Interview mit Maria Furtwängler„Frauen sind die Leidtragenden der Corona-Krise“

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Maria Furtwängler findet, dass es mit der Gleichberechtigung nicht weit her sein kann, wenn in der Corona-Krise fast nur männliche Experten zu Wort kommen.

Maria Furtwängler findet, dass es mit der Gleichberechtigung nicht weit her sein kann, wenn in der Corona-Krise fast nur männliche Experten zu Wort kommen.

  • Schauspielerin Maria Furtwängler erzählt, wie sie aus Corona-Frust das neue Comedy-Format „Ausgebremst“ entwickelt hat.
  • Für die Serie hat sie mit vielen prominenten Kolleginnen – von Ulrike Folkerts bis Annette Frier – zusammengearbeitet.
  • Das Format ist eine Solidaritätsaktion für die Aktion #KunstNothilfe, die Kunstschaffenden in der Pandemie hilft.
  • Lesen Sie hier das ganze Interview.
  • „Ausgebremst“ läuft Sonntagnacht 00.05 Uhr in der ARD.

Frau Furtwängler, mit einer fünfteiligen Comedy unter dem vieldeutigen Titel „Ausgebremst“ reagieren Sie auf die Corona-Krise. Wollten Sie sich nicht länger ausbremsen lassen?

Tatsächlich ist das Ganze aus der Situation heraus entstanden, in voller Fahrt eine Notbremsung hinlegen zu müssen. Ich selbst etwa war mitten in einem Kinoprojekt, als der Lockdown kam. Und vielen Kolleginnen und Kollegen ging es ähnlich. Aus gemeinsamen Gesprächen und Frustrationen entwickelte sich die Figur der Beate …

… der Hauptperson, gespielt von Ihnen.

Sie ist Mitinhaberin einer Fahrschule, und ja, sie wird vom Leben ganz jäh ausgebremst: Mann weg, Führerschein weg. Wobei Beate die Rangfolge natürlich umdrehen würde: Das Schlimmste, was einem überhaupt passieren kann, ist doch, nicht mehr Auto fahren zu dürfen, oder? Beate jedenfalls nimmt ihre gesamte Welt vom Fahrersitz aus wahr. Mein Lieblingssatz aus dem Vorrat ihrer Lebensweisheiten lautet: „Stop“ ist keine Empfehlung, sondern ein Gesetz.

Was in der Corona-Krise unversehens für uns alle galt. Hatten Sie den Eindruck, dieser Situation nur noch mit Humor begegnen zu können?

Wir haben überlegt, wie man die frei gewordene Energie, die ausgebremste Kreativität sinnvoll nutzen könnte. Der Gedanke lag nahe, dass wir alle jetzt ein Stück Seelsorge nötig hätten, um uns durch diese Krise hindurch zu manövrieren. So kam es zur Ausgangsidee für die Serie: Eine Telefonseelsorgerin leitet alle eingehenden Video-Anrufe versehentlich auf Beates Nummer um. Die fabelhafte Drehbuchautorin Annette Hess hatte dann die Idee mit der suizidalen Fahrschullehrerin, die selbst mit den Nerven am Ende ist und doch unfreiwillig zur Seelentrösterin wird.

Sie bieten eine illustre Crew auf: Tatort-Kommissarin Ulrike Folkerts als lebensmüde Stuntfrau, Annette Frier als überforderte Mutter. Wie haben Sie die alle zusammengetrommelt?

Wir haben unsere Kontakte zusammengelegt und einfach mal gefragt. So ist wirklich ein Super-Ensemble zusammengekommen – hoch motiviert und zusätzlich beflügelt von der Idee, mit unserer Arbeit auch Kolleginnen und Kollegen helfen zu können. Das Ganze lief dann sehr improvisiert ab. Eine Art „Jam Session“ mit vielen eigenen Einfällen und spontanen Gags, die ursprünglich überhaupt nicht geplant waren.

Zum Beispiel?

In Folge eins setzt Ulrike Folkerts am Ende eine blonde Perücke auf, die eigentlich die Perücke meines Film-Doubles ist. Ich wusste, dass das Teil noch irgendwo sein musste. Meine Maskenbildnerin hat sie dann schnell aus dem Fundus gekramt, und wir haben sie gleich eingesetzt.

