Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

ZDF-Doku „Unser Krieg“Die Smartphone-Sicht von Afghanistan

Lesezeit 5 Minuten

Sonnenuntergang über dem Feldlager Mazar e Sharif.

Köln – Seine braunen Augen sind leer. Tief, und doch leer, so sehen die Augen von Johannes Clair aus, Fallschirmjäger, von 2010 bis 2011 in Afghanistan. "Das sind Eindrücke, die mich bis heute nicht loslassen", sagt er, und dann sieht man gewaltige Detonationen, da explodiert der Boden, Autos und Gemäuer werden weggerissen. Clair und seine Kameraden sind mittendrin.

Der Bundesnachrichtendienst (BND) war nach Medieninformationen im afghanisch-sowjetischen Krieg in den 1980er Jahren in Afghanistan und Pakistan aktiv. Das belegten Recherchen des ZDF. Über mehrere Jahre waren demnach BND-Agenten im Zuge der streng geheimen Operation „Sommerregen“ in Afghanistan und dem benachbarten Pakistan aktiv.

Aufgabe der Geheimdienstler war es demnach, in Afghanistan eingesetzte sowjetische Militärtechnologie zu beschaffen. (afp)

Mit diesen Szenen beginnt am Mittwochabend Teil 1 des 45-minütigen ZDF-Zweiteilers "Unser Krieg", eine zutiefst bedrückende Dokumentation über den Afghanistan-Kampfeinsatz der Bundeswehr - die erste deutsche Offensive seit dem Zweiten Weltkrieg.

Frische Brunnen sollten die bis zu 5300 am Hindukusch stationierten Deutschen bohren, Mädchenschulen bauen, nach dem Jahrhundertanschlag auf das World Trade Center dem angegriffenen Verbündeten zur Seite stehen. Da war der Traum vom schnellen Sieg, der Gedanke an die Jagd auf Terroristen, die den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder von "uneingeschränkter Solidarität" mit den USA sprechen ließen.

Privataufnahmen junger Männer

Ungewöhnlich nah zeichnet die Doku den blutigen Einsatz nach, zeigt Privataufnahmen der jungen Männer, die ihre Sichtweise des Krieges mit Smartphones festgehalten haben. Eindringlich, schonungslos erzählen sie von ihren Erinnerungen, vom Trauma. "Man verlor manchmal den Überblick, wer wo auf wen geschossen hat", sagt Tim Fochen. Man sieht ihn im Graben liegen, und da, behelmt und in Kampfmontur, ist er ein ganz anderer Mensch als in den Interview-Szenen mit gräulich-neutralem Hintergrund und heimeliger Beleuchtung. "In Gedanken ist man da nur bei Frau und Kind."

Im Januar 2002 begrüßen afghanische Soldaten die Deutschen in Kabul, der Hauptstadt eines Landes, damals ohne staatliche Strukturen, ohne soziale Ordnung. "Da sind wir erstmal rumgefahren wie die Friseure", sagt Hauptfeldwebel Christian Neumann in die Kamera, man sieht ihn und seine Kameraden von Militärfahrzeugen winken, für die Kinder in Kabul gibt es Bonbons. Erst als Selbstmordattentäter ins deutsche Lager in Kabul eindringen wollen, als Schüsse fallen, als Fotos entstehen, die in der Heimat unter Verschluss gehalten werden sollen, damit keine Unruhe entsteht - da wendet sich die Stimmung am Hindukusch, es ist das Jahr 2003.

Illusion der Kontrolle

Zehn Jahre später, nach unzähligen Explosionen durch Sprengfallen und Attentate, sind die Deutschen immer noch da. 54 Bundeswehr-Soldaten starben in Afghanistan. Sergej Motz' Mutter, sie steht am Grab und weint um ihren Jungen - der in einem Feuergefecht erschossen wurde - ist eine von vielen, die nun lernen müssen, mit dem schweren Verlust zu leben.

