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Luisa Neubauer im Interview„Menschen sollten aufhören, sich an Greta abzuarbeiten”

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Wer sich für Klimaschutz engagiert, erlebt viel Hass: Davon betroffen ist auch Luisa Neubauer, eine der Haupt-Aktivistinnen der deutschen „Fridays for Future”-Bewegung,

  • Die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer ist eine der Hauptorganisatorinnen der deutschen „Fridays for Future”-Bewegung.
  • Wir haben mit ihr über die humorvolle Greta Thunberg, Hass gegen Klimaschützer und „Fridays for Future“ in Zeiten des Kontaktverbots gesprochen.
  • Und warum es kein Grund zur Freude ist, dass die Natur sich als Folge der Corona-Krise teilweise erholt.
  • Lesen Sie hier das ausführliche Interview.

Frau Neubauer, als kleine Aufwärm-Übung für dieses Interview möchte ich Sie bitten, einige Aussagen zu kommentieren, die über Sie, Greta Thunberg und die FFF-Bewegung häufiger zu lesen sind. Die eine oder andere könnte ihren Puls möglicherweise leicht nach oben treiben. Gerne.

Luisa Neubauer ist die deutsche Greta.

Ich glaube, ich bin eher die deutsche Luisa.

Alles zum Thema Fridays for Future

Luisa Neubauer ist eine hübsche junge Frau.

Wenn es sonst nichts über mich zu sagen gibt.

Luisa Neubauer sollte sich mal lieber um ihr Studium kümmern.

Danke für die Erinnerung. Das Sommersemester hat letzte Woche angefangen, was diejenigen sicherlich wissen, die mir solche tollen Ratschläge erteilen. Beste Grüße aus meinem Master-Semester.

Schulpflicht ist Schulpflicht – und Schwänzen fürs Klima ist nicht in Ordnung.

So etwas sagt bestimmt jemand, der noch nie in seinem Leben geschwänzt hat. Leider verlangt die Klimakrise außergewöhnliche Maßnahmen von uns. Menschen haben die Pflicht, gegen Ungerechtigkeit aufzustehen.

Wir werden das Klimaproblem über technische Innovationen lösen – man darf den Menschen auf keinen Fall etwas verbieten.

Als Studentin sage ich: Willkommen zu Politikwissenschaft, erste Lehrstunde. Ich weiß nicht genau, wie es die Menschen mit Verbots-Aversion mit roten Ampeln halten, aber Regeln zu organisieren, ist eine Kernaufgabe von Regierungen. Außerdem habe ich bisher noch von keinem der vielen Wissenschaftler, mit denen ich gesprochen habe, die Zusage erhalten, dass die Innovationen, die wir bräuchten, um die Krise in angemessenem Umfang zu bekämpfen, vorhanden sind. Wir können nicht auf eine magische Maschine hoffen.

Deutschland hat gerade andere Probleme als den Klimawandel.

Die Klimakrise interessiert es nicht, dass wir mit Corona gerade auch andere Probleme haben. Wir werden lernen müssen, zwei große Krisen gleichzeitig zu meistern.

Wäre Greta nicht noch minderjährig und zudem Autistin, würde sich niemand für sie interessieren.

Das klingt, als käme es von jemandem, der latente Minderwertigkeitskomplexe hat. Abgesehen davon möchte ich die Person sehen, die es schafft, Millionen Menschen auf der ganzen Welt für mehr Klimaschutz zu inspirieren. Dann reden wir weiter.

Sie sind Greta Thunberg bereits mehrfach begegnet. Was hat Sie am meisten an ihr beeindruckt?

Ihre Zielstrebigkeit und ihre Furchtlosigkeit.

Greta wird von manchen vorgeworfen, sie sei ernst und verbissen. Hat Greta auch Humor?

