Regisseurin Anna-Sophie Mahler denkt in „Requiem für eine marode Brücke“ über Stadtplanung und kaputte Infrastruktur nach.
Theaterpremiere in KolumbaKölns Zukunft, aus dem Trümmerfeld heraus betrachtet

Szenenbild aus „Requiem für eine marode Brücke“ im Kölner Kolumba-Museum.
Copyright: Birgit Hupfeld
Durch eine schmale, zu niedrige Tür in der Rückseite des Kolumba stolpern die Besucher ins Geschehen, werden sogleich auf den schmalen Steg über dem Ausgrabungsfeld im Boden der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kirche geleitet. Dort haben sich Sängerinnen und Sänger des Experimentalchor Alte Stimmen verteilt, imitieren die Geräuschkulisse der nahen Nord-Süd-Fahrt: brausen, hupen, auf die Bremse drücken. Jetzt erklimmen drei Schauspieler – Paula Carbonell Spörk, Benjamin Höppner, Hasti Molavian – Stelen im Ausgrabungsfeld, rezitierten unter Trümmern, inmitten von Mauerresten, die zum Teil noch aus Kölns Gründungsjahren stammen, die Klagen der Stadtentwicklungsexperten.
Wie konnte es überhaupt so weit kommen in Deutschland? Wann haben wir verlernt, unsere Infrastruktur zu pflegen und ihre nachhaltige Transformation zu steuern? Brücken in die Zukunft zu bauen, statt marode Überwege zum letztmöglichen Zeitpunkt zu sanieren? Der Chor fällt in die Klage ein, mit Brahms' Deutschen Requiem: „Das Gras ist verdorret/und die Blume abgefallen“ – und Benjamin Höppner fallen dazu die gelben Parkwiesen aus den trockenen Jahrhundertsommern ein.
Provokante Thesen, tröstende Chöre
„Requiem für eine marode Brücke“ hat die Regisseurin Anna Sophie Mahler ihr zusammen mit Viola Köster konzipiertes Singspiel genannt, für das das Kolumba zur Außenstelle des Kölner Schauspiels wird, näher kann das Theater dem Offenbachplatz derzeit noch nicht kommen. Idealerweise sollten der Zumthor-Bau als selbst ernanntes Museum der Nachdenklichkeit, die teils provokanten Thesen der Experten und die angstlindernde Wirkung des Brahms'schen Chorwerkes – „Selig sind die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden“, heißt es dort – eng ineinandergreifen, das eingerostete Zahnradgetriebe urbaner Innovation wieder in Gang setzen.
Alles zum Thema Erzbistum Köln
- Theaterpremiere in Kolumba Kölns Zukunft, aus dem Trümmerfeld heraus betrachtet
- Beton marode Darum war der Kirchturm von St. Wendelinus in Berrenrath über Wochen verhüllt
- „Von oben herab“ Adveniat kritisiert Merz' Worte über Klima-Gastgeber als symptomatisch
- Kölner Baby-Klappe Letzter Ausweg Moses-Fenster
- Der besondere Blick Hans Peter Barrig schreibt 500 Seiten starkes Heimatbuch zu Eitorf-Käsberg
- Omas gegen Rechts Die Zülpicher Gruppe setzt sich für Gerechtigkeit und Demokratie ein
- Licht-Installation In Porz sorgten Künstler für besonderes Leuchten
Praktischerweise ruckelte der Rundgang an einigen Stellen gewaltig, lösten sich eindrückliche Bilder – etwa der im Garten stimmungsvoll angeleuchtete Alte-Stimmen-Chor – mit organisatorischen Widrigkeiten und Leerlauf ab. Typisch Köln, eigentlich. Im Foyer wird das Publikum in drei Gruppen aufgeteilt und erlebt je nach Gruppe einen unterschiedlichen Vortrag über innere Sicherheit, gerechte Stadtentwicklung oder die sich selbst im Weg stehende Verwaltung, sodass man sich am Ende unweigerlich fragt, was man wohl Wichtiges verpasst hat. Zuvor müssen aber noch Mäntel und Taschen abgegeben werden, wer will, darf sich einen kleinen Kaktus nehmen, muss den dann aber auch bis zum Schlussbild mit sich herumtragen.

