Thomas L. aus Moers stirbt in DresdenTödlicher Anschlag unter Aufsicht der Behörden

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Attentat Dresden Thomas L. 1

Der Tatort in Dresden: Hier fand die Messerattacke auf die beiden Männer aus Nordrhein-Westfalen statt.

  • Anfang Oktober hat ein Islamist zwei Touristen in Dresden angegriffen. Thomas L. aus Moers starb.
  • Die Hintergründe der Tat, die vermutlich verhindert hätte werden können.

Moers – Seine letzte Ruhestätte liegt mehr als 600 Kilometer entfernt von dem Ort, an dem er starb. Ein Freitag im November. Die Vormittagssonne scheint auf den Hauptfriedhof in Moers-Hülsdonk. Hunderte Trauernde sammeln sich vor der kleinen Kapelle, um Thomas L. zu beerdigen. Gut einen Monat ist es her, dass der syrische Flüchtling Abdullah H. den Geschäftsinhaber aus Moers tötete. Mit einem Küchenmesser – mitten in der Dresdner Altstadt. Der islamistische Gefährder, nur fünf Tage zuvor aus der Haft freigekommen, stach hinterrücks und mehrfach auf die beiden Touristen aus Moers und Köln ein. Während der Kölner überlebte, starb Thomas L. wenig später.

Noch ist unklar, warum der 20-jährige Anhänger der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) das Paar attackierte. Hass auf Homosexuelle steht im Raum. Bisher gibt es nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ keine konkreten Hinweise auf dieses Motiv. Den Ermittlungen zufolge ließen die beiden Männer nicht erkennen, dass sie in einer Beziehung zueinander standen, als sie am Abend des 4. Oktober nahe dem Kulturpalast auf ihren Angreifer trafen.

Die Bundesanwaltschaft bescheinigt dem Tatverdächtigen eine „radikal-islamistische Gesinnung“. In Karlsruhe gehen die Ermittler von einem Terrorakt aus ähnlich jenen von Nizza, Paris oder Wien. Demnach wollte Abdullah H. die beiden Männer als „Repräsentanten einer von ihm als ungläubig abgelehnten freiheitlichen Gesellschaft auslöschen.“ Womöglich hatte der Angreifer seine Opfer zufällig ausgewählt.

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Partner hält Trauerrede in Moers

Moers-Hülsdonk. Gut bürgerliche Eigenheime reihen sich aneinander. Hier lebte Thomas L.. Schon als Kind war er mit seinen Eltern und der Schwester in den Ort gezogen. Nach seiner Lehre übernahm er den Familienbetrieb. Jetzt ist er tot.

Sein Bild haben Angehörige an seinem Grab aufgestellt. Die Aufnahme zeigt einen Mann, der jünger aussieht, als es sein Alter von 55 Jahren vermuten lässt. Entschlossener Blick, Drei-Tage-Bart, er lächelt. Ein Mann, so beschreibt ihn sein Partner in einer kurzen Trauerrede, der das Tanzen liebte, seine Familie, seinen Neffen und seine Nichte, das Reisen. Ibiza. „Ich habe mit Thomas alles gesehen“, die Stimme wird brüchig, „ohne ihn kann ich nichts mehr sehen.“

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Einige Tage später gibt die Bundesanwaltschaft eine Pressenotiz heraus, die Fragen aufwirft. Vor allem jene, wie jemand mutmaßlich einen Anschlagsplan verwirklichen konnte, obwohl er als militanter Islamist eingestuft wurde.

Als Teenager hatte sich Abdullah H. aus dem Netz die IS-Anleitung für Terroristen heruntergeladen: „Die rechtsgeleitete frohe Botschaft für diejenigen, die Märtyreroperationen durchführen.“ Das gleiche Traktat hatte sich laut Bundestagsuntersuchungsausschuss im Jahr zuvor auch IS-Dschihadist Anis Amri besorgt – der raste am 19. Dezember 2016 mit einem Lkw in den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz und tötete elf Menschen.