Buch: Michael Renz, Christian Deick

Kamera: Zeljko Pehar, Anthony Miller, Alexander Alfes

Weitere Sendetermine: 23.10. (2.20 Uhr) oder in der ZDF-Mediathek

Teil 2: 22.10. (20.15 Uhr)

Seit 2005 ist der gesamte Norden Afghanistans unter deutschem Kommando. "Es war illusorisch, dieses Gebiet kontrollieren zu können", sagt Marc Lindemann retrospektiv, er war 2005 und 2009 in Afghanistan. Und auch Karl-Theodor zu Guttenberg, Ex-Verteidigungsminister räumt in der Doku ein: "Wir haben da fürchterlich rumgeeiert mit Realitäten." Während in Deutschland bereits über den Sinn des Einsatzes diskutiert wird, darüber, ob nicht schon zu viel passiert ist, verlängert eine Mehrheit im Bundestag Jahr für Jahr das Mandat.

Der Kampfeinsatz am Hindukusch - längst ist er mehr geworden als der Auftrag zur Stabilisierung eines völlig aus den Fugen geratenen Staates. Längst ist die Bundeswehr vor Ort ins Fadenkreuz der Taliban geraten, längst haben deutsche Kämpfer Panzerfaustraketen über die eigenen Autos hinwegfegen sehen, manche waren nur 50 Zentimeter zu hoch. "Wenn ich sagen würde, dass ich keine Angst hatte, würde ich lügen", sagt Feldwebel Jens Hölzle.

Der Bundestag stimmt der Entsendung von bis zu 1200 Soldaten im Rahmen der Internationalen Schutztruppe Isaf zu. Sie sollen helfen, das Land nach dem Sturz der Taliban zu stabilisieren.

Die Bundeswehr beginnt ihren Einsatz im nordafghanischen Kundus. Es ist das erste Mal, dass die Isaf ihr Einsatzgebiet über die Hauptstadt Kabul hinaus ausweitet.

Die Bundeswehr beginnt offiziell ihren Einsatz in Feisabad, der Hauptstadt der entlegenen nordostafghanischen Provinz Badachschan.

Deutschland übernimmt das Isaf-Kommando für Nordafghanistan. Regionales Hauptquartier wird das Camp Marmal, das größte Feldlager der Bundeswehr außerhalb Deutschlands.

Bei einem Taliban-Selbstmordanschlag auf dem Markt in Kundus werden drei deutsche Soldaten getötet. Dies gilt als Wendepunkt in der bis dahin relativ sicheren Provinz. September 2009: Bei einem von der Bundeswehr angeordneten Luftangriff auf zwei gekaperte Tanklastzüge in Kundus sterben mehr als 100 Menschen, darunter viele Zivilisten. Als Folge verlieren ein Minister, ein Staatssekretär und der Generalinspekteur der Bundeswehr ihre Jobs.

Bei den schwersten Gefechten bis dahin in der Geschichte der Bundeswehr werden drei deutsche Soldaten in einem Hinterhalt der Taliban getötet.

Januar: Der Bundestag beschließt den Beginn des Bundeswehr-Abzugs.

Oktober: Die Bundeswehr übergibt das Feldlager in Feisabad an die afghanischen Sicherheitskräfte.

Die Bundeswehr übergibt das Feldlager Kundus an die Afghanen. Damit endet der deutsche Einsatz in der Provinz. Als letztes Feldlager im Norden bleibt nun Masar-i-Scharif. (dpa)

20 Milliarden Euro soll den deutschen Steuerzahler der Versuch gekostet haben, in Afghanistan für Sicherheit zu sorgen. Noch unvorstellbarer scheint die schwere Last der Erinnerungen.

Das zermürbende Warten auf den nächsten Angriff hat Johannes Clair auf dem Außenposten "Höhe 432" mit seinem Smartphone festgehalten. Für die Freundin daheim hat er ein Video gedreht, "das ist hier Erste-Weltkriegs-Feeling", sagt er da, " und hier ist mein Bett, das linke, und hier kochen wir, hier der Innenhof, dort unser Maschinengewehr, immer griffbereit." Clair spricht, wie als wäre das alles ein Abenteuer. Ein Klassenausflug.

Wie tief dieser Kampfeinsatz in seiner Seele verankert ist, man kann es nur in seinen Augen sehen.