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Neue Jugendbewegung?Wie die Schulstreiks gegen Wehrpflicht ablaufen – und wer dahinter steckt

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Junge Demonstranten in München. /Michael Nguyen

Junge Demonstranten in München. /Michael Nguyen

In 90 Städten bundesweit wollen Schülerinnen und Schüler am Freitag gegen eine neue Wehrpflicht demonstrieren.

Am Freitag wollen bundesweit in 90 Städten Schülerinnen und Schüler während der Unterrichtszeit auf die Straße gehen und gegen eine Wehrpflicht demonstrieren. Die Mobilisierung erinnert stark an den Beginn der Klimastreiks: Ein loses Bündnis mobilisiert die Basis über die sozialen Medien, auf einer zentralen Website wird Material bereitgestellt, etwa ein „Brief an die Eltern“, der massenhaft in Klassenchats weiterverbreitet wird. Darin heißt es: „Wir wollen selbst über unser Leben bestimmen, statt in militärische Strukturen gezwungen zu werden. Eine Rückkehr zur Wehrpflicht bedroht genau dieses Recht auf Selbstbestimmung.“

Zu den Unterstützern gehören radikal linke Gruppen wie die SDAJ, Parteien wie die Linkspartei und das BSW, einzelne Gliederungen der Jusos und der Grünen Jugend sowie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Auch „Fridays for Future“, unverkennbar das Vorbild für diese Art von Mobilisierung, unterstützen die Schulstreiks. In Berlin unterstützt der Landesschülerausschuss die Streiks.

„Da könnte eine neue Jugendbewegung entstehen“

Der politische Geschäftsführer der „Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen“ (DFG-VK), Michael Schulze von Glaßer, sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Was vor wenigen Wochen mit einer Handvoll Schulstreik-Bündnissen in wenigen Städten begann, hat zuletzt eine enorme Dynamik bekommen: Überall organisieren sich Schülerinnen und Schüler gegen die geplanten Zwangsmusterungen und die drohende Wehrpflicht - da könnte eine neue Jugendbewegung entstehen.“ Er fügte hinzu: „Wir unterstützen die Proteste und bieten den jungen Menschen konkret auch an, ihnen bei der Kriegsdienstverweigerung zu helfen.“ Die DFG-VK plant bereits einen Kriegsdienstverweigerungskongress am 11. und 12. April 2026 in Kassel.

Das Thema Wehrdienst spielte auch bei der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen in Hannover eine Rolle. Der Co-Chef der Grünen Jugend, Luis Bobga, warnte: „Eine verpflichtende Musterung ist nichts anderes als ein erster Schritt hin zu einer Wehrpflicht durch die Hintertür.“ Die Bundestagsabgeordnete Nyke Slawik hielt dagegen: Der Eingriff in die persönliche Freiheit sei hier überschaubar. Bei der Abstimmung konnte sich die Grüne Jugend dann nicht durchsetzen.

Lehrerverband will Demos außerhalb des Unterrichts

Der Lehrerverband sieht die Dynamik skeptisch. „Aufgabe der Schule ist es, sachlich über die rechtlichen Grundlagen, die sicherheitspolitische Lage und den gesellschaftlichen Kontext – insbesondere die Bedrohung durch Russland und seine Unterstützer – zu informieren und Orientierungswissen zu vermitteln”, sagte dessen Präsident Stefan Düll dem RND. „Wichtig ist auch, dass niemand zum Wehrdienst gezwungen werden soll. Im Grundgesetz ist das Recht auf Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe garantiert.“ Wer gegen die Reaktivierung der Wehrpflicht demonstrieren wolle, könne dies „jederzeit außerhalb der Unterrichtszeit tun“, so Düll. „Demonstrationen während des Unterrichts sind möglich, erfordern jedoch eine vorherige Abmeldung bei der Schulleitung und die Bereitschaft, pädagogische oder disziplinarische Folgen zu tragen.“

Schulen werten die Fehlstunden meist als unentschuldigt; minderjährige Schülerinnen und Schüler brauchen das Einverständnis der Eltern. Einige Schulen haben geplante Klausuren am Freitag verschoben.

Die Wehrpflicht gehörte vor ihrer Aussetzung im Jahr 2011 lange zu den wichtigen Mobilisierungsthemen der Friedensbewegung. Vor allem linke und pazifistische Gruppen mobilisierten gegen den „Kriegsdienst“.

Linke sieht einen neuen Beginn von Friedensprotesten

Seit mehr als zehn Jahren sind viele Friedensproteste hingegen von einer sogenannten „Neuen Friedensbewegung“ geprägt: Eine Bewegung, die sich über verschiedene politische Lager erstreckt, in Teilen auch nach weit rechts hin offen ist und sich insbesondere durch eine starke Nähe zu Russland auszeichnet. In den vergangenen Jahren posierten auch AfD-Politiker in Ostdeutschland wie Björn Höcke mit dem Friedenstauben-Symbol und agitierten gegen die Wehrpflicht in Verbindung mit der aktuellen Ordnung der Bundesrepublik.

Bei Protesten gegen die militärische Ukraine-Unterstützung und gegen den Krieg in Gaza, angeführt unter anderem von Sahra Wagenknecht, gingen Teile der alten, linken Friedensbewegung, der Linkspartei und der SPD mit der „Neuen Friedensbewegung“ mehrfach gemeinsam auf die Straße. Ob sich am Freitag rechte und russlandfreundliche Gruppen unter die Schüler mischen, bleibt abzuwarten.

Im linken Spektrum sind die Hoffnungen jedenfalls groß: „Aus den Schulstreiks kann ein neuer Teil der Friedensbewegung entstehen”, sagte Lisa Pfitzmann, jugendpolitische Sprecherin im Vorstand der Linkspartei, dem RND. „Das Friedensthema spielt in der jungen Generation seit den Demos gegen den Krieg in Gaza eine große Rolle. Mit dem geplanten Wehrdienst sind sie nun selbst betroffen. Der Schulstreik am Freitag wird nur der Beginn sein. Wir verweigern uns dem Kriegsdienst.“