Geschichte des Attentäters von Dresden beginnt in Flüchtlingskrise

Die Geschichte des Abdullah Al H. beginnt in der Hochphase der Flüchtlingskrise. Im Frühherbst 2015 reist der gerade 15-Jährige über die Balkanroute nach Deutschland. Als unbegleiteter, minderjähriger Asylbewerber kommt er in einem Jugendbegegnungszentrum in Bautzen unter. Auf dem engen Raum gibt es häufig Streit. Abdullah gerät mit einem jungen Christen aneinander. Bei einem Treffen ohrfeigt er seinen Gegner. Dabei lässt es der Syrer aber nicht beruhen. Er droht seinem Widersacher per WhatsApp: „Du wirst heute sehen, was mit Dir passiert, du Hurensohn. Ich schlachte Dich heute ….und werde Deine Zunge abschneiden, Du Christ. …ich werde Dir zeigen, wer wir sind.“

Der Fall wird bei der Staatsanwaltschaft in Görlitz aktenkundig. Abdullah H. wird immer mehr zum Problemfall. Häufig mischt er bei Auseinandersetzungen mit, die Heimleitung bringt ihn in einer betreuten Wohnanlage unter. Seit dem November 2016 wendet der Teenager sich endgültig der Dschihad-Doktrin des IS zu. Auf Facebook postet er Propaganda des IS. Seit Februar 2017 verwendet er die schwarze Dschihad-Flagge als Profilbild, er agitiert für ein archaisches Religionsbild und nennt sich in Chatrunden „La-Ilah“, gemäß den ersten Worten des islamischen Glaubensbekenntnis.

Abdullah H. bezeichnet sich als „schlafende Zelle“

Freimütig sinniert H. im Juli 2017 darüber, sich gen Syrien abzusetzen oder in Deutschland ein Blutbad anzurichten. Als Anschlagsziel wählt er das Festgelände an der Marienbrücke aus, auch das Freilichtkino am Elbufer kommt in Betracht. Die Anleitung zu Märtyreroperationen bestärkt seine Pläne. Demnach verfolgt „der bewaffnete Mujaheddin …. ein einziges Ziel: Eine große Anzahl von Feinden zu töten, in der Gewissheit zu sterben.“

Abdullah H. sucht nach einer Anleitung für den Bau eines Sprengstoffgürtels. Die sächsischen Staatsschützer stoßen im August 2017 auf seinen Account und beschlagnahmen sein Handy. In einer Nachricht bezeichnet der Verdächtige sich als „schlafende Zelle“. Mit siebzehneinhalb Jahren wandert Abdullah H. in U-Haft. In einem Brief an das Oberlandesgericht Dresden beteuert er, der IS habe ihm die Verbreitung der extremistischen Posts befohlen. Der Senat verurteilt ihn zu zwei Jahren und neun Monaten. Weitere drei Monate kommen hinzu, weil er später Gefängniswärter angegriffen hat.

Abschiebung nach Syrien nicht möglich

Nach Verbüßung der vollen Strafe kommt Abdullah H. Ende September 2020 wieder frei. Die sächsische Polizei stuft ihn nach wie vor als Gefährder der höchsten Kategorie ein. Versuche einer Abschiebung scheitern, denn für Syrer besteht ein Abschiebeverbot in die Krisenregion. Auch ein Transfer zu seiner Schwester in die Türkei schlägt fehl, Ankara weigert sich, ihn aufzunehmen.

Attentat Dresden Thomas L. 2

Blumen und Kerzen liegen unweit des Residenzschlosses vor einem Bauzaun in Dresden.

Somit darf sich H. wieder frei bewegen. Die sächsische Terrorabwehr hat es mit einer überschaubaren Zahl islamistischer Gefährder zu tun; etwa ein Dutzend zählt das Landeskriminalamt. Zum Vergleich: In NRW listet die Polizei 204 Islamisten, die für einen Anschlag in Frage kommen können. Zu besseren Überwachung hat das Landeskriminalamt NRW ein eigenes Terrorismusabwehrzentrum geschaffen. Zugleich findet laut Innenministerium ein stetes Controlling der Dschihadisten im Land statt.

In Dresden führt Abdullah H. seine Beschatter vom Verfassungsschutz in die Irre. Trotz enger Meldeauflagen und Kontaktverboten eignet er sich zwei Tage vor der Tat unbemerkt zwei Messer in einem Kaufhaus an. Noch am 4. Oktober steht H. zeitweilig unter Beobachtung. Doch am Abend, als er zusticht, ist der Observationstrupp wieder abgezogen. Erst zwei Wochen später führt eine DNA-Spur vom Tatort zu Abdullah H. Nach dem Mord entschuldigen sich Polizei und Verfassungsschutz mit dem Hinweis, man habe gedacht, dass H. sich nach seiner Haftentlassung erst wieder habe zurechtfinden müssen.

Der Friedhof in Moers-Hülsdonk an einem Freitag im November: „Man denkt, so etwas passiert anderen. So etwas passiert in den Nachrichten“, sagt die Pfarrerin. „Jetzt ist es Ihnen, jetzt ist es uns passiert.“ Aus den Boxen klingen Rainer Maria Rilkes „Engellieder“. Glocken läuten. Friedhofsarbeiter bringen die Kränze und Sträuße. Dort steht zu lesen: „Für immer in unseren Herzen.“

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