Gürzenich-OrchesterMit Beethoven auf umjubelter Europa-Tournee

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Gürzenich

Das Gürzenich-Orchester auf dem Podium des Lyoner Auditoriums

Lyon/Köln – Durch Lyon wehen heitere erste Frühlingslüfte – klar, die schöne Stadt am Zusammenfluss von Rhône und Saône ist das französische Tor zum Süden, zum Midi. Die Umgebung des Maurice Ravel Auditorium im Geschäftsviertel La Part-Dieu mutet hingegen eher unwirtlich an. Lyons repräsentatives Konzerthaus ist derzeit eingebettet in eine riesige innerstädtische Baustelle; und das Gebäude selbst wirkt in seinem massigen Spannbeton-Brutalismus von 1975 zumal am Abend abweisend-trutzburgartig – von außen jedenfalls.

Drinnen ändert sich der Eindruck sofort, helles freundliches Holz empfängt den Besucher im Rund des Konzertsaals. Wo sich in der Kölner Philharmonie der Block Z befindet, thront in Lyon die Cavaillé-Coll-Orgel aus dem 19. Jahrhundert, die einst die Pariser Trocadéro-Konzerthalle zierte. „Das ist ein schöner Saal mit einer ziemlich guten Akustik“, sagt Kölns Generalmusikdirektor François-Xavier Roth, der sich anschickt, das Gürzenich-Orchester zum hiesigen Debüt-Konzert zu führen: „Er war lange der einzige Saal in Frankreich, in dem man gut Sinfonisches machen kann.“

Pianist Pierre-Laurent Aimard stammt aus Lyon

Das Orchester wird es zu schätzen wissen, Lyon ist die zweite Station seiner Europatournee mit der jüngst im Abokonzert aus der Taufe gehobenen „neuen Beethoven-Akademie“ zum Jubiläumsjahr. Ein Lokal-Schmankerl: Pierre-Laurent Aimard, Pianist des Projekts, der neben Modernem Beethoven-Auszüge mit und ohne Orchester interpretiert (Mondschein-Sonate, fünftes Konzert, Bagatellen, Sonate Opus 111), stammt aus Lyon.

Roth ist bekanntlich Pariser, aber mit der Rhône-Stadt dank vieler eigener Auftritte gut vertraut: Die Vorschau des Auditoriums belehrt, dass er dort am 24. März erneut auftritt – mit dem London Symphony Orchestra, dessen erster Gastdirigent er ist. „Ja, ja, in Lyon passiert kulturell viel“, merkt er an – und verweist auf die glanzvolle Musiktradition der Stadt, für die zwei Namen stehen: das Orchestre National de Lyon, dessen Heimstatt das Auditorium ist und dem Maestri wie Emmanuel Krivine, Jun Märkl und Leonard Slatkin vorstanden, sowie die Opéra National de Lyon, die von John Eliot Gardiner, Kent Nagano, Louis Langrée und Iván Fischer geleitet und in der Kritikerumfrage der „Opernwelt“ zum „Opernhaus des Jahres“ der Saison 2016/17 gewählt wurde.

Das Orchester gibt zum Einstand sein Bestes

Lyon ist also wahrlich keine Provinz, und gerade das Musikangebot kann sich mit dem jeder europäischen Metropole messen. Entsprechend gibt das Gürzenich-Orchester zum Einstand für ein mutmaßlich anspruchsvolles Publikum sein hörbar Bestes. Die Performance erweckt den Eindruck, die Musiker spielten um ihr Leben: Spannung, Energie, Intensität – all das scheint gegenüber den Kölner Aufführungen noch um einige Grade gesteigert. Sicher ist die Akustik „anders“ – der Saal streichelt das Blech, während die tiefen Streicher etwas indirekt klingen –, aber damit kommt das Orchester zusehends gut zurecht. Roth selbst tut das Seinige hinzu: In der Einleitung zu Beethovens vierter Sinfonie wird eine Pause in einer Weise gedehnt, dass es an den Nerven des Zuhörers reißt. Gibt es an der Spielqualität also nichts auszusetzen, so könnte immerhin die Agenda Ablehnung provozieren. Denn Beethoven wird hier mit „Neutönern“ mit Lachenmann, Zimmermann, Mundry und Filidei in fließenden Übergängen kombiniert. Wie zu hören ist, hatten am Abend zuvor Teile des konservativen Münchner Konzertpublikums in der Prinzregentenhalle Vorbehalte (während die Musikkritik die innovativ-experimentelle Kraft des Programms jenseits der üblichen Feierroutine mit starken Worten lobte). Auch im Orchester selbst wird die Causa leidenschaftlich debattiert.

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Weil in Lyon die Leute ungewohnterweise in der Pause meist auf ihren Sitzen ausharren, ergibt sich die Gelegenheit, durch Rechts-und-Links-Fragen ein Stimmungsbild zu ermitteln. Die Waagschale neigt sich dabei entschieden zugunsten der Kölner Gäste. „Wir sind keine Experten in neuer Musik“, teilen zwei Studenten mit, „aber in dieser Kombination hört man eben auch Beethoven anders und neu.“

Sicher: Wenn der originale Beethoven kommt, geht ganz leicht ein Ruck der Genugtuung durch die Reihen – aha, das kennen wir, mag man die Geste deuten. Aber nur ganz wenige Besucher gehen vorzeitig, auch bei den Modernen wird nicht gehustet, bleibt der Aufmerksamkeitspegel hoch. Und der Beifall nach Zimmermanns „Photoptosis“ kommt spontan und herzlich.

Für London gab es eine Programmumstellung

Es folgen die Tourneestationen London (Southbank Centre) und – an Rosenmontag – die Hamburger Elbphilharmonie. In London musste man umstellen – die Gastgeber hatten, was eigentlich nicht im Sinn des Erfinders war, Beethovens fünftes Klavierkonzert komplett gewünscht. Dem Erfolg tat dies – den Presseberichten zufolge – keinen Abbruch. „Sollte jemand“, schrieb der „Guardian“-Kritiker, „in diesem Jahr zur Feier Beethovens noch einen erfindungsstärkeren Weg einschlagen als Roth und das Gürzenich-Orchester, wäre ich äußerst überrascht.“

Und in der Elbphilharmonie war den Kölnern selbstredend bewusst, dass man dort jeden falschen Ton hört. Falsche Töne gab es offensichtlich aber nur sehr wenige: „Mit so einem Programm hätte die Elphi eröffnet werden müssen“, ließ ein Hamburger Insider verlauten.

Der zweitägige Lyon-Aufenthalt des Berichterstatters wurde vom Gürzenich-Orchester finanziert.

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