Es war eine bewegende Gedenkfeier: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und hunderte Gäste erinnerten in der Berliner Philharmonie an die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer – und legten ihr Vermächtnis in die Hände der jungen Generation.
Emotionale GedenkfeierMargot Friedländers Erbe für die Jugend

Bundespräsident Steinmeier würdigte Margot Friedländer mit sehr persönlichen Worten. ///
Copyright: Lisi Niesner/Reuters/Pool/dpa
„Es hat mich zu Tränen gerührt“, sagt die 17-jährige Schülerin Mira, kurz nachdem sie den Saal der Berliner Philharmonie verlassen hat. „Man muss daran erinnern, was in der Vergangenheit passiert ist“, erzählt sie mit brüchiger Stimme.
Daran zu erinnern, was damals passiert ist, das war das wichtigste Anliegen der Person, um die es an diesem Mittwochabend ging: die am 9. Mai 2025 verstorbene Margot Friedländer. Zur Gedenkfeier, die ihre Stiftung organisierte, kam viel Polit-Prominenz: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hielt eine Gedenkrede, Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) war da, Ex-Kanzler Olaf Scholz (SPD), zahlreiche Ministerinnen und Minister. Die wichtigsten Gäste waren aber andere: Schülerinnen und Schüler aus Berlin.
Steinmeier: „Jetzt ist es an uns“
Denn die jungen Menschen waren es, die Friedländer so viel bedeuteten und denen sie ihre Botschaft weitergeben wollte. Für diese nächste Generation reiste sie von Schule zu Schule, nachdem Friedländer im Alter von 88 Jahren aus den USA in ihre Geburtsstadt Berlin zurückgekehrt war.
Alles zum Thema Frank-Walter Steinmeier
- Einbürgerung Kölner Jeside als Junior-Botschafter in den USA – Vorbildliche Integration
- Amoklauf an Grazer Schule Täter unter den Toten – Österreich ordnet Staatstrauer an
- Einbürgerung in Köln Jeside (24) mit Bundestagsstipendium wartet seit 19 Monaten auf deutschen Pass
- Gnadenhochzeit An der Haustür funkte es zwischen Christine Maria und Franz Strack aus Bad Honnef
- Hohes Engagement Prof. Paul Stelkens aus Frechen erhielt das Bundesverdienstkreuz am Bande
- „Höchste Zeit für Normalität“ Klöckner fordert Frau als Staatsoberhaupt
- Jubiläum der Diplomatie Israels Präsident Herzog zu Gast in Berlin
Sie berichtete von den Grausamkeiten der Nazis und von ihrer eigenen Geschichte. Vom Tod ihrer Mutter und ihres Bruders, von ihrer Internierung in das Konzentrationslager Theresienstadt und dem Tag ihrer Befreiung 1945. „Der Kontakt zu jungen Menschen hat Margot gutgetan“, sagte Dreinhöfer, Vorsitzender der Margot-Friedländer-Stiftung, die die Gedenkveranstaltung ausrichtete.
„Margot Friedländer hat den Stab weitergereicht“, sagte Steinmeier in seiner Gedenkrede. Dass Verbrechen, wie die von den Nationalsozialisten nie wieder geschehen, habe Friedländer angetrieben. „Es ist an uns, in ihrem Sinne weiterzuarbeiten - und zu kämpfen für Toleranz, für Demokratie und für Menschlichkeit.“ Das habe sie allen mitgegeben, vor allem jungen Menschen, betonte Steinmeier.
Auch Schülerin Mira hatte Friedländer vor einiger Zeit in der Schule gesehen. „Ich fand es sehr bewegend, was sie erzählt hat“, sagt die 17-Jährige. Doch wie erinnern wir uns, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt?
Diese Frage stellte auch Steinmeier in seiner Gedenkrede. Gerade mit Blick auf die jüngsten Veränderungen in der Gesellschaft, die Friedländer in ihren letzten Lebensjahren zutiefst beunruhigten. „Das Erstarken des Extremismus auch in den Parlamenten, die Polarisierung der Gesellschaft und der Antisemitismus, der seit dem Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 in Deutschland noch sichtbarer und stärker geworden ist.“ Ernsthaft besorgt sei Friedländer gewesen. Denn so habe es damals ja auch angefangen, sagte sie.
