Schnarchen für das schlafende JesuskindPianist Aimard begeistert in Köln mit Messiaen

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Pi­erre-Lau­rent Aimard

Pi­erre-Lau­rent Aimard

Köln – Olivier Messiaens „Vingt Regards sur l“Enfant Jésus“ sind eine Art pianistisches Weihnachtsoratorium, eine gut zweistündige, perspektivenreiche Huldigung an den neugeborenen Erlöser. „20 Blicke auf das Jesuskind“ lautet der Titel im Deutschen; gelegentlich liest man statt „Blicke auf“ auch „Betrachtungen über“, was die Sache eigentlich noch besser trifft: Mehr als um die unmittelbare sinnliche Anschauung geht es hier um die spirituelle, kontemplative Versenkung und - immer wieder - die vitale, ekstatische Umarmung durch die gläubig-liebende Seele.

Die „Regards“, unbestritten eines der bedeutendsten Klavierwerke des 20. Jahrhunderts, entstanden 1944, wenige Jahre, bevor Messiaen zum großen Influencer der europäischen Nachkriegs-Avantgarde wurde. Der gab er mit dem Zyklus freilich eine harte Nuss zu knacken: Neben kühnen, richtungsweisenden Strukturideen zeigen die 20 Sätze auch ein hohes Maß an klangtrunkener Frömmigkeit, nicht selten an der Grenze zum tönenden Sakralkitsch. Dazu kommen Anklänge an Melodik und Rhythmik der orientalischen Musik und die Gesänge der Vögel, jener gefiederten Himmelsbewohner, denen zeitlebens Messiaens besondere Liebe galt.

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Die bruchlose Verbindung dieser höchst heterogenen Stil- und Gestaltelemente gehört zu Olivier Messiaens einzigartiger Künstlerpersönlichkeit. Und damit kennt sich niemand besser aus als der Pianist und Kölner Hochschullehrer Pierre-Laurent Aimard. Er war schon als Teenager Protegé und Schüler des Meisters und seiner Ehefrau, der Pianistin Yvonne Loriod, mit der er die „Regards“ einstudierte. Immer wieder hat sich Aimard mit dem 177 Druckseiten umfassenden Monumentalwerk auseinandergesetzt - nun auch in der Kölner Philharmonie, wo ein erstaunlich großer Hörerkreis der fesselnden Darstellung mit mäuschenstiller Aufmerksamkeit folgte.

Die „Regards“ fordern weniger den Avantgarde-Spezialisten als den Virtuosen-Typ alter Schule, den Aimard - trotz seiner Verdienste um die Neue Musik - mit jeder Faser seines pianistischen Naturells vertritt. Sein lockerer Schwung, seine rhythmische Stabilität, seine unfehlbare Griffsicherheit sorgten noch in den schwierigsten Passagen für phänomenale Klarheit. Messiaens hochgetürmte Akkordkomplexe, in denen manches Substanz, manches Farbe, manches auch einfach nur komponierter Lichtreflex ist, gliederten sich unter seinen Händen mit überwältigender Leuchtkraft auf. Die zentralen Motive, die über den ganzen Zyklus hinweg wie Monstranzen vorgezeigt werden, büßten in Aimard nachdrücklicher Deklamation bis zum Schluss nichts von ihrer prägenden, emblematischen Kraft ein.

Symbiose von Werk und Interpretation

Man erlebte hier eine Symbiose von Werk und Interpretation, wie sie stärker, überzeugender kaum zu denken ist. Aimards restlose Hingabe äußerte sich übrigens auch in einem durchaus gewöhnungsbedürftigen Schnauben, das sich zuweilen wie Schnarchen anhörte. Besonders markant wirkte dieser akustische Zusatz beim vorletzten Satz, der ausgerechnet dem schlafenden Jesuskind gewidmet ist.

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