Sie hat einen wirklich ansteckenden, intelligenten Humor. Dinge politisch ernst zu nehmen, heißt ja nicht, dass man persönlich keinen Humor hat. Und ich finde es genau richtig, dass Greta ernst an ihre Sache rangeht, denn die Sache ist nun mal ernst. Es sind die Erwachsenen dieser Welt, die der jüngeren Generation faktisch ins Gesicht lachen, in dem sie die Klimakrise ignorieren.

Greta erntet mindestens genauso viel Verehrung wie Hass. Wie erklären Sie sich den Hass?

Greta ist eine junge Frau, ein Kind fast noch, das uns den Spiegel vorhält, wie wir uns selbst belügen. Das schlechte Gewissen ist schwer zu ertragen und schwappt leicht in Aggression über. Sie ist außerdem die Vertreterin einer Generation, die kategorisch diskriminiert und ignoriert wird und Vertreterin eines Geschlechts, das in dieser Welt verhältnismäßig wenig zu sagen hat. Trotzdem ist sie sie enorm mächtig, weil sie es geschafft hat, durch eine sehr gute Idee und kluge Ansprachen Millionen zu inspirieren. Die Menschen sollten aufhören, sich an Greta abzuarbeiten. Ich stelle es mir nicht nur sehr ermüdend vor, es ist auch kein bisschen zielführend.

Sie sind omnipräsent in der deutschen FFF-Bewegung, werden am häufigsten für Interviews angefragt. Daran gibt es intern auch Kritik. Sind solche internen Debatten nicht nervig, wenn es ums große Ganze geht?

Das ist eine ambivalente Angelegenheit. Es widerspricht ein Stück weit der Natur von Graswurzel-Bewegungen, dass jemand eine so exponierte Rolle einnimmt. Ich bin da sehr selbstkritisch. Gleichzeitig erleben wir, dass es hilfreich sein kann, Identifikationsfiguren zu schaffen, zu denen Menschen einen Bezug herstellen können. Wir versuchen aber immer, das auf mehrere Schultern zu verteilen, zumal der Fokus auf mich ja auch mit großem Druck einhergeht.

Ihnen schlägt viel Hass entgegen – bis hin zu Todesdrohungen.

Das ist so. Ich versuche immer, Menschen mit hoch auf die Bühnen zu holen, auf denen ich stehe, andererseits bin ich auch sehr zwiegespalten, weil ich erlebe, dass dieses Job-Profil teilweise fast unzumutbar ist. Der Hass ist wahnsinnig, und ich finde es irritierend, wie sehr dieser Hass normalisiert wird. Darum spreche ich darüber sehr oft, auch damit die Menschen nicht denken, das würde ich nicht mitbekommen. Ich bin kein Roboter, ohne Gefühle. Und schon gar keine Heldin.

Gab es Momente, in denen Sie daran gedacht haben, Ihren Aktivismus hinzuschmeißen?

Nein. Es ist wirklich anstrengend teilweise, ich trage viel Verantwortung und viele Erwartungen richten sich an mich. Für das alles bin ich noch sehr jung, finde ich. Und manchmal denke ich schon ein wenig melancholisch darüber nach, wie das war, als ich noch Luisa war und nicht Luisa Neubauer. Aber ich mache das ja, weil ich überzeugt bin von der Sache und das motiviert mich jeden Tag. Niemandem wäre damit geholfen, wenn ich sagen würde: War zwar okay, aber ein stückweit zu anstrengend. Macht mal ohne mich weiter.

Die Klimakrise stand lange Zeit obenauf der Agenda. Jetzt steht die Corona-Krise dort und Massendemos sind verboten. Herber kann der Rückschlag für die FFF-Bewegung nicht sein, oder?

Zuallererst ist Corona ein herber Rückschlag für die Menschheit. Als Bewegung sind wir aber tatsächlich doppelt betroffen. Aber da wir als Bewegung krisenerprobt sind, haben wir in den vergangenen Wochen viele andere Wege ausprobiert, um der Klimakrise Aufmerksamkeit zu verschaffen. Wir haben aber auch dazu aufgerufen, die Corona-Krise gerecht und solidarisch zu bewältigen und Masken zu tragen. Und das mit dem Massenprotest haben wir am vergangenen Freitag doch sehr kreativ hinbekommen.

