übernahme der westlichen Werte und die Westbindung Deutschlands, die Demokratisierung von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, die Schaffung des Vereinten Europas und als Folge die Wiedervereinigung sowie der Wiederaufbau durch die soziale Marktwirtschaft.

Zur Koalitionsbildung ohne die SPD sagte Adenauer, ein Bündnis „zwischen den Parteien, die die Planwirtschaft verwerfen, und denjenigen, die sie bejaht haben, würde dem Willen der Mehrheit geradezu entgegen gerichtet gewesen sein.“ Anschließend aber lobte Adenauer die SPD: Es sei abwegig, „der Sozialdemokratischen Partei Vorwürfe zu machen, weil sie sich nicht bereit gefunden hat zu einer Großen Koalition.“ Und er fügte hinzu: „Ich bin der Auffassung, dass die Opposition eine Staatsnotwendigkeit ist, dass nur dadurch, dass Regierungsmehrheit und Opposition einander gegenüberstehen, ein wirklicher Fortschritt und eine Gewöhnung an demokratisches Denken zu erzielen ist. Ich bin weiter der Auffassung: Bei den labilen Verhältnissen, wie sie in Deutschland herrschen, ist es viel richtiger, wenn die immer vorhandene Opposition sich klar im Parlament selbst zeigt, als wenn sie, da infolge einer Großen Koalition im Parlament keine wesentliche Opposition hätte ausgeübt werden können, außerhalb des Parlaments in nicht kontrollierbarer Weise um sich greift.“

Man möchte fast meinen, gerade dieser Rede-Passus könnte heute ebenso gut gehalten werden wie vor 70 Jahren.

Zum Autor unseres Gastbeitrags

Jürgen Rüttgers war Bundesminister für Bildung und Forschung sowie Ministerpräsident von NRW. Er wurde 1951 in Köln geboren.