Diskussionen in DresdenMuslime und Pegida-Anhänger im argumentativen Nahkampf

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Etlichen Pegida-Anhängern geht es nicht um den Islam, sondern um Politikfrust.

Etlichen Pegida-Anhängern geht es nicht um den Islam, sondern um Politikfrust.

Dresden – Natürlich, eines Tages stand auch so einer vor ihrem kleinen hellblauen Zelt: Zwei Meter groß, Springerstiefel, Glatze, im rechten Arm ein Stahlhelm. Ein Bilderbuch-Neonazi. Der Mann knurrte unverständlich, aber bedrohlich und Daud Ata, 34 Jahre alt, Muslim, IT-Unternehmer aus Hamburg, war einen Moment lang sehr mulmig zumute. Aber dann nahm er seinen Mut zusammen und erklärte dem knurrigen Neonazi, was es mit dem Zelt und mit „Muslime für Frieden“ auf sich hat, und dass er nichts mit Salafisten oder den Terroristen der IS gemein hat, sondern ein Deutscher muslimischen Glaubens aus einer Stadt fünfhundert Kilometer elbabwärts ist, der nun in Dresden das Gespräch mit Dresdnern sucht. Kurze Pause, dann knurrte der Zwei-Meter-Nazi: „Find ich gut. Weitermachen.“

Aufklärung in der Dresdner Innenstadt

Zehn Wochen stand das kleine Zelt in der Prager Straße, der Dresdner Einkaufsmeile zwischen Hauptbahnhof und Frauenkirche. Zehn Wochen standen fünf bis zwanzig junge Leute der Ahmadiyya-Gemeinde, einer muslimischen Reformbewegung mit 40.000 Mitgliedern und 225 Gemeinden in Deutschland, mitten in der Pegida-Hochburg des Landes, um zu erklären, sich beschimpfen, anpöbeln und oft auch aufmuntern zu lassen. Die Idee dazu hatten sie von Angela Merkel. Die Kanzlerin hatte die Muslime in Deutschland nach dem Anschwellen von Pegida, Legida, Hogesa und ähnlichen Wutmenschenbewegungen aufgefordert, offensiv zu werden, aufzuklären und Fragen zu beantworten.

Also, auf ins Gespräch nach Dresden, dorthin, wo zu Jahresbeginn montags noch 20.000 und mehr Menschen den selbst ernannten „Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes“ folgten, angeführt vom verurteilten Drogenhändler und Einbrecher Lutz Bachmann. Die jungen Muslime begannen am Neujahrstag, indem sie erst einmal mithalfen, in der Dresdner Neustadt den Silvesterdreck wegzuräumen.

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Harte Diskussionen - „Und das war gut“

Nun, fast ein halbes Jahr danach, ziehen sie einen Strich unter ihre Erfahrungen. Ergebnis: In Dresden wurde oft lange, hart und sehr offen diskutiert. Keine Verstellungen, kein Verstecken, sondern argumentativer Nahkampf. Manchmal eine halbe Stunde, manchmal zwei Stunden lang. „Es ging jedes Mal sofort und richtig zur Sache“, sagt Ata. „Und das war gut.“

Verglichen mit ähnlichen Veranstaltungen in Hamburg, Berlin oder Frankfurt sei das Interesse in Dresden riesig gewesen. Vermutlich auch, weil es in Dresden „viel zu wenig Muslime gibt, die Fragen beantworten können“, erklärt Said Ahmed Arif den Informationshunger. Der 29-jährige Berliner ist der für Ostdeutschland zuständige Imam der Gemeinde. Wäre das anders, wären wahrscheinlich auch Wissensmangel und Fremdenängste kleiner.

Etliche Pegida-Anhänger hätten ihm nach einer Weile erzählt, dass Pegida der falsche Name sei, berichtet der Imam. Es gehe ihnen nicht um den Islam, sondern um Politikfrust, um falsche Asylpolitik, um die Angst vor Extremismus und davor, von Flüchtlingen überschwemmt zu werden und mit ihnen teilen zu müssen.

Die jungen Muslime wollen wiederkommen. Dass dann hin und wieder jemand „Scheiß Kanaken“ rufen könnte, stört sie nicht. „Die nötige Debattenkultur ist da“, sagt Imam Said Ahmed Arif.

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