Gregor Gysi im Interview vor der Phil.cologne„Talk-Shows waren meine einzige Chance“

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In seinem Element: Gregor Gysi bei einer Rede auf der Wahlparty von Die Linke.

  • Warum ist politische Sprache oft so schwer verständlich? Und welche Rolle spielen die Medien dabei?
  • Der Linken-Politiker Gregor Gysi hat sich in seinem neuen Buch „Was Politiker nicht sagen ... weil es um Mehrheiten und nicht um Wahrheiten geht“ Gedanken darüber gemacht. Am Donnerstag ist er auf der phil.cologne zu Gast.
  • Im Interview spricht Gysi über die Fähigkeit, Politik zu übersetzen, sein ambivalentes Verhältnis zu Talk-Shows und die Existenzkrise seiner Partei.

Herr Gysi, ihr neues Buch trägt einen provokanten Titel: „Was Politiker nicht sagen ... weil es um Mehrheiten und nicht um Wahrheiten geht“ Kann man mit der Wahrheit keine Mehrheiten gewinnen? Gregor Gysi: Man kann gelegentlich auch mit Wahrheiten Mehrheiten gewinnen und gelegentlich nicht. Aber ich nenne Ihnen mal ein ganz einfaches Beispiel: Beim Bundestagswahlkampf 1990 wollte Oskar Lafontaine von der SPD Kanzler werden. Der sagte damals: Die deutsche Einheit wird teuer. Und Helmut Kohl sagte: Nein, es werden blühende Landschaften entstehen. Wer hatte Recht und wer hat gewonnen?

Der zweite Konstruktionsfehler in der Politik besteht in folgendem Problem: Wenn SPD, Grüne und FDP eine politische Entscheidung treffen, haben Sie dafür ihre Beweggründe. Der zweite Tagesordnungspunkt nach der Entscheidung lautet aber: Wie verkaufen wir die Entscheidung am besten der Bevölkerung? Es wird sich eine Argumentation zurechtgelegt, von der man meint, dass eine Mehrheit der Bevölkerung sie am ehesten trägt.

Sie schreiben: „Die politische Sprache ist zunehmend hohl geworden.“ Woran liegt das?

Zum einen liegt es an den Medien. Zumindest in Rundfunk und Fernsehen wird von Politikerinnen und Politkern verlangt, sich sehr kurz zu äußern. Eine vertiefende Erklärung wird scheinbar gar nicht mehr benötigt. Man gewöhnt sich daran, so zu sprechen. Ich sage immer: Ich schreibe Bücher, um zu testen, ob ich noch über 1:30 Minuten hinausdenken kann. Das zweite ist, dass die Sprache falsch ist, weil Politikerinnen und Politiker zu selten übersetzen. Es wird etwa über die Veräußerungserlösgewinnsteuer geredet, aber keiner sagt, was das eigentlich ist.

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Ist die fehlende Übersetzungsleistung Absicht oder Unvermögen?

Ich glaube, bei einigen wird es Absicht sein und die anderen kommen gar nicht auf die Idee, dass sie ihre Politik übersetzen müssen. Als Anwalt habe ich mit Mandantinnen und Mandanten aus allen möglichen Schichten zu tun gehabt. Dabei habe ich gelernt, wie wichtig das Übersetzen ist. Und deswegen mache ich das auch in der Politik. Nicht weil ich die Leute für dumm halte, sondern weil ich allgemeinverständlich sein will.

Sie sind berühmt für ihre rhetorischen Fähigkeiten. Kann man das eigentlich lernen?

Ein bisschen kann man das wahrscheinlich lernen und ein bisschen ist es eine Frage der Begabung. Aber es ist interessant: In der DDR, aber auch in Westdeutschland spielte Rhetorik so gut wie gar keine Rolle. In ganz Deutschland gab es nach dem Zweiten Weltkrieg nur einen Lehrstuhl für Rhetorik. Dadurch, dass Hitler, Goebbels und andere ihre rhetorische Begabung massiv missbraucht haben, hat die Rhetorik in Deutschland eine negative Einschätzung erfahren. Trotzdem sage ich, dass wir uns wieder mit Rhetorik beschäftigen müssen. Weil es bei der Rhetorik eben darum geht, verständlich zu sprechen, so dass die Leute den Politikerinnen und Politikern zuhören wollen. Gleichzeitig dürfen wir dabei nicht vergessen, wie stark die Rhetorik missbraucht werden kann.

Wer ist aktuell das größte rhetorische Talent im Bundestag?

Schwer zu sagen. Die rhetorischen Leistungen sind ja sehr unterschiedlich. Ich finde zum Beispiel Friedrich Merz interessant. Der hat zwar eine sehr einheitliche Tonlage beim Sprechen, aber er schafft es, Pausen zu setzen und die richtige Betonung zu finden. Dadurch macht er es seinen Zuhörerinnen und Zuhörern leicht. Auch Olaf Scholz kann man ab und zu gut zuhören. Und zwar dann, wenn er ausnahmsweise mal leidenschaftlich wird. Das ist zwar selten der Fall, aber dann gibt es Momenten in seinen Reden, die ich spannend finde.

