Kirche-to-goWarum ein Eifelpastor im Anhänger Gottes predigt

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Segnung der Gläubigen in Rinnen, die sich auf dem örtlichen Friedhof versammelt haben.

Steinfeld – Die Kirche rollt mit ein paar Minuten Verspätung auf den Schulhof im Eifeldörfchen Zingsheim. „Wir sind stecken geblieben, heute Morgen, bei einer Messe an der Erftquelle“, sagt Pfarrer Wieslaw Kaczor, als er aus seinem schwarzen VW-Transporter steigt. Seine Augen blicken aufmerksam durch die getönte Brille, der Mund unter dem grauen Vollbart formt sich zu einem Lächeln.

Ein Anwohner der Quelle habe den Tross mit seinem Traktor aus dem Matsch gezogen. Na ja, stecken geblieben im Morast der vergangenen Jahrzehnte, aus dem man sich befreien müsse, sei die katholische Kirche schließlich auch, ergänzt der Priester aus dem nahe gelegenen Kloster Steinfeld. Verkrustete Strukturen oder der lange Zeit ignorante und menschenverachtende Umgang mit Kindesmissbrauch etwa im Erzbistum Köln? Was genau er meint, sagt Kaczor nicht.

Auch auf Facebook, Youtube und Instagram präsent

Der Hausmeister des Klosters schiebt derweil die breiten Fensterklappen des weißen Anhängers nach oben, den der Transporter gezogen hat. Der ehemalige Marktstand für Textilien, 30 Jahre lang eine rollende Modeboutique mit Umkleidekabine, wurde durch Darstellungen des heiligen Hermann Josef aufgehübscht. Der so genannten „Eifel-Heilige“, 1150 in Köln geboren, hat in Steinfeld gelebt und wird dort heute noch verehrt.

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Für Geschichtsunterricht ist jetzt aber keine Zeit. Im Innern des etwa sechs Meter langen Gefährts werden ein Keyboard verkabelt sowie ein Mikrofonständer und ein Klapptisch zusammengesteckt. Mit zwei gelben Kerzen und einem kleinen Emaille-Kreuz wird das Campingmöbel zum Altar befördert. Die „Kirche unterwegs“ oder der „Anhänger Gottes“, wie auf der gerade noch geschlossenen Fensterfront zu lesen war, ist einsatzbereit: „Folgen Sie uns bei Facebook, Youtube oder Instagram“

Marktanhänger für 2500 Euro gekauft

Vor Ort präsent zu sein ist für die katholische Kirche wegen des Priestermangels schon zu normalen Zeiten ein Problem. Corona macht es noch schwieriger, überall Gottesdienste zu feiern.

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Pastor Kaczor (Mitte) und zwei Helfer beim letzten Feinschliff vor der Messe.

Einen zum Predigt-Transporter umfunktionierten Marktanhänger hatte Wieslaw Kaczor sich zudem schon lange gewünscht. Als ein Gemeindemitglied vor einigen Wochen einen geeigneten Anhänger für 2500 Euro im Internet entdeckte, gab es kein Halten mehr. Kaczor kaufte das Gefährt in der Nähe von Münster. Inklusive Restaurierung und Ausstattung hat das Projekt 15.000 Euro gekostet. Das Bistum Aachen gab 4000 Euro aus dem Budget „Innovative Seelsorge“ dazu.

Gottesdienst auf einem Schulhof

„Draußen dürfen wir auch singen“, ruft Kaczor den etwa 40 Gläubigen auf dem Gelände der Zingsheimer Grundschule zu. Und weil das so ist, hat er zur Unterstützung den Organisten mitgebracht, der normalerweise in der Basilika des Klosters spielt. „Geborgen in dir, Gott, lass ich los und liege sicher in Mutters Schoß“, ist der erste Song, der angestimmt wird.

Über den Wipfeln der Bäume am Ende des Schulhofes ist der Turm samt Wetterhahn der nur wenige hundert Meter entfernt stehenden Pfarrkirche St. Peter zu sehen. Die geübte Stimme des Profimusikers jedoch und sein Keyboard lassen keinen Zweifel mehr aufkommen, dass man hier am richtigen Platz ist. „Geborgen in dir, Gott, ruhe ich aus, bin ich zufrieden, bei dir zuhaus“, stimmen die Gläubigen mit ein.

Nur eine Messe im Monat für jede Gemeinde

Daniel Uhlig vom Zingsheimer Kirchenvorstand und sein Sohn Jannis waren die ersten, die heute Mittag zur Schule gekommen sind. Schon eine Stunde vor dem Eintreffen der kirchlichen Roadshow stand Uhlig mit einer Kabeltrommel am Eingang des Gebäudes. Er hatte sich mit der Hausmeisterin der Schule verabredet. „Ich bringe den Strom für die rollende Kirche“, sagt der 43-Jährige und lacht. Zingsheim mit seinen 880 Einwohnern habe vor 15 Jahren noch einen eigenen Pfarrer gehabt. Der sei dann in Pension gegangen, die Stelle aber nicht nachbesetzt worden.