Sie haben Tausende Protestplakate auf der Wiese vor dem Berliner Reichstag ausgelegt – anstelle von Menschen. Wollen Sie jetzt jeden Freitag so demonstrieren?

Das wird nicht gehen. Diese Plakataktion war ein riesiger Aufwand. Wir haben 100 Sammelstellen in Berliner Supermärkten eingerichtet um Plakate einzusammeln, wir mussten sie in Quarantäne lagern, mit Fahrzeugen vor den Reichstag bringen, alles in Abstimmung mit dem Gesundheits- und Grünflächenamt und der Versammlungsbehörde. Versuchen Sie mal, eine Drohnengenehmigung vor dem Bundestag zu bekommen. Was wir aber regelmäßig fortsetzen wollen, ist der Netzstreik – sicherlich auch nochmal mit Livestream. Wir ermutigen außerdem alle, digitale Räume zu füllen und Botschaften im Netz zu platzieren.

Ohne Bilder von Tausenden Menschen auf der Straße dürfte es trotzdem schwierig sein, Druck aufzubauen.

Stimmt. Denn der öffentliche Raum ist nun mal der Ort, wo sich eine kritische Öffentlichkeit normalerweise versammelt, um Druck aufzubauen. Und der ist jetzt verschlossen. Das ist nicht nur ein Problem von FFF, es ist ein urdemokratisches Problem: Wie schafft man es, in einer Gesellschaft, sich stark zu machen, gegen Ungerechtigkeiten aufzubegehren, wenn das an den üblichen Orte nicht mehr möglich ist? Der digitale Raum ist nicht nur zunehmend unübersichtlich und latent überfüllt, sondern auch viel leichter zu ignorieren.

In Köln wurden die Freitags-Demos kurz vor Corona eingestellt. Ist die Bewegung aus Frust eingeschlafen?

Zunächst einmal möchte ich daran erinnern, dass wir 15 Monate durchgestreikt haben, obwohl wir jeden Monat für tot erklärt wurden. Es gab immer eine gewisse Fluktuation, zwischen den großen globalen Streiks waren weniger Menschen auf den Straßen als sonst. Aber Fakt ist auch, dass ein signifikanter Teil der jungen Generation hochgradig deprimierende Erfahrungen mit der politischen Champions League gemacht hat. Klar sorgt das für Frust. Zumal wir ja nicht gefordert haben, dass man irgendwelche Träume erfüllt, sondern lediglich, dass ein von der Regierung selbst verhandeltes Klima-Abkommen eingehalten wird. Das ist alles andere als radikal, träumerisch oder selbstherrlich, sondern könnte banaler fast nicht sein.

Richard David Precht bedauert, dass in der Coronakrise in rasendem Tempo Maßnahmen beschlossen werden, während jede kleine Maßnahme für den Klimaschutz gefühlt ewig dauert. Bedauern Sie das auch?

Die Coronakrise wird als Krise ernst genommen und die Klimakrise nicht, darüber könnte ich mich wahnsinnig aufregen. Allerdings ist aufregen wenig hilfreich. Jetzt sehen wir, dass wenn der Wille da ist, ganz Vieles möglich ist. Wir sollten nun aufmerksam hingucken und uns Notizen zu machen. Denn wir werden diese politische Bereitschaft, diese systemische und demokratische Agilität als Modus auch brauchen, um die Klimakrise zu bewältigen. Damit meine ich keinesfalls, dass wir die Klimakrise eins zu eins so wie die Coronakrise bewältigen müssen, dafür sind die Krisen viel zu unterschiedlich. Mir geht es um den Modus dahinter.

Sie wollen die Politiker daran erinnern, was möglich ist?

Ja. Wäre gerade die Zeit für Peinlichkeiten, wäre wirklich peinlich, welche Ausreden FFF in den letzten anderthalb Jahren vorgehalten wurde, wie uns erklärt wurde, was alles nicht geht. FFF wurde ja regelrecht als antidemokratisch diskreditiert. Uns wurde zum Beispiel vorgeworfen, wir würden ein Tempo beim Umbau fordern, das nach demokratischen Regeln nicht machbar wäre.