Phil.Colgogne startet

Das internationale Festival für Philosophie Phil.cologne findet seit 2013 jährlich in Köln statt. Zu Gast sind Philosophen, Schriftsteller, Künstler und Publizisten, um über die philosophischen, gesellschaftlichen und politischen Themen der Gegenwart zu diskutieren. Dieses Jahr wird die Phil.Cologne vom 8.Juni bis zum 14. Juni ausgerichtet. Insgesamt gibt es 37 Diskussionsrunden zu entdecken. 

Los geht es am Mittwochabend um 18 Uhr im WDR Funkhaus. Dort sprechen Gerald Knaus, Gerd Koenen, Reinhard Merkel und Julian Nida-Rümelin über Deutschlands Rolle im Ukraine-Krieg.

Gregor Gysi wird am Donnerstag, den 9.Juni, im WDR Funkhaus mit Marie-Christine Knop über sein neues Buch sprechen. Weitere Highlights sind etwa die Begegnung zwischen dem Satiriker Florian Schroeder und Peter Sloterdijk am 13. Juni und das Gespräch mit Bildungsforscher Aladin El-Mafaalani über Rassismus, Diskriminierung und soziale Ungleichheit am Samstag, dem 11. Juni.

Eine Programmübersicht und Tickets finden Sie hier. (fho)

Sie kritisieren in ihrem Buch die immer schnelllebigere Mediengesellschaft. Vor allem in Talk-Shows gehe es vor allem um Oberflächlichkeiten. Trotzdem sind Sie selbst oft in Talk-Shows zu sehen. Warum?

Talk-Shows waren ab 1990 die einzige Chance, die Akzeptanz für mich und meine politischen Positionen zu vergrößern. Die große Mehrheit lehnte mich damals strikt ab – in Ost und West. Aus dem Bundestag wurden von mir damals zwei Reden im Jahr übertragen, das wars. Deswegen bin ich in Talk-Shows gegangen. Und dort war ich gern gesehen, denn ich erfüllte, wie man mir erklärte, eine sogenannte Doppelquote. Das heißt, dass Leute einschalteten, die mich sehr mochten und Leute, die mich zutiefst ablehnten. Von der zweiten Gruppe bekamen die Redaktionen dann zwar böse Faxe. Aber die Quote stimmte. Und für mich war es die einzige Chance, die Leute von mir zu überzeugen. Aus Vergnügen bin ich dort aber nicht hingegangen, so ein Talk-Show-Termin kann mir sehr gut den Abend versauen.

Beschleunigt wird die Schnelllebigkeit durch die Digitalisierung und die sozialen Medien. Wie blicken Sie darauf?

Es gibt zwei Probleme: Das eine ist, dass sich der wirtschaftliche Druck auf klassische Medien durch die Digitalisierung verstärkt hat. Dadurch gibt es immer weniger Journalistinnen und Journalisten, gründliche Recherche wird schwieriger und seltener. Das andere ist: Wir werden den sozialen Medien rechtlich nicht gerecht. Ich bin mal davon ausgegangen, dass die sozialen Medien das Herrschaftswissen brechen werden. Und das stimmt ja auch. Heute haben viel mehr Menschen die Chance, ihre Stimme zu erheben und gehört zu werden. Das Problem ist nur, dass es in den sozialen Medien so viele Falschmeldungen gibt, dass wir dem nicht mehr Herr werden. Eigentlich brauchen wir eine Einrichtung wie die Stiftung Warentest. Also eine Institution, die man fragen kann, ob eine Meldung wahr oder falsch ist, nachdem man sie gelesen hat. Ich weiß auch noch nicht, wie man so eine Einrichtung aufbauen soll. Die müsste ja völlig unabhängig sein. Aber wir sollten uns immerhin Gedanken darüber machen.

Sie sind nach wie vor einer der beliebtesten Politiker des Landes. Ihrer Partei geht es allerdings alles andere als gut. Könnten Sie sich vorstellen, nochmal ein wichtiges Amt zu übernehmen? Etwa den Parteivorstand?

Auf gar keinen Fall. Hören Sie mal zu: Ich bin 74 Jahre alt.

Der amerikanische Präsident Joe Biden ist 79.

Ja, das ist wahr. Also Präsident der USA, das würde ich auch noch machen (lacht). Nein, aber wissen Sie, ich führe Gespräche mit vielen Abgeordneten in meiner Fraktion. Und ich werde auf dem Parteitag sprechen und dort versuchen, meine Partei aufzurütteln. Ich fühle mich moralisch mitverantwortlich dafür, dass die Linke diese Existenzkrise überwindet. Denn ich bin überzeugt, dass Deutschland eine Partei links von der Sozialdemokratie braucht. 

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