„Hier bin ich zu Hause“Zwei Ukrainerinnen, die nach Köln flüchteten, erzählen von der Rückkehr

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Anya Khyzhkova mit ihrem Sohn

Viele Ukrainer sind zurück in die Ukraine gefahren. Anya Khyzhkova ist eine davon.

Anya Khyzhkova und Kataryna Tischenko haben in Köln Schutz vor dem russischen Angriffskrieg gesucht. Sie berichten von der Rückkehr in die Ukraine.

Seit Russland im Februar 2022 die Ukraine überfiel, hat Nordrhein-Westfalen Hunderttausende Ukrainerinnen und Ukrainer aufgenommen. Während einige von ihnen heute in eigens angemieteten Wohnungen schlafen und eine Arbeit gefunden haben, während Zehntausende ukrainische Kinder im August ihren zweiten Schuljahresstart in NRW erlebten, haben andere Geflüchtete Deutschland wieder verlassen und reisten in die Ukraine zurück. Wieso kehrt man in ein Land zurück, in dem Bomben fallen und Sirenen zum Alltag gehören? Zwei Ukrainerinnen, die Köln verlassen haben, erzählen.

Anya Khyzhkova (31) aus Kiew

Am 24. Februar 2022 wachte ich um vier Uhr morgens von lauten Geräuschen auf. Ich stand auf, guckte aus dem Fenster, doch es schien alles normal. Bis mich um fünf Uhr mein Ex-Mann anrief und sagte: Der Krieg hat begonnen.

Erst konnte ich es nicht glauben. Doch als ich nun auf dem Fenster schaute, sah ich Menschen rennen, mit Koffern in der Hand. Kurz darauf riefen meine Eltern an: Mein Vater sagte, er holt mich und meinen Sohn gleich ab. Er war damals zwei Jahre alt.

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Die ersten Monate lebten wir in einer Flüchtlingsunterkunft

Den ganzen Tag überlegten wir, was wir tun sollen. Wir gingen zu Freunden, die in der Nähe von Kiew wohnen, versteckten uns dort im Keller. Dann beschlossen wir, nach Deutschland zu gehen. Meine Mutter, mein Kind und ich.

Es fiel mir schwer, Kiew zu verlassen. Zum einen, weil so viele Menschen versuchten, in einen Zug Richtung Westen zu steigen. Zum anderen, weil wir nicht wussten, was uns erwartet.

Die ersten Monate lebten wir in einer Flüchtlingsunterkunft in Köln. Die Ankunft hier war einfach hektisch. Ich musste von einer Behörde zur nächsten gehen, irgendwie meine Gedanken sammeln und mich dazu noch um mein Kind kümmern, dabei wollte ich einfach nur durchatmen und zur Ruhe kommen. Realisieren, dass ich hier keine Angst haben muss. Doch der ganze Stress machte das schwer.

Eine Frau im Kleid steht mit einem Junge

Anya Khyzhkova (31) mit ihrem Sohn

Wir zogen schließlich zu einer deutschen Familie in Wesseling. Die Kommunikation mit Deutschen fiel mir sehr schwer, ich kann ja kein Deutsch. Wenn ich Briefe bekommen habe, wurde ich nervös, weil ich einfach nichts verstanden habe. Viele Deutsche haben mir in der Anfangsphase geholfen, aber irgendwann gehen sie wieder ihrem eigenen Leben nach und haben weniger Zeit für uns. Ich fühlte mich alleine mit meinen Fragen, alleine in einem Land, in dem ich die Sprache nicht spreche. Mein Sohn konnte lange nicht sprechen, er brauchte Hilfe von einem Sprachtherapeuten. Aber in Deutschland gab es ja niemandem, der ihm auf Ukrainisch oder Russisch hätte helfen können.

Ohne Freunde und Familie

Jeden Tag in Deutschland habe ich mit meinen Verwandten gesprochen, die in Kiew geblieben sind. Manche Menschen sind bereit, ihr Zuhause zu verlassen und unter den Bedingungen zu leben, die wir in Deutschland vorfanden. Auch wenn es ausgezeichnete Bedingungen waren: Ich konnte es nicht. Für mich war das Leben hier sehr schwer, ohne Freunde und Familie.

Meine Mutter ging als Erste zurück. Sie ist Ärztin und wollte ihren Job nicht verlieren. Ich habe sehr lange darüber nachgedacht, doch irgendwann entschloss ich mich auch dafür, mit meinem Sohn nach Kiew zurückzukehren.

Das Leben hat sich verändert

Mein Sohn geht jetzt in einen Kindergarten in Kiew, der durch einen Bombenangriff leicht beschädigt wurde. Zum Glück ist er noch klein – er versteht den Krieg nicht, er kann sich darüber gar keine Sorgen machen.

Ich habe mich an dieses neue Leben in Kiew gewöhnt. Man lernt, mit dem Beschuss zu leben. Heute ist es beängstigend in Kiew, wenn es ruhig ist. Ich frage mich dann, wann sie anfangen zu schießen.

Kiew und die Menschen in Kiew haben sich verändert.

