Filmproduzent Artur Brauner gestorbenMahner gegen das Vergessen

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Artur Brauner in seiner Wohnung in Berlin.

Berlin – Stets nobel gekleidet und mit charakteristischem Menjou-Bärtchen war Artur Brauner ein fester Bestandteil des Berliner Gesellschaftslebens. Seiner Filmfirma CCC steht mittlerweile die Tochter Alice Brauner vor, der gesamte Studioanteil der ersten deutschen Netflix-Serie, „Dark“, wurde zu Beginn 2017 vollständig in den CCC Filmstudios gedreht. Sein Erbe ist in sicheren Händen.

Der Typus des Filmproduzenten ist in erster Linie eine Hervorbringung Hollywoods. Haudegen vom Schlage eines David O. Selznick oder Walt Disney geboten über ihre Studios wie Könige über Imperien. In Deutschland gab und gibt es Typen von solchen Format eher selten. Bernd Eichinger war einer von ihnen. Und Artur Brauner, der unter allen bedeutenden deutschen Filmschaffenden noch am wenigsten Grund gehabt hätte, in diesem Land zu bleiben.

Geboren in Lodz

Brauner wurde am 1. August 1918 in Lodz geboren, der alten Industriestadt, die es ein halbes Jahrhundert zuvor erlaubt hatte, dass auch Juden in ihren Fabriken arbeiten durften. Zum Zeitpunkt von Brauners Geburt gehörte Lodz noch zum sogenannten Regentschaftskönigreich unter der Kontrolle der Kriegsalliierten Deutschland und Österreich-Ungarn. Diese endete im November 1918, so das Abraham, wie Artur damals noch hieß, in der Polnischen Republik des Marschalls Pilsudski heranwuchs.

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Offenbar war er schon als Kind und Jugendlicher ein eifriger Kinogänger – so ist es jedenfalls in Brauners Memoiren unter dem Titel „Mich gibt’s nur einmal“ zu lesen. Seine besondere Vorliebe galt dem Western, und ihr verdankt er sein Leben. Als die Deutschen 1939 Polen überfielen, war das Land unfreier als jemals zuvor. Es war ein „Bloodland“, ein Hauptschauplatz der Judenverfolgung und der systematischen Ermordung. In Brauners Heimatstadt Lodz wurde ein Ghetto errichtet, und er selbst entkam der Begegnung mit einem bewaffneten SS-Mann am Fluss Bug nur, indem er sich an eine Szene in einem Western mit Gary Cooper erinnerte. Darin überwältigt der Held seine Gegner durch einen Überraschungscoup und stößt sie ins Wasser. Genauso machte es Brauner mit dem Nazi, dessen Maschinengewehr gleich mit in die Fluten flog, und danach gab es nur eins: „Rennen, rennen, rennen.“

Widerstand gegen einen SS-Mann

Der Moment, in dem er sich erfolgreich gegen den SS-Schergen zur Wehr setzte, ist eine Schlüsselsituation in Artur Brauners Biografie, er dürfte von überragender Bedeutung für sein weiteres Leben gewesen sein, auch für die Entscheidung, es seinen Eltern nicht nachzutun und nach dem Krieg nach Israel auszuwandern, sondern ausgerechnet in Deutschland zu bleiben – dem Land, das nahezu 50 seiner Angehörigen umgebracht hatte. Brauner ließ sich im Westen Berlins nieder, und es war sein erklärtes Anliegen und das Ziel gleich seines ersten wichtigen Films, die Geschichte dem so beängstigend rasch grassierenden Vergessen zu entreißen.

„Morituri“ erzählt von der Flucht aus einem Konzentrationslager der Nazis auf osteuropäischem Gebiet, und der Film wurde in Deutschland ein einziger Misserfolg. Und nicht allein das: Plakate, die unter anderem den damaligen Leinwand-Debütanten Klaus Kinski zeigten, wurden wutentbrannt zerrissen, Brauner und sein Regisseur Eugen York mussten sich anhören, „Nestbeschmutzer“ zu sein. Mehrere gefällige, aber kommerziell erfolgreiche Filme waren nötig, den finanziellen Schaden wieder wettzumachen, aber genau damit war die Strategie des Produzenten Artur Brauner geboren.

Quer durch alle Genres

Er brachte quer durch die Genres alles auf die Leinwand, was dem Publikumsgeschmack der 50er Jahre entsprach: Komödien wie „Der Onkel aus Amerika“ nach dem gleichnamigen Bühnenstück, Revuen wie „Liebe, Tanz und 1000 Schlager“ mit Peter Alexander, Heimattümelndes wie „Du mein stilles Tal“ mit dem normannischen Kleiderschrank Curd Jürgen, dies dann schon als Farbfilm in Eastmancolor – die CCC, Brauners Central Cinema Company mit Sitz auf dem Gelände einer ehemaligen Versuchsanstalt für chemische Kampfstoffe in Berlin-Haselhorst, war auf Expansionskurs, auch wenn man europäische Maßstäbe anlegt. Produktionen wie „Der Raub der Sabinerinnen“ und andere wie Karl-May-Verfilmungen und Edgar-Wallace-Krimis brachten die Stars der damaligen Zeit wie Paul Hörbiger, Gustav Knuth, Fita Benkhoff, Hans Albers, Heinz Rühmann und Maria Schell zusammen.

Doch das war nur die eine Seite von Brauners Mischkalkulation. Auf der anderen Seite verfolgte er seine selbsterwählte Lebensaufgabe, mit den Mitteln des Films Aufklärung über die Verbrechen des Nationalsozialismus zu betreiben. Filme wie „Babij Jar“ und „Die Weiße Rose“ sind moralische Positionsbestimmung und Geschichtserzählung zugleich.

Die Wut des Gerechten

Noch im hohen Alter packte ihn die Wut des Gerechten darüber, dass die Deutschen seine mit einem Golden Globe gekürte Produktion „Hitlerjunge Salomon“ in der Regie von Agnieszka Holland nicht auch zum Oscar eingereicht haben – da seien den Verantwortlichen wohl zu viele Polen im Spiel gewesen. Als Krönung seines Filmschaffens empfindet er es hingegen, dass die israelische Gedenkstätte Yad Vashem 2010 eine Mediathek eingerichtet hat, die sämtliche seiner Filme mit Bezug zur Shoah zeigt. Der Jude Artur Brauner wurde am Ende des Ersten Weltkriegs geboren, sein Jahrhundert wurde verdunkelt vom größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Er hat sich davon nicht unterkriegen lassen, im Gegenteil: Brauner hat alles dafür getan, dass die Opfer wieder ein Gesicht und eine Stimme bekommen. Er hätte es als Studioboss vermutlich auch in Hollywood zu etwas gebracht. Gut, dass er in Deutschland geblieben ist, und hier ist er fast so alt geworden, wie es den Film als Gattung selbst gibt. Artur Brauner ist am Sonntag laut einer Meldung der „Bild-Zeitung im Alter von 100 Jahren gestorben.

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