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Verkehrsüberwachung auf der Rheinbrücke„In den Weg schmeiß ich mich nicht“

Lesezeit 7 Minuten
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Marcel Gladrow an seinem Arbeitsplatz im Container

Leverkusen – 

Marcel Gladrow würde sich gut auf einer Harley machen, rasierter Schädel, kräftige Statur. Die Wahrheit ist: er fährt jeden Tag mit dem Bus zur Arbeit. Manchmal schon um kurz nach fünf werden er und seine Kollegen von Montabaur zur Rheinbrücke Leverkusen gebracht. An jeder der fünf Lkw-Sperranlagen steigt einer von ihnen aus und betritt den blauen Container.

Gladrows Arbeitsplatz befindet sich an der Industriestraße Richtung Fühlinger See, wo zwei Spuren zur A1 abzweigen und zunächst auf der Brücke landen. Ein paar Stühle, ein Tisch mit Fensterblick auf die entgegenkommenden Fahrzeuge, drei Monitore, außerdem Kühlschrank und Wasserkocher. Draußen stehen zwei Dixi-Toiletten. „Für Männlein und Weiblein“, sagt Gladrow. Wenn er spricht, klingt das weich. Man denkt an Hessen, er wohnt aber in einem Dorf im Westerwald, Rheinland-Pfalz.

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Seine Aufgabe: Verkehrsüberwachung Monitor

Der 43-Jährige hat einen Job, von dessen Existenz höchstens diejenigen wissen, die regelmäßig an einem der Container vorbeifahren. Fragt man ihn nach seiner Jobbezeichnung, sagt er nach längerem Überlegen: „Verkehrsüberwachung Monitor“. Zum Ortstermin an einem Montagvormittag ist auch sein Chef erschienen. Timo Trum ist zuständig für Bauleitung und Verkehrstechnik beim Unternehmen Volkmann, das für die Überwachung verantwortlich ist. Die Autobahn GmbH, seit 2018 zuständig für alle deutschen Autobahnen, hat Gladrows Arbeitgeber mit der Überwachung beauftragt.

Gladrow erinnert in seiner neon-orangen Arbeitskleidung ein wenig an einen Müllmann, darunter wölbt sich ein kleiner Bauch. In seinem Container wartet er auch heute darauf, dass ein Fahrzeug mit mehr als 3,5 Tonnen trotz des Verbots auf die Autobahn möchte und auf die stark einsturzgefährdete Brücke. Sobald ein zu hohes Gewicht festgestellt wurde, lösen Ampeln und Schranken automatisch aus. Gladrow trägt dann die Verantwortung dafür, dass es möglichst schnell weiter geht. Das bedeutet vor allem, dem Lkw-Fahrer einen Ausweg zu zeigen über die Ableitspur, die links an seinem Container vorbei zurück auf die Industriestraße führt.

200 Euro Bußgeld bei zu hohem Gewicht

Wie das im Normalfall abläuft, lässt sich an diesem Vormittag gleich mehrfach beobachten. Einige Mal ertönt ein nicht zu überhörendes akustisches Signal im Container. Das Zeichen, dass ein Fahrzeug mit einem zu hohen Gewicht auf den beiden äußeren Spuren unterwegs ist, die auf die Autobahn führen. 200 Euro Bußgeld sind damit fällig. Gladrow eilt nach draußen. „Der Lkw fährt jetzt langsam genug rein“, sagt er. „Wenn er schneller reinfahren würde, würde ich ein Handsignal geben, dass er einen Tick langsamer macht.“

Der Lkw bleibt früh auf der rechten Spur an einer roten Ampel stehen, noch lange vor den Schranken. Alle anderen Fahrzeuge müssen ebenfalls anhalten, deshalb darf die Sache nicht zu lang dauern. Sonst staut sich der Verkehr. Der Lkw-Fahrer kann nicht mehr einfach zurück auf die Industriestraße wechseln, weil Stahlwände den Weg versperren. Er muss ein paar Meter weiterfahren und auf die Ableitspur wechseln. Gladrow räumt vorher die Pylonen beiseite, also die Hütchen in rot-weiß. Mit einer Fernbedienung lässt er die Schranke auf der Ableitspur hochfahren. Der Lkw fährt weiter und nach einigen hundert Metern auf die Autobahn Richtung Koblenz. Gladrow schaltet alles auf Grün. Der Verkehr rollt wieder an.

In 70 Prozent der Fälle laufe es so problemlos ab, sagt er. „Mit Absicht macht es definitiv keiner.“ Entweder trage das Navigationssystem Schuld, viele ausländische Lkw hätten ein Auto-Navi eingebaut, oder der Fahrer sei abgelenkt. Ein mehrsprachiges Faltblatt gibt bei Bedarf Nachhilfe. 15 bis 18 Fahrzeuge geraten laut Gladrow während einer Schicht an einem Montag- oder Freitagvormittag in die Sperranlage, einmal hatte er sogar 26.

