Bürgermeisterin auf Hallig Hooge„Bei Hochwasser ist man auf sich allein gestellt“

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Foto Just

Katja Just

  • Katja Just (44) zog vor 20 Jahren von München auf die Hallig Hooge und ist seit kurzem Bürgermeisterin.
  • In wenigen Tagen erscheint ihr zweites Buch über das Leben im Wattenmeer.
  • Warum sie sich von Hochwasser und eher schweigsamen Halligbewohnern nicht abschrecken lässt, erzählt sie im Interview.

Frau Just, Sie leben auf der Hallig Hooge zusammen mit nur 100 anderen Menschen und haben nun das zweite Buch darüber geschrieben. Das ist doch eine diplomatische Höchstleistung, dass Sie noch nicht verjagt oder verklagt wurden.

Katja Just: Na ja, das zweite Buch ist ja noch nicht raus. Nein ernsthaft, ich habe bisher keine beunruhigenden Rückmeldungen bekommen. Es hat sich natürlich der eine oder andere wiedererkannt, aber eher mit Humor.

Dabei schreiben Sie, eine Hallig sei wie ein Kartenhaus mit dünnen Papierwänden. Sind Halligmenschen anders als Festlandsbewohner?

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Sie sind manchmal etwas forscher. Da kann ich aber drüber schmunzeln. Das hat mit den Lebensumständen auf einer Hallig zu tun. Wir sind hier Naturgewalten ausgesetzt, da kann man nicht lange warten und Gänseblümchen pflücken. Da muss man manchmal Kaktus sein. Langes Rumgeeier kann man sich auf einer Hallig nicht leisten.

Sie leben jetzt seit rund 20 Jahren auf der Hallig. Ist man dann angekommen?

Das ist sehr unterschiedlich. Manchmal ist mir der Tag meines Umzugs aus München noch ganz nah. Ich entdecke hier immer noch Neues. Ich bewundere die alten Halligleute für ihren Blick für das Watt. Die können jedes Jahr sagen, wie sich das Watt an welcher Stelle verändert hat. Oder wo jetzt mehr Muscheln liegen. Das saugen die mit der Muttermilch auf. Ich muss da dreimal hingucken. Die Halligleute machen das so nebenbei – auch Menschen, von denen ich nicht gedacht hätte, dass die so aufmerksam gucken.

Foto Warft

Katja Just vor einer der Warften von Hooge

Urlauber lieben die Abgeschiedenheit der Hallig. Aber für die Bewohner ist es doch häufig ein beschwerliches Leben, oder?

Ich sage, es ist eine Hausforderung. Wenn jemand meint, das Leben sei hier kompliziert, dann sage ich: Das ist doch hier so wie früher. Man kann halt nicht jeden Tag von acht bis 20 Uhr einkaufen. Vor 20 Jahren war das auch auf dem Festland nicht möglich. Wir sind trotzdem groß geworden. Hier ist das Leben runtergebrochen auf das, wie es eigentlich mal war.

Halligen sind kleine, nicht oder nur wenig geschützte Marschinseln vor den Küsten. Sie erheben sich nur wenige Meter über dem Meeresspiegel, weshalb sie bei einer starken Flut mit Ausnahme der Warften – künstlich aufgeschütteten Hügeln, auf denen die Häuser stehen – überspült werden.

Hooge hat 100 Einwohner, ist sechs Quadratkilometer groß und hat zehn Warften.

Katja Just (44) gab vor knapp 20 Jahren ihren Job als Kauffrau am Münchner Flughafen auf und zog auf die Hallig, wo ihre Eltern eine Reetdach-Kate als Sommerhaus gekauft hatten. Heute vermietet sie hier Ferienwohnungen. Ihr erstes Buch wurde 2017 ein Bestseller. Ihr zweites „Frische Brise auf dem Sommerdeich“ (Eden Books) erscheint am 5. August. (cv)

Es gibt die Anekdote, dass früher die Gäste von den Halligkindern mit Eiern beworfen wurden. Wie wird man mit Halligmenschen warm? Wie fängt man ein Gespräch richtig an?