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Der Pfarrer predigt auf dem Schulhof in Zingsheim.

Lange schon hat die Kirche Nachwuchssorgen – nicht nur in der Eifel. Kaczor ist mittlerweile für elf Pfarreien mit elf Kirchen und sechs Kapellen verantwortlich. Mit Hilfe anderer Priester soll in jeder Gemeinde zumindest einmal im Monat ein Gottesdienst stattfinden. „Zu wenig“, findet Uhlig: „Da muss sich die Kirche etwas einfallen lassen.“

Pater gehört zum Orden der Salvatorianer

Kaczor jedenfalls hat es getan. „Wir müssen uns bewegen, im wahrsten Sinne des Wortes“, sagt der 62-Jährige. Er predigt nicht nur mobil, sondern erklärt auf Facebook oder Instagram auch Redensarten, streamt Messen oder verschickt selbst produzierte Lernvideos an die Kommunionskinder. „Solche Aktionen sind typisch für ihn. Er geht auf die Menschen zu, möchte sie erreichen, mit aller Gewalt“, sagt Rentnerin Edith Schwarz, die mehr als ein halbes Jahrhundert in Zingsheim lebt.

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Auf dem Schulhof in Zingsheim wird die Kommunion verteilt.

Vielleicht ist es die Energie, die Kaczor schon als Jugendlicher gespürt hat, als er dem Orden der Salvatorianer beitreten wollte. Aufgewachsen auf einem Bauernhof in der Nähe von Lodz, imponierten ihm die Padres mit ihrer Offenheit. Um beim Abitur keine Probleme zu bekommen, benutzte er im kommunistisch regierten und kirchenfeindlichen Polen eine Notlüge. Landwirtschaft wolle er studieren, erzählte der Bauernsohn den Parteifunktionären.

„Kriegen wir keine Pommes mit Schaschlik?“

Nach bestandener Reifeprüfung jedoch ging Kaczor ins Priesterseminar der Salvatorianer bei Breslau. Deutsch hatte er schon in der Grundschule gelernt. „Es fühlte sich richtig an, vielleicht bin ich deshalb nach meiner Ausbildung hierhin gekommen“, sagt er. Am 22. Januar 1995, das Datum weiß er noch genau, übernahm er nach Zwischenstationen in Köln und Neuss die vakante Pfarrstelle im Kloster Steinfeld.

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Die rollende Kirche braucht Strom für die Lautsprecher.

Am Ende der etwa 45minütigen Andacht in Zingsheim verteilt Kaczor auf dem Schulhof noch Hostien, die den Leib Christi symbolisieren sollen. Anschließend applaudieren die Gläubigen dem Pastor. „Kriegen wir keine Pommes mit Schaschlik?“ fragt ein älterer Mann, als die Fensterklappen des ehemaligen Marktstandes wieder geschlossen werden. Etwa zwölf Kilometer entfernt, im 335-Seelen-Dörfchen Rinnen, ist heute der letzte Einsatz für den Gottesdienst-to-go.

Gläubige sitzen auf Bierbänken vor Familiengräbern

Kaczor hat den Anhänger auf einer Straße oberhalb des katholischen Friedhofes platziert. Etwa 40 Gemeindemitglieder sitzen auf Bierbänken vor sorgsam gepflegten Familiengräbern. Rechts in der Ecke brennt eine Kerze unter einer schwarzen Marmortafel mit Namen. „Den im Kriege 1914-18 und 1939-45 gebliebenen Söhnen unserer Gemeinde zum ehrenden Gedenken“, steht auf einem Schild. 21 Namen gibt es für den Ersten Weltkrieg, 29 für den Zweiten.

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Die Gläubigenm in Rinnen sitzen auf Bierbänken.

Pfarrer Kaczor beklagt in seiner Predigt, dass an Kirmes in den Dörfern nur noch „Party gemacht“ werde anstatt sich auf die kirchliche Tradition der Kirchweihe zu konzentrieren. „Manchmal aber habe ich auch den Eindruck, wir haben in der Kirche ein Messie-Syndrom“, setzt der 62-Jährige zur Selbstkritik an. Vom „Anhänger Gottes“ kann er über die Köpfe der Zuhörer tief ins durch Eiszeit-Gletscher und Vulkanausbrüche zerklüftete Eifeltal blicken.

Zum Schluss erzählt der Priester einen Witz

Zu viele Traditionen und Marotten hätten sich angesammelt. Die Sprache etwa, vor allem während des Gottesdienstes, sei schwer verständlich und veraltet. „Ein Update muss her, aber wer entrümpelt die Kirche?“ fragt Kaczor, ohne eine Antwort zu geben. Der Pastor erzählt lieber einen Witz. „Der Papst will in die Sauna.“ Sein Sekretär entgegnet entsetzt: „Eure Heiligkeit, morgen ist die aber gemischt“. Ach, antwortet der Papst: „Mit den paar Protestanten werde ich auch noch fertig!“

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