Helfen können, sagten Sie eben…

Alle Erlöse aus Werbung und Lizenzen, die TNT mit der Serie erzielt, gehen 1:1 an die Aktion „#KunstNothilfe“ plus eine Spende von 25.000 Euro aus einem Sonderbudget der deutschen TNT-Sender. Sämtliche Schauspielerinnen und Schauspieler, Autorinnen und Autoren haben auf eine Gage verzichtet, und wir verbinden die Ausstrahlung aller Serienteile mit einem Spendenaufruf an die Zuschauerinnen und Zuschauer.

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Nochmal zum Stichwort „ausgebremst“: Die Stiftung „MaLisa“, die Sie mit Ihrer Tochter ins Leben gerufen haben, hat aktuell untersucht, welche Folgen die Corona-Krise speziell für das Verhältnis der Geschlechter zueinander hat. Was war Ihr besonderer Fokus?

Dass Frauen in Familie und Beruf oft die Leidtragenden der Krise waren und sind, wurde bereits vielfach thematisiert. Wir wollten mit der Stiftung ein paar zusätzliche Fakten beisteuern, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass es in der Diskussion eine andere Kraft entfaltet, wenn sie auf der Basis von Daten und Fakten statt von diffusen Gefühlen geführt wird. Deshalb haben wir geschaut, zu welchen Anteilen es Männer und Frauen sind, die in den Medien während der Corona-Krise zu Wort kommen, uns die Welt erklären. Das Ergebnis war frustrierend.

Krisen-Expertise ist männlich?

So muss man das sagen. Von allen Fachleuten in der TV-Information zur Corona-Krise ist nur ein Fünftel weiblich. Und ich muss hinzufügen, dass wir Institutsleiter wie den Chef des Robert-Koch-Instituts oder Chefärzte von vornherein herausgerechnet haben, weil uns gesagt haben: Na gut, die Realität im deutschen Medizinbetrieb ist nun mal so, dass die Chefposten auch bei den Virologen weit überwiegend von Männern besetzt sind. An dieser Realität kommen Sie und Ihre Kollegen bei den anderen Medien schlechterdings nicht vorbei.

Aber?

Das wirklich Schockierende war: Auch unterhalb der Leitungsebene lag der Anteil der Frauen in den Wahrnehmung durch die Medien nur bei 1:4, obwohl Frauen im Gesundheitsbereich viel stärker vertreten sind. Da ist dann schon spürbar etwas faul. Das gilt auch für die Online-Versionen der Printmedien. Da hat die Analyse gezeigt, dass Frauen nur zu rund sieben Prozent als Expertinnen erwähnt wurden. 

Welchen Reim machen Sie sich darauf?

Frauen waren sind in dieser Zeit in ihren Jobs auch ganz besonders gefordert. Ich habe von einer Wissenschaftlerin gehört, die sofort bereit war, im Fernsehen aufzutreten, aber um eine Zuschaltung gebeten hatte, weil sie in der Phase des Lockdowns ihre kleinen Kinder nicht allein zu Hause lassen konnte. Darauf hätten die Redaktionen sich nicht einmal mehr zurückgemeldet, sondern stattdessen umstandslos einen Mann besetzt. Und das, obwohl in Talkshows während der Corona-Zeit durchaus häufiger die Gäste zugeschaltet wurden.

Soll also heißen?

Ich wünsche mir, dass die Verantwortlichen in Zukunft zumindest diesen einen Schritt zusätzlich gehen und sagen, „okay, dann müssen wir eben etwas für die Frau organisieren, ihr ein Stück entgegenkommen oder halt nochmal etwas mehr Zeit für Überzeugungsarbeit innerhalb der Redaktion investieren“. Bislang aber passiert das eben nicht. Und das treibt mich um. Ausgerechnet Medienleute scheinen sich nicht im Klaren zu sein über die Wirkung von Bildern. Statt deren Macht für Bewusstseinsänderungen zu nutzen, werden im Moment alte Stereotype und Rollenzuschreibungen eher noch verfestigt.

Was schlagen Sie vor?

Es würde schon der Blick genügen, wie es in anderen Ländern gemacht wird. Man könnte sich Großbritannien zum Vorbild nehmen. Bei der BBC haben sich die Redaktionen klar dazu bekannt, dass Frauen und Männer 50:50 in ihren Sendungen zu Wort kommen. Das hat der Sender geschafft, auch in der Corona-Krise. Also bitte, geht doch! Das ist eine Frage des Wollens, des Commitments in den Medien, die ganze Gesellschaft in ihrer Vielfalt abzubilden, aber auch des Anspruchs, den die Gesellschaft an die Medien stellt.

Das Gespräch führte Joachim Frank 

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