Erstmal sagt man „Moin“. Auf den ersten Blick ist der typische Halligbewohner nicht sehr redselig und manche Halligdamen sind wirklich friesisch herb. Aber wenn man erstmal den richtigen Knopf drückt, dann erzählen die Leute sehr herzlich.

Was ist der richtige Knopf?

Fragen nach Kultur und Tradition. Wie war das Leben früher auf der Hallig, wie hast du als Kind die Sturmfluten erlebt? Das erzählen die Leute sehr gerne. Und man muss einfach bestimmte Regeln einhalten. Zum Beispiel bei Geburtstagen nicht über Politik reden.

Foto Touris

Touristen auf der Hallig

Fühlen Sie sich eigentlich immer sicher auf diesem kleinen Flecken im Meer?

Man kann sich hier nicht darauf verlassen, dass jemand zur Hilfe kommt. Zum Beispiel bei „Land unter“, wenn jeder allein auf seiner Warft ist und drumherum nur Wasser. Oder wenn einfach keine Fähre fährt. Da ist man dann auf sich selbst gestellt. Aber ich fühle mich sicher auf meiner Warft.

Und unter den Leuten? Fühlen Sie sich nach 20 Jahren anerkannt?

Ich bin nicht mit hundertprozentiger Selbstsicherheit geboren. Hier werde ich schneller und direkter mit Kritik konfrontiert und muss schon mal sagen: Oh, da musst du aber noch was lernen. Ich muss immer wieder an meinem inneren Sicherheitssystem arbeiten.

Sie hatten in den 20 Jahren zwei Krisen, in denen Sie die Hallig verlassen wollten, weil Ihnen die Welt zu eng und zu unbeweglich vorkam. „Das war schon immer so“ war einer der typischen Sprüche. Jetzt sind Sie Bürgermeisterin der Hallig. Nicht einfach, oder?

Ja, es gibt Punkte, die fordern mich regelrecht heraus. Gerade hatten wir eine Bürgerversammlung mit Vertretern der Fähren-Reederei. Im Winter haben wir montags und mittwochs gar keine Fährverbindung. Es wird gewünscht, dass es wenigstens montags eine gäbe. Dann könnten die Bewohner noch Besorgungen machen und die Gäste könnten ein verlängertes Wochenende buchen.

Was ist das Problem?

Die Reederei fragt zu Recht, warum sie denn den Fahrplan umstellen soll, wenn wir es auf der Hallig nicht schaffen, das touristische Angebot und die Öffnungszeiten auch passend zu ändern, damit sich die Fahrt auch lohnt. Eine Einigung gab es noch nicht. Mein Schlusswort war: Da ist auf beiden Seiten noch Luft nach oben.

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Sie sind bisher auch mit Ihrer Herzensangelegenheit noch nicht durchgekommen, eine Ortsgestaltungssatzung festzuschreiben? Geht denn zu viel durcheinander auf den Warften?

Schön wäre es, wenn es einen Wiederkennungswert und einen einheitlichen Stil gäbe. Die Häuser sollten ein Ensemble bilden. Zum Beispiel durch Regeln für die Dächer: keine blauen oder roten Dachpfannen, stattdessen graphit, schiefer oder schwarz. Nicht glänzend, sondern matt. Keine zigfachen Fensterformen. Kein Durcheinander von Klinker, Holzverkleidung oder Fertighausstil.

Lassen sich Halligmenschen das vorschreiben?

Vorschreiben eher weniger. Überzeugen wäre mir lieber. In einigen Gemeinden auf Sylt und Föhr ist erreicht worden, dass nur Reetdachhäuser gebaut werden dürfen. Das wünschte ich mir für die Hallig auch, kriege ich aber wohl nicht mehr durch, der Zug ist abgefahren.

Was bringt Sie dazu, auf der Hallig zu bleiben?

Die Liebe zum Eiland, zu meinem 300 Jahre alten Reetdachhaus, meinem Garten und der Berufung, Gastgeber sein zu können. Ich kann an einem Ort leben, wo andere Urlaub machen. Und es ist ein intensiveres Leben hier als auf dem Festland.

Das Gespräch führte Christiane Vielhaber

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