Wie geht der deutschen FFF-Bewegung gerade?

Unser Arbeitsmodus hat sich durch Corona nur teilweise verändert. Wir haben schon immer online konferiert und uns quasi vom Kinderzimmer aus organisiert. Aber gerade ist die Sorge groß, dass man es in der akuten Corona-Krise verpasst, wichtige Weichen zu stellen für den Klimaschutz. Schon jetzt ist zu beobachten, dass die großen Industrien dafür sorgen, dass ihre Schäfchen ins Trockene geholt werden. Es ist ja kein Zufall, dass Autohäuser wieder öffnen dürfen, man wieder über eine Abwrack-Prämie spricht oder dass die Verpackungsindustrie fragt, ob man das Verbot von Einwegplastik nicht verschieben kann. Wenn im Corona-Trubel niemand darauf achtet, werden viele versuchen, wichtige Klimaschutz-Vereinbarungen zu stoppen oder zu verlangsamen.

Wie lautet der FFF-Appell?

Wir appellieren an die mündigen und aufgeklärten Menschen und Entscheidungsträger, die uns zugehört haben oder zumindest verstehen, dass die Klimakrise sich nicht entschleunigt oder sich von selbst erledigt, weil wir andere Sachen im Kopf haben. Wir setzen darauf, dass Menschen verstanden haben, dass auch die Klimakrise ein gigantisches Gesundheitsrisiko ist. Wir sollten nicht krampfhaft versuchen, uns den Weg zurück erkämpfen in eine Normalität, die nie eine Normalität war. Denn auch vor Corona waren wir schon in der Krise. Wir haben jetzt die Chance, die Milliarden an Konjukturhilfen, die wir ausgeben werden, so zu investieren, dass unsere Gesellschaft gerechter, nachhaltiger und langfristig krisenfester wird.

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Umweltschützer stellen fest, dass die Natur sich teilweise erholt als Folge der Corona-Krise. Freut Sie das?

Nein, Freude wäre völlig unangebracht. Es ist trügerisch und kontraproduktiv, anzunehmen, dass man dem Klima gerade einen Gefallen tut. Es ist ja keine Überraschung, dass Emissionen sinken, wenn Industrien zusammenbrechen. Der derzeitige Emissionseinbruch ist auf lange Zeit betrachtet marginal im Kontext dessen, was wir für den Klimaschutz bräuchten. Darauf kann man sich unter keinen Umständen ausruhen. Außerdem hat dieser Zustand nichts mit politischem Willen zu tun. Es stimmt aber, dass zum Beispiel die Lärmbelastung geringer wird und Menschen mehr Fahrrad fahren. In diesem Kontext hat die Entschleunigung etwas punktuell Erholendes. Die wichtige Frage ist jetzt: Wie schaffen wir es, möglichst viel von diesen lebensbejahenden Effekten beizubehalten?

Die Gesichter der Klimaschutz-Bewegung sind auffällig jung und weiblich. Ist es feministisch, das hervorzuheben oder das Gegenteil, weil man das bei Männern niemals tun würde?

Wenn man noch im Patriarchat lebt, und das tun wir, kann man das ruhig betonen. Ich finde es auch logisch, dass es junge Frauen sind, die den Status Quo anfechten, weil sie den größten Grund zur Unzufriedenheit haben, weil sie Altersdiskriminierung und Sexismus erleben und sich weigern, den „business as usual“ weiter zu machen.

Was machen Sie heute noch konkret, um das Klima zu retten?

Ich werde mich mit unserem nächsten Klimastreik beschäftigen. Denn der wird kommen, nach dem Klimastreik ist immer vor dem Klimastreik. Und ich schreibe an meinem nächsten Buch. Da wird das Klima natürlich auch wieder eine große Rolle spielen.

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