Kolumne Deutschland-CocktailDer Verrat des Westens an Syrien

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Lamya Kaddor

Köln  – Hört endlich auf! Hört auf, zu mahnen und zu warnen! Hört auf, zu kritisieren und zu appellieren, zu verurteilen oder zu bemitleiden! Wenn sich Minister, Regierungschefs oder Staatsoberhäupter zum Krieg in Syrien äußern, ist das für Menschen, die sich für dieses Land interessieren oder gar – wie ich – familiäre Wurzeln dort haben, inzwischen kaum mehr zu ertragen. Wenn sich dann auch noch António Guterres, der als Generalsekretär der Vereinten Nationen den Kriegsverlauf allenfalls in homöopathischen Dosen zu beeinflussen vermag, in seinen Allgemeinplätzen ergeht, spätestens dann schlägt der Frust beinah in Wut um.

Nur Gerede statt Taten

Seit Jahren wird geredet und geredet, um den Krieg in Syrien zu beenden. Das Reden ist hohles Gerede. Jedes einzelne Wort, jede Silbe ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen, jeder Satz nur Selbstberuhigung, jede Phrase Wichtigtuerei oder Propaganda. Selbst wenn die Bundeskanzlerin Angela Merkel wie zuletzt überraschend scharf von „Massakern“ spricht, lässt das nur kurz aufhorchen. Allzu schnell gehen die Aussagen wieder im Morast des internationalen politischen Versagens unter, verhallen im Nichts der Tatenlosigkeit, legen sich wie Mehltau auf die Blätter der Zukunft Syriens.

Friedenskonferenzen sind bloßer Aktionismus

Zugleich wird der Popanz angeblicher Friedenskonferenzen errichtet, an denen die eigentlichen Kriegsakteure nicht einmal alle teilnehmen. Die Millionen Dollar teuren Treffen in Genf, Astana, Sotschi sind purer Aktionismus. Solange die „Garantiemächte für Syrien“ – Russland, Iran und die Türkei – widerstreitende Interessen verfolgen, gibt es keine Lösung. Selbst der UN-Sicherheitsrat ist kaum mehr als eine Karikatur. Während die Mitglieder um Punkt und Komma feilschen, um die Positionen von Veto-Mächten zusammenzubringen, die nicht zusammenpassen, ziehen traumatisierte Mütter und Väter Kinder aus den Trümmern ihrer Wohnungen oder wickeln Leichen in Plastikfolie und reihen sie in makabrer Ordnung auf den kahlen Böden heruntergekommener Lagerräume auf.

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Der Verrat an Syrien1

Ein Mitglied der syrischen Hilfsorganisation Weißhelme trägt in Ost-Ghouta ein bei einem Angriff verwundetes Mädchen. 

Aktuell soll es auf Betreiben der UN eine Feuerpause geben, was zumindest hilfreich wäre, um die schlimmste Not der Menschen zu lindern. Aber wenn solche Zugeständnisse alles sind, was das mächtigste Gremium der Weltgemeinschaft zustande bringt, stellt sich die Frage, welche Bedeutung es überhaupt noch hat.

Bankrotterklärung des Westens

Die Zeit der Worte ist längst vorbei. Reden um des Redens willen, Konferenzen um der Konferenzen willen sind keine Alternative. Doch was dann? Ich weiß es auch nicht. Ich weiß nur: Solange die Politiker im Westen es mit ihren Friedensbemühungen dabei belassen, steigern sie nur die Verbitterung und die Verachtung für ihr Geschwätz. Ich jedenfalls mag ihre Klage über die Opfer und die Empörung der einen über die Politik der anderen nicht mehr hören.

Auch ohne konkretes Handeln wird der Krieg irgendwann enden, ja. Nämlich dann, wenn das Assad-Regime in Damaskus mit Hilfe Russlands und Irans seine Macht im ganzen Land wiedererlangt hat. Oder Syrien wird als Failed State zur bleibenden Heimstatt für Terror und zum Ursprungsort neuer Fluchtgründe. Wir alle sind Zeugen einer moralischen Bankrotterklärung und eines realpolitischen Verrats des Westens – an Syrien und an der Menschheit. 

Unsere Kolumnistin, geb. 1978 in Ahlen, ist Islamwissenschaftlerin und Religionspädagogin. 2010 gründete sie den Liberal-Islamischen Bund. Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ schreibt Lamya Kaddor über Interkulturalität und Integration.

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