Besonders hohe Zahlen im RheinlandMeldungen zu Gewalt in Kitas steigen in NRW rapide an

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Ein Junge kauert sich auf seinem Bett zusammen.

In einer Kategorie hat sich die Anzahl der Meldungen im Rheinland innerhalb eines Jahres fast veroppelt

Gewaltmeldungen aus Kitas nehmen zu, belegen Zahlen der Jugendämter. Experten sehen darin vor allem einen Beleg für mehr Sensibilität.

Aus den Kinder-Tagesstätten in Nordrhein-Westfalen wird immer mehr Gewalt gemeldet. Den Landesjugendämtern zufolge stiegen die Meldungen wegen Pädagogischem Fehlverhalten am stärksten. Die Zahlen seien „alarmierend“, sagt Mechthild Thamm, Fachgruppenleiterin Kinder und Familie bei der Paritätischen NRW. „Aber wenn es uns gelingt, so ein Tabu-Thema sichtbar zu machen und anzugehen, dann steckt am Ende ein guter Kern in den erschreckend hohen Zahlen.“

Der Anstieg bei den Meldungen im Rheinland ist gravierend: Im Jahr 2018 registrierte der Landschaftsverband Rheinland (LVR) noch 38 Meldungen der Kategorie „Sexuelle Übergriffe/Gewalt“ und 42 unter „Körperliche Übergriffe/Körperverletzung“. 2021 sammelten die Jugendämter unter „Sexuelle Übergriffe/Gewalt“ 76 Meldungen, bei  „Körperliche Übergriffe/Körperverletzung“ waren es sogar 133. Diese beiden Kategorien beinhalten auch Vorfälle, die unter Kindern stattgefunden haben. 

Seit 2018 haben sich die Meldungen wegen Pädagogischem Fehlverhalten jährlich nahezu verdoppelt. 2018 vermerkten die Jugendämter noch 34 Meldungen in dieser Kategorie - 2021 waren es 222. Zahlen für das Jahr 2022 liegen bisher noch nicht vor. In allen Kategorien sind die Zahlen  im Rheinland deutlich stärker angestiegen als in Westfalen-Lippe.

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Missbrauchskomplexe haben Eltern und Erzieher aufgerüttelt

Die Stadt Köln schreibt auf Anfrage, sie könne „die statistischen Werte des Landschaftsverbandes aus der eigenen Praxis heraus bestätigten.“ Sie gibt mehrere Gründe für den Anstieg an: Zum einen sei das Thema bei Trägern und Erzieherinnen deutlich präsenter als früher. Doch die Pädagogen würden auch häufiger über herausforderndes Verhalten von Kindern berichten. „Die Pandemie hat sicherlich einen nicht zu beziffernden Anteil an dieser Entwicklung.“

Der LVR führt den Anstieg der Meldungen auf eine höhere Sensibilisierung von Einrichtungen und Eltern zurück: Missbrauchskomplexe wie in Lügde, Bergisch-Gladbach und Münster haben viele Menschen aufgerüttelt, vermutet der Verband. Zudem haben beide Landesjugendämter in NRW eine Kampagne gefahren, um über die Meldepflichten zu informieren. Auch wenn viele Kitas derzeit unter dem Personalmangel ächzen, sieht der LVR keinen Zusammenhang zu den steigenden Fallzahlen. Bei einer „akuten Personalsituation“, so der LVR, würden Betreuungszeiten verkürzt und Gruppen verkleinert. 

Auch „grenzverletzendes Verhalten“ im Fokus

Mechthild Thamm dagegen sieht in der Personalknappheit auch eine „indirekte Gefährdungslage“ für die Kinder. „Stellen Sie sich vor, eine Gruppe von 25 Kindern wird von zwei Personen betreut“, sagt Thamm. „Wenn eine Person ein Kind auf die Toilette bringt, muss die andere 24 Kinder im Blick haben.“ Auch Gewalt von Kindern sei so schwieriger zu verhindern. Um den Kinderschutz zu verstärken, müssten Einrichtung Schutzkonzepte sorgfältig erarbeiten und ausführen.

Mechthild Thamm schaut für ein Porträt in die Kamera. Sie trägt ein schwarzes Oberteil mit langer Kette, dazu einen rosafarbenen Blazer. Ihre Haare trägt sie schulterlang.

Mechthild Thamm ist Fachgruppenleiterin Kinder und Familie bei der Paritätischen NRW.

„Das Thema Kinderschutz ist zum Einen in der Öffentlichkeit sehr präsent, aber es wird von uns auch sehr intensiv mit den Trägern und Leitern bearbeitet“, sagt Mechthild Thamm. Das Tabu-Thema Gewalt in Kitas werde nun deutlich offener besprochen. Sie glaubt nicht, dass die Gewalt in Kitas insgeamt mehr wird, sondern Gewalt nur öfter gemeldet wird: Man würde Konzepte erarbeiten und dadurch auch „die Beobachtung intensiv auf die Felder lenken“.

Früher wäre es bei Meldungen wegen Kindeswohlgefährdung meist um sexuellen Missbrauch und Schläge durch Erzieherinnen und Erzieher gegangen. Nun seien auch oft „grenzverletzende Verhaltensweisen“ im Fokus, so Thamm: Wenn ein Kind angeschrien wird oder es gegen seinen Willen zum Essen gezwungen wird zum Beispiel. Wenn Erzieherinnen und Erzieher dem Kind grob und ohne Fürsorge die Hose oder Jacke anziehen, wenn sie ein Kind in einem Hochstuhl „parken“, damit es dort nicht mehr herauskommt. „Wenn hier nicht interveniert wird, kann eine Gewaltspirale entstehen“, sagt Thamm.

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