Kataryna Tischenko (36), aus Kiew

Ich komme ursprünglich aus Kiew, aber zwei Wochen im Monat bin ich immer in Lviv. Dort lebt meine Mutter mit meinen drei Kindern. Als der Krieg begann, war ich in Lviv. Wir sind sofort am Donnerstag losgefahren, ich wollte kein Risiko eingehen und nicht länger in der Ukraine bleiben. Meine Kinder brauchen Sicherheit.

Am 24. Februar rief mich ein Freund aus Kiew an und sagte, dass der Krieg begonnen hat, und Kharkiv, Dnipro und Kiew in der Nacht stark bombardiert wurden. Ich war schon einmal in Deutschland und habe gehört, dass Deutschland gute Flüchtlingsprogramme hat. Irgendwie spürte ich, dass ich dorthin gehen musste.

Eine Frau hält ihre Tochter

Kataryna Tischenko mit ihrer kleineren Tochter

Ich bin noch nie in meinem Leben so viel Auto gefahren. Zwei Tage verbrachten wir an der ukrainisch-polnischen Grenze. Ich war erschöpft, deshalb übernachteten wir zweimal in Berlin und Polen. Während der gesamten Fahrt habe ich die Nachrichten gelesen und geweint. Auch wenn ich jetzt daran zurückdenke, muss ich weinen. Wir sahen Panzerkolonnen, die auf Kiew zusteuerten. Ich bat meinen Freund und meine beste Freundin, sich selbst zu retten, aber sie wollten das Haus nicht verlassen. Ich dachte, Kiew würde völlig zerstört werden, aber mein Freund sagte, dass Kiew steht und weiterhin stehen wird.

Am 3. März kamen wir in Köln an. Wir haben eine Wohnung in der Flüchtlingsunterkunft an der Sinnersdorfer Straße in Köln-Worringen bekommen. Das war eine witzige Zeit. An diesem Ort mussten völlig unterschiedliche Menschen zusammenkommen und Freunde werden. Dort habe ich es geschafft, mich zu erholen und nicht gestresst zu sein.

Immer wieder Heimweh

Aber seit dem ersten Tag wollte ich wieder nach Hause. Ich bin es gewohnt, in einer großen Stadt zu leben, die Eingangstür zu öffnen und sofort im Stadtzentrum zu sein. Ich bin es gewohnt, immer viel zu tun zu haben und eine tägliche Routine zu haben. Und es fiel mir schwer, mich daran zu gewöhnen, nicht mehr mein eigenes Leben zu führen und nicht mehr alleine zu leben.

Die Kölner waren sehr hilfsbereit und kümmerten sich viel um die Kinder. Aber trotzdem konnte ich nicht glauben, dass alles gerade mit mir passierte. Schon im April begann ich, wieder nach Kiew zu fahren. Ich war sehr dankbar, dass meine Kinder und ich in Sicherheit waren, aber ich konnte nichts dagegen tun. Ich konnte Köln nicht lieben, obwohl es der Frühlingsanfang war und überall die Kirschblüten blühten. Vor zehn Jahren war ich schon einmal in Köln und hatte mich in diese Stadt verliebt, aber jetzt dachte ich nur an Kiew und verglich Köln ständig mit meiner Heimat.

Der Rhein war ihr Kraftort

In den ersten Monaten litt ich an Depressionen. Ich musste mich zwingen, meine Kinder fertig zu machen und einkaufen zu gehen. Meine jüngere Tochter ist erst drei Jahre alt. Sie braucht frische Luft, aber ich konnte nicht aufstehen.

Nach einigen Monaten habe ich einen Ort gefunden, der mir viel Kraft gab. Wir haben einen Weg von unserer Flüchtlingsunterkunft zum Rhein entdeckt, und ich ging immer mit meinem ältesten Sohn dorthin, um nicht verrückt zu werden. Dort habe ich oft über die Zukunft und mein Leben nachgedacht.

Ein weiterer Fluchtversuch

Im Juli haben wir Köln wieder verlassen. Meine Söhne baten mich jeden Tag, zurückzufahren. Sie wollten nicht duschen, nicht essen, nicht zur Schule gehen. Aber im Oktober 2022 begannen wieder heftige Bombardements, und wir mussten nach Deutschland zurückkehren.

Leider gab es keine freien Plätze in Köln, und wir wurden nach Bochum verwiesen. In Bochum wurde ich nicht glücklich. Deshalb sind wir im Frühjahr zurück nach Lviv gefahren. Manchmal habe ich natürlich Angst, wenn ich in Kiew oder in Lviv bin, aber ich möchte nicht mehr nach Deutschland zurück.

Wir haben uns verändert, Kiew hat sich ebenfalls verändert. Ich fühle mich immer angespannt, weil ich nicht weiß, wo die nächste Bombe einschlagen wird. Vor dem Krieg hatte Kiew eine besondere Atmosphäre. Hier lebten entspannte Menschen, die gerne lachten. Jetzt ist es eine ruhige und traurige Stadt. Aber hier fühle ich mich wie ich selbst. Hier bin ich zu Hause.

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