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Tafel-Chefin bei Anne Will„Senioren können nicht einfach dickeren Pullover anziehen“

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Werth bei Will

Sabine Werth, Gründerin und Vorsitzende der Berliner Tafel 

ARD-Talkmasterin Anne Will ließ am Sonntagabend über das von der Ampel-Koalition angekündigte dritte Entlastungspaket diskutieren. „Milliardenschwerer 'Doppel-Wumms' gegen die Krise – Muss sich jetzt niemand mehr sorgen?“, wollte Will von ihren Gästen wissen. In der Runde saßen Kevin Kühnert (SPD-Generalsekretär), Christian Dürr (FDP-Fraktionschef), Andreas Jung (CDU-Vize), Sabine Werth von der Berliner Tafel und Antje Höning von der „Rheinischen Post“.

Dass sich mit der Ankündigung des dritten Entlastungspakets niemand mehr sorgen müsse, ist natürlich als rhetorische Frage zu verstehen, die von der ehrenamtlichen Tafel-Chefin Werth klar beantwortet wird. Die Zustände in den ärmeren Bevölkerungsgruppen angesichts der Preissteigerungen in allen Lebensbereichen beschreibt sie als dramatisch. „Ich weiß von einer Mutter, die den ganzen Tag über so wenig wie möglich isst, damit ihre Kinder noch was zu essen haben. Das ist doch kein Zustand! Die ersten Entlastungspakete waren für meine Begriffe zu sehr mit der Gießkanne“, kritisiert sie die Politik.

Wenn jemand Hartz IV beziehe, habe derjenige in der Regel gar kein Auto, sei also von der Entlastung bei den Spritpreisen nicht betroffen gewesen. 

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Zudem sorgt sich Werth um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Leute würden weniger Lebensmittel als früher erhalten. Sie erlebe, dass die Menschen, die zur Tafel kommen, zunehmend Unmut über die Flüchtlinge aus der Ukraine äußern würden. „Das ist ein Problem“, sagt Werth. Man müsse versuchen, die Menschen zurückzugewinnen, die momentan auf die Straße gehen. „Im Augenblick fallen viele auf diese enormen Populisten unserer Nation rein, weil sie das Gefühl haben, das sind Menschen, die verstehen mich, die können nachvollziehen, wie schlecht es mir geht. Und das ist keine Lösung“, erklärt Werth.

Man müsse diese Menschen zurückgewinnen, um die Demokratie zu retten. Das könne geschehen, indem zielgerichtetere Entlastungen kämen. Die empfohlenen Maßnahmen zum Energiesparen könnten auch nicht von jeder und jedem umgesetzt werden. Ältere Menschen, die den ganzen Tag zuhause sitzen, könnten nicht einfach die Heizung runterdrosseln. „Die können nicht einfach einen dickeren Pullover oder eine Jacke anziehen, das ist eine Lösung für jüngere Menschen vielleicht“, so Werth. Auch eine alleinerziehende Mutter mit kleinen Kindern könne nicht einfach weniger heizen

Kevin Kühnert spricht von Markus Söders „Schulhof-Prügelei“ mit Olaf Scholz

Die Vertreter der Regierungsparteien in der Runde nicken bei Werths Ausführungen durchgängig verständnisvoll. Dürr sagt, seine Frau helfe selber bei der Tafel mit. Kühnert bekräftigt: „Für die Menschen ist im Moment wichtig, dass das Notwendige gemacht wird.“ Eine Kommission arbeite jetzt daran, wie die Milliarden des dritten Entlastungspakets konkret eingesetzt werden könnten. Natürlich müsse aber insgesamt beim Energieverbrauch gespart werden, der Staat könne nicht alle Lasten übernehmen. 

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Kühnert und Dürr, die sich weitgehend einig sind, liefern sich ein Wortgefecht mit CDU-Politiker Jung. Es geht um Altlasten der früheren Regierungen, aber auch um die Reaktionen auf das neue Entlastungspaket. „Wenn ich Markus Söder nehme, der einfach ankündigt, er nimmt das ganze Entlastungspaket im Bundesrat in Geiselhaft, weil er eine kleine Schulhofprügelei mit Olaf Scholz anfangen möchte“, so der Kühnert, „dann ist das unverantwortlich.“ Söder (CSU) hatte angekündigt, die Länder sähen sich zu stark belastet, man werde das Entlastungspaket so nicht akzeptieren. (cme)

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