Manche räumen Pylonen selbst beiseite

Gladrow hat schon alles erlebt, wenn es nicht glatt läuft. Es gibt Lkw, die setzen in der Anlage zurück, um doch noch auf die linke Spur zu wechseln, auch Autofahrer, die nicht auf die Autobahn wollen. Manchmal räumen sie selbst Pylonen beiseite, gerade nachts, wenn sie denken, es schaue niemand zu. Die Polizei ruft Gladrow nur bei Personen- und Sachschäden. Es gibt auch Lkw, die durchbrechen alle Schranken, die Widerstandskraft ist eher symbolischer Natur. Einige behaupten später sogar, sie hätten gar nichts mitbekommen. „In den Weg schmeiß ich mich nicht“, sagt Gladrow. Aber: „Ich mach auf mich aufmerksam.“

Schilder, Ampeln und LED-Anzeigen erleichtern Gladrow zwar die Arbeit, aber wer in der Sperre gelandet ist, dem helfen meist keine Schilder mehr, sonst wäre er gar nicht erst in die Situation geraten. Dann hilft nur Gladrow. Sein Chef Trum sagt, das meiste sei automatisiert, der Ausleitvorgang allerdings nicht. Was zum Beispiel tun, wenn der Lkw-Fahrer nicht mehr reagiert und einfach stehen bleibt? Dann bildet sich schnell ein Stau. Dazu kommt, dass Rettungsfahrzeuge und Feuerwehr weiterhin über die Rheinbrücke fahren dürfen. Dann muss Gladrow die Anlage kurz manuell bedienen, sonst müssten sie jedes Mal durch die Schranken brettern. „Da gehört schon jemand hin, der wirklich guckt, und wenn es geknallt hat, den Verkehr kontrollieren kann“, sagt Gladrow.

Kranke Kinder, Frauen in Panik

Eines Nachts hatte eine Autofahrerin eine Panikattacke, verfehlte die linke Spur, hätte also auf die Autobahn fahren müssen. Stattdessen setzte sie zurück. Er schritt ein, sah, „dass sie wirklich stoisch geradeaus geguckt hat, Augen aufgerissen und sich nur noch ans Lenkrad gekrallt hat.“ So jemanden lässt er dann rechts ranfahren. Genauso wie den Vater mit drei Kindern. Es war heiß, den dreien kotzübel, der Vater so abgelenkt, dass er versehentlich auf die Autobahnspur fuhr. „Der hat gebeten und gebettelt, dass die Kinder sich erholen können.“ Gladrow räumte also die Pylonen beiseite, der Mann durfte hinter dem Container auf einem Art Notfall-Parkplatz rasten. Automatisierung kann so etwas nicht leisten.

Gladrow hat die Statur, aber nicht das Gemüt, um aus der Haut zu fahren. Er erkläre den Leuten: „Du liegst in meiner Verantwortung. Ich bin dafür zuständig, dass dir nichts passiert.“ Das verstünden die meisten. Denn er schützt nicht nur die Brücke vor dem Lkw, sondern auch den Lkw vor der Brücke, davor, dass die Brücke beim Drüberfahren einstürzt. „Ruhe bewahren, Sicherheit ausstrahlen. Das erste, was ich damals beigebracht bekommen habe bei der Bundeswehr.“

Seit fünf Jahren arbeitet Gladrow hier. Gelernt hat er Kaufmann im Einzelhandel, vor allem in Baumärkten gearbeitet. Bis ihm der Stress zu viel wurde. „Für mich ist das zur Entschleunigung gedacht“, sagt er über seinen Job im Container. „Ich habe hier meinen festen Ablauf drin.“ Die Herausforderung ist eine andere, sagt sein Chef Trum. „Sich selbst zu beschäftigen. Punkt. Das ist einfach so. Es kann sein, dass man hier 30 Lkw hat, es kann aber auch sein, dass man hier gar keine Lkw hat.“

Pyramiden und James Bond auf der Leverkusener Brücke

Langeweile scheint Gladrow allerdings nicht zu kennen. „Buch lesen, sich ein bisschen fortbilden.“ Zuletzt hat er auf seinem Tablet über Ägypten und die Pyramiden gelesen, davor ging es um Afrika und die Sahara, die einst eine blühende Landschaft war. In der Ecke hängt ein Fernseher, manchmal schaut er National Geographic oder James Bond auf RTL Nitro. Im Kühlschrank steht sein Essen, heute gibt es kalten Reis. Er will abnehmen.

Er komme gut mit sich allein zurecht, sagt er, weniger allerdings mit den Wechselschichten. Das bringe den Schlaf durcheinander. „Es ist angenehmer, wenn man seine festen Zeiten hat.“ Wie er seine Batterien auflädt? Er macht Krafttraining, geht im Westerwald wandern, dort, wo die Landschaft das Gegenteil der versiegelten Fläche ist, die er durchs Containerfenster sieht. Er ist verlobt.

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Ende 2023 soll die erste neue Brücke fertig werden, dann wird die Sperranlage überflüssig. Es gebe 800 marode Brücken in Deutschland, sagt Trum. Also noch genug zu tun für Leute wie Gladrow. Der hat sich allerdings noch nicht entschieden, wie lange er noch dabeibleibt. „Es ist auch wieder interessant, was anderes zu machen.“

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