Bonner Oper mit Franchettis „Asrael“Ungenießbarer Religionskitsch

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Szene aus Franchettis „Asrael“.

Bonn – In seiner Projektreihe „Fokus ’33“ widmet sich die Bonner Oper Werken des Musiktheaters aus dem ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert, die heute (überwiegend) verschollen sind und deren neuerliches Erscheinen auf der Bühne dem Publikum daher wie eine Uraufführung vorkommen muss. Da ist keine Marotte am Werk, sondern die hochberechtigte und in ihrer Dringlichkeit immer wieder erneuerte Frage nach Kanon-Formierung und -Revision bzw. nach den Bedingungen, unter denen sie erfolgen. Warum verschwand diese Oper trotz oft genug erfolgreichen Starts mittel- und langfristig in der Versenkung und jene nicht?

„Fokus ’33“ zielt selbstredend auf die gewaltsame Kanon-Revision – sprich: Unterdrückung der Opern jüdischer oder künstlerisch „entarteter“ Komponisten – durch die Nationalsozialisten. Aber sind wirklich immer die Nazis schuld daran, wenn wir dies und das heute nicht mehr hören? „Asrael“ zum Beispiel, die Erstlingsoper des Italieners Alberto Franchetti, mit der er 1888 debütierte und die jetzt in Bonn eine Wiederauferstehung erlebt, kam bereits in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg außer Kurs – wie Franchettis übriges Werk auch. Das sein Schöpfer Jude war, spielte dabei (noch) eine untergeordnete Rolle; Puccini und keiner sonst war der Star der damaligen italienischen Opernszene.

Franchettis Oper leiht von Verdi und Wagner

Warum aber nicht Franchetti? Diese Frage läuft irgendwie immer mit, wenn man der mit großer Opulenz, mit Glut und Leidenschaft auf den Weg gebrachten Produktion folgt. An der Musik kann es nicht oder doch weniger liegen: Die synthetisiert gekonnt – böse gesagt: fügt eklektisch zusammen – italienische, deutsche und französische Traditionen. Viel Verdi ist da in den Kantilenen, Grand Opéra im Gepräge, und der Wagner-Einfluss ist vor allem in der Harmonik des in Deutschland ausgebildeten Franchetti spürbar. Die Liebesszene zwischen Asrael und Loretta im dritten Akt gemahnt an „Tristan“, die ganze Strecke hingegen, nicht nur weil sie in Brabant spielt, an „Lohengrin“: In der Konstellation Loretta/Lidoria scheint diejenige von Elsa und Ortrud durch.

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Nächste Aufführungen: 22. Oktober, 6., 11., 27. November, 8. Dezember

Franchetti platziert auch personenbezogene Leitmotive, die aber, anders als bei Wagner, als starre emblematische Formeln platziert werden. Insgesamt ist sein musikalischer Satz noch durch die überkommene „quadratische“ Periodenstruktur bestimmt. Und trotz sorgfältig inszenierter Übergänge scheint auch die Nummernoper immer noch durch. Während sich das Solopersonal auf vier, fünf Personen beschränkt, ist der Choranteil überwältigend. Der Chor gibt – als Mitakteur in Gestalt von Engeln, Teufeln und irdischem Personal wie als Kommentator nach Art der attischen Tragödie – dem Ganzen fast das Gepräge eines Oratoriums.

Kein Stück für eine säkularisierte Welt

Was also hat dem Stück – so es die Musik als solche nicht war – den Hals gebrochen? Die Bonner Produktion legt zumindest eine starke Vermutung nahe: Es ist das Libretto um die Figur des in jüdischen Texten der Spätantike auftauchenden Engels Asrael, der, in die Hölle verschleppt, sich nach seiner himmlischen Liebe Nefta sehnt, durch einen Pakt mit dem Satan (Faust lässt grüßen) zur Suche in der Oberwelt freigestellt wird, sich aber auf der Erde anderweitig verstrickt und am Ende dann doch durch die Fürsprache Neftas erlöst wird. Genauer: Es sind die Fallstricke dieser Legendenhandlung, denen sich auch der Komponist nicht entwinden konnte.

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Pavel Kudinov in seiner Rolle als Il Padre.

Franchettis Sakralton macht es eben alles vorbehaltlos mit: Da tönt die Orgel, jauchzen die Himmelsgeigen, erklingen Gebete und Choräle. Es ist entschieden too much, konfrontiert den Hörer mit einer Glaubenswelt, an die er in säkularisierten Zeiten nicht mehr glaubt (genauso wenig wie der Komponist). Es überredet, aber überzeugt nicht, es ist, mit einem Wort, ein ziemlich ungenießbarer Religionskitsch. Da liegt dann auch der Unterschied etwa zu Verdi: Während bei dem die „Preghiera“ zur dramaturgisch legitimen Äußerungsform von Menschen (zumal Frauen) in äußerster Bedrängnis wird, soll man sie bei Franchetti eins zu eins nehmen. Wodurch sie zur Zumutung gerät.

Christopher Aldens mit Ironie und Lautstärke

Die Inszenierung von Christopher Alden vermag das Ganze nicht zu retten, obgleich sie ironisch gegenzusteuern sucht: Allein dadurch, dass hier Gott, Teufel und König von Brabant von einem einzigen Sänger dargestellt werden und das Bühnenbild, eine klassizistisch anmutende Palasthalle (Charles Edwards), für Hölle, Erde und Himmel über vier Akte hinweg das nämliche bleibt, entsteht der Eindruck, dass die Figuren wie die Sphären mehr oder weniger identisch sind. Der Himmel wird zum anderen der Hölle. Und am Ende stirbt – die eigentliche Erlösung? – Gott/Satan sogar.

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Die Aufführung ist, wie gesagt, eindringlich und eindrücklich, glut- und kraftvoll, dabei auch ziemlich laut. Wer direkt vor dem links im Opernhaus selbst platzierten Chor sitzt, bekommt mit, dass der unerachtet aller Potenz zuweilen etwas rustikal brüllt. Die Solostimmen (Peter Auty als Asrael, Svetlana Kasyan als Nefta, Khatuna Mikaberidze als Loretta, Tamara Gura als Lidoria und Pavel Kudinov als Gott/Satan/König) bringen allesamt Wagner-affine Power und Durchschlagskraft mit, wenn auch hier die Gesangskultur im engeren Sinn zuweilen Wünsche offen lässt. Von Hermes Helfricht am Pult des Beethoven Orchesters geht ein beständiger starker Energiestrom aus. Einhelliger Schlussbeifall.

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