Paula Carbonell Spörk im Ausgrabungsfeld von St. Kolumba
Copyright: Birgit Hupfeld
Paula Carbonell Spörk führt ihre Gruppe als Professorin für Rechtswissenschaften und Oberst der Reserve zuerst in den Windfang am Eingang des Museums. Hier steht ein offener, verrosteter Sicherheitsschrank des Beuys-Schülers Felix Droese. „Was macht das jetzt mit uns?“, will die Schauspielerin wissen. Genau: „Wir fühlen uns unsicher.“ Dann geht es mit dem Lastenaufzug in den zweiten Stock, doch der fährt erst einmal ins Untergeschoss, ein Zuschauer war an die Schalttafel gekommen – dicht gedrängt und mit Kaktus in der Hand geht es abwärts, ein triftiges, wenn auch unfreiwilliges Bild der Gesamtlage.
Im holzvertäfelten Lesezimmer des Kolumba kann der Vortrag endlich fortgesetzt werden. Es geht um Glasfasern und Gasleitungen, um das Schienennetz und um Kriegs- und Katastrophenbereitschaft, vor allem jedoch geht es um fehlende Redundanzen, um das unglamouröse und nicht wahlkampftaugliche Thema der Absicherung, auch darum, dass Wachstum nur etwas bringt, wenn man in bleibende Werte investiert hat. Paula Carbonell Spörk ist erst Anfang 20, aber die etwas barsche, hart urteilende Professorin kauft man ihr sofort ab. Dann bricht sie ab, sie sei gleich zurück, durch die offene Tür dringen Brahms-Gesänge ins Zimmer. Ist das so gewollt (die Antwort ist: ja) oder lauscht man einem anderen Drittel der Aufführung? Die Expertin kehrt mit Pauke zurück, trommelt lautstark für „ein bisschen mehr Versorgungssicherheit“.
Jetzt findet das aufgeteilte Publikum wieder zusammen, nimmt, dem Jugendensemble der Kölner Dommusik folgend, rund um die rührend-naive „Cowboy mit Pferd“-Skulptur des Essener Bergmanns Erich Bödeker Platz. „Wie lieblich sind deine Wohnungen!“, hatte der Jugendchor gelobt, prompt hält Höppner, als Professor für Stadtentwicklung, einen Impulsvortrag zum Thema Wohnungsnot und auch zur aus den Weltkriegstrümmern entstandenen autogerechten Stadt. Einer Stadt, von Männern für Männer geschaffen, „oben durften die Autos schnell fahren, unten mussten die Frauen die Kinderwagen mühsam über die Treppen schleppen“.
Wohin mit dem Auto, dem einzigen privaten Gegenstand, der im öffentlichen Raum erlaubt ist? Wie das Recht auf Landschaft, das auch Städter haben, durchsetzen. Ein Leitbild sei wie ein Licht im Nebel, sagt Höppner, schon wird der Saal kräftig eingenebelt und aus dem dichten Dunst tritt die Mezzosopranistin Hasti Molavian und singt unterm Schleier von Traurigkeit und Trost.
Auch der Alte-Stimmen- und der Jugendchor singen jetzt zusammen, bilden die eben noch geforderte Generationengerechtigkeit ab. Die Alten tragen Kappen, aus denen Pflanzen wachsen, die Jungen floral dekorierte Trainingskleidung, die Kirchentag-Assoziationen weckt. Reichlich salbungsvoll verkündet schließlich ein Engel – jetzt mit Bowie statt mit Brahms – die unmittelbare Ankunft eines „Starman“.
Heilserwartungen sind aber nur ein Symptom ungelöster Probleme, und so hinterlässt der Abend einen fragmentarischen, unfertigen Eindruck, von dem außer dem Erlebnis Kolumba und einer diffusen Ahnung, was man dringend besser machen müsste, wenig bleibt.

