Premiere am Schauspiel KölnDer Sommer, die Liebe und der Tod

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Madame Nielsen

Köln – Als „visuelles Hörbuch“ kündigt das Schauspiel Köln die Lucia Bihlers Inszenierung von Madame Nielsens „Der endlose Sommer“ an – die für den März 2020 geplante Theaterproduktion war eines der ersten künstlerischen Opfer der Pandemie.

Nun sitzt uns im Stream die Autorin selbst gegenüber und spricht, mit dem süßlispelnden Akzent der Dänin,  den ersten Satz ihres Romans: „Der Junge, der vielleicht ein Mädchen ist, es aber noch nicht weiß.“ 

Ihr Gesicht ist zum Memento mori ausgemergelt, ihr champagnerfarbenes Kleid wirft umso üppiger Falten, die alte Meister zu Höchstleistungen  anspornen sollten. Links und rechts rahmen Orchideen  das Tableau zum Triptychon. Das beschreibt Bihlers Theaterfilm sehr viel besser: Er ist weniger bebildertes Hörbuch als eine Abfolge sorgfältig in Szene gesetzter Tableaux vivants, also Nachstellungen berühmter Gemälde durch lebende Personen, wie man sie aus Goethes „Wahlverwandtschaften“ oder aus dem „Festival of Living Art“ kennt, das alljährlich im beschaulichen Örtchen der „Gilmore Girls“ gefeiert wird.

Wie unter Narkose

Das Mäandernde des Romans,  der die erotischen Verstrickungen einer kleinen Gruppe aus zarten Jünglingen, jungen Mädchen, aufbäumenden Ehefrauen und portugiesischen Brieffreunden verfolgt, als hätte Eric Rohmer Marcel Proust verfilmt, hat Bihler der Verständlichkeit halber begradigt. Die Mutter verliebt sich in den jüngeren Fremden, der ziellose, gleichwohl wunderschöne Lars stirbt an Aids, sonst passiert nicht viel.

Doch das Nicht-Geschehen ist herrlich. Was die Erzählung dem Lauf der Zeit enthebt, versteckt sich in den lebenden Bildern. Die Schauspieler – Yuri Englert, Melanie Kretschmann, Nicolas Lehni, Hannah Müller und Anton Weil – sprechen wie unter Narkose, Jacob Suskes Musik dazu ist ein Tripp ins Innere.

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Es sind holländische Stillleben in der Neuinterpretation von Jeff Koons: Finger vergraben sich ins Innere eines Granatapfels, Orangen umfloren Madame Nielsens Kopf wie einen Strahlenkranz, Eidotter zerlaufen über angewinkelte Unterarme. Überall entdeckt man Vanitas-Motive: Der Tod ist diesem Endlossommer von Anfang an eingeschrieben. 

Endlich spricht Madame Nielsen die letzten Worte des Romans: „Aus dem Wort sollst du wiederauferstehen.“ Sie seufzt und verzieht den Mund zu einem Grinsen.

Am 16. Juni ist „Der endlose Sommer“ ab 18 Uhr abrufbar unter www.schauspiel.koeln

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