„Eine bleibende Mahnung, eine Verpflichtung“, sagte Steinmeier.
Nichts könne die Shoah-Überlebenden ersetzen. „Sie sind moralische Zeugen, die uns das Unfassbare berichten.“ Aber er sei sich sicher, so Steinmeier, „dass der Gedanke von Margot Friedländer, ihre Lebensgeschichte weiterzugeben und uns damit zu so etwas wie Zweitzeugen zu machen, dass dies ein Modell für die Zukunft ist, für eine neue Form der Erinnerung und der Erinnerungskultur.“
Mit neuen Formen der Erinnerung befasst sich die Margot-Friedländer-Stiftung, die die Holocaust-Überlebende im Jahr 2023 selbst ins Leben rief. Seit vergangenem Jahr zeichnet die Stiftung Menschen aus, die sich mit Aktionen und Initiativen für Toleranz, Menschlichkeit, Freiheit und Demokratie einsetzen und zur Aufklärung über den Holocaust und Antisemitismus beitragen.
Der Hamburger Lehrer Hedi Bouden, der zu den ersten Trägern des Friedländer-Preises gehört, würdigte sie als „Jahrhundertzeugin“ – blickte gleichzeitig aber nach vorn. „Es braucht keinen Nachruf auf Margot Friedländer, sondern einen Vorruf. Einen Ruf an unsere Gesellschaft hinzusehen, zu handeln, Fragen zu stellen“, sagte Bouden.
Und auch er appellierte an die Jugend. „Ihr, die hier sitzt, seid es, die Margot so viel Hoffnung gegeben haben. Ihr seid nun gefragt, denn sie glaubte an euch, dass ihr es besser machen könnt.“
Wegner: Menschlichkeit siegt über Unmenschlichkeit
Eine ähnliche Aussage hatte auch die Rede von Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner (CDU). „Margot Friedländer hat uns gezeigt, dass die Menschlichkeit über die Unmenschlichkeit siegt.“ Sie habe einen Auftrag hinterlassen: „Wir dürfen nicht wegschauen, wir dürfen nicht vergessen, wir dürfen die Gräuel nicht verharmlosen oder relativieren.“
Zwischen schweren, ernsten Reden, bei denen einigen Gästen die Tränen kamen, lockerten musikalische Beiträge die Stimmung im Saal auf. Neben Max Raabe, der wie schon bei der Trauerfeier zur Beisetzung Friedländers das Lied „Irgendwo auf der Welt“ sang, und einem Chor, spielte am Ende auch eine Swing-Band. Die Gäste bewegten sich rhythmisch in ihren Sitzen zu der lauten und fröhlichen Musik, zu der Margot Friedländer noch im hohen Alter so gerne tanzte. Ein mutiger aber würdevoller Bruch der sonst so schweren Gedenkfeier – ein munterer Abschluss.
Schülerin: „Wir alle bemerken den Rechtsruck“
Bei der Gedenkveranstaltung seien viele Themen angesprochen worden, die auch ihm sehr viel bedeuten, sagt der Berliner Schüler Jan im Foyer der Philharmonie kurze Zeit später. „Humanismus, Toleranz und Mitgefühl. Man muss helfen, wenn man sieht, dass Menschen ungerecht behandelt werden. Und vor allem dem Antisemitismus entgegentreten und verhindern“, erzählt der 17-Jährige.
Mira ergänzt: „Wir alle bemerken den Rechtsruck in Deutschland, gerade auch unter den Jugendlichen. Das wird immer schlimmer. Deswegen ist es wichtig, darauf aufmerksam zu machen und zu erinnern, wie schlimm es damals war und dass sich das nie wiederholt“, so die Schülerin. Der Gedanke von Margot Friedländer lebt weiter.