„Platzhirsch-Verhalten weit verbreitet“Warum es Frauen im Politikbetrieb schwer haben

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Anne Lütkes

Anne Lütkes

  • Anne Lütkes hat schon viele politische Ämter bekleidet. Zuletzt war sie von 2010 bis 2017 Regierungspräsidentin in Düsseldorf.
  • Im Interview spricht die in Köln lebende Ex-Politikerin darüber, warum Frauen in der Politik immer noch gegen Widerstände zu kämpfen haben und über ihre eigenen Erfahrungen in ihrer politischen Laufbahn.
  • „Viele Frauen haben keine Lust, als Objekt betrachtet zu werden. Damit umzugehen, es abzuschütteln oder zu kontern ist nicht einfach“, erklärt sie zur Frage, warum viele Frauen keine politischen Ämter anstreben.
  • Lesen Sie hier das ganze Gespräch über Männer-Netzwerke in der Politik, die falsche Zurückhaltung von Frauen und die MeToo-Debatte.

Köln – Frau Lütkes, früher war es so, dass Frauen immer dann für politische Spitzenämter nominiert wurden, wenn sie nur Zählkandidatinnen waren. Sie sind selbst ein gutes Beispiel, oder?

Ich habe mich 1999 für die OB-Wahl tatsächlich in einer Situation zur Verfügung gestellt, in der ich eindeutig chancenlos war. Aber nicht als Frau, sondern als Grünen-Politikerin. Der SPD Kandidat wurde durch illegale Insidergeschäfte faktisch weggefegt, da wäre ich es fast geworden. Ich habe mir das Amt zugetraut, und aus heutiger Sicht sage ich: Ich hätte es auch gekonnt.

Sie sagen: »Ich habe mir das zugetraut«. Ist es aber nicht nach wie vor so, dass Frauen mit ihren Ambitionen auf Führungsämter eher zögerlich sind?

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Ich habe es als Behördenleiterin sehr häufig beobachtet, dass Frauen zurückgeschreckt sind, wenn ich sie auf die Besetzung von Führungspositionen angesprochen habe. Nicht mangels fachlicher Kompetenz, sondern aufgrund einer selbstkritischen Reflexion: Bin ich wirklich gut genug? Eigentlich, finde ich, ist das eine sehr begrüßenswerte Haltung bei Frauen wie bei Männern. Nicht diese männlich-burschikose Hemdsärmeligkeit, mit der sich gerade Kommunalpolitiker fast alles zutrauen. Weniger begrüßenswert ist es dann, wenn Frauen aus einer solchen Reflexion auf eigene Stärken und Schwächen heraus am Ende doch dem Rückzugsreflex nachgeben.

Dann hat Ihr Rollenvorbild als Ministerin oder Regierungspräsidentin da nicht geholfen?

Ich glaube, es ist anders: Einer Chefin gegenüber formulieren Frauen ihre Vorbehalte ehrlicher. Es ist dann eine Frage von Führung, ihnen die Scheu zu nehmen, sie in ihren Stärken zu bestätigen, ihnen aber auch die Gewissheit zu geben, dass es ihnen nicht zum Nachteil gereichen wird, wenn sie sich selbst in Frage stellen. Ich habe etliche Frauen im Kopf, die am Ende doch gesprungen und hervorragende Führungspersönlichkeiten geworden sind.

Es heißt oft, Männer seien die besseren Netzwerker, wohingegen Frauen mit zunehmendem Aufstieg auf der Karriereleiter zu Konkurrenzdenken neigten, weil sie sich zuvor selbst so unverhältnismäßig behaupten mussten. Sehen Sie das auch so?

Frauen sind sicher nicht die besseren Menschen. Zumindest sollte man Konkurrenzdenken nicht wegdiskutieren. Es existiert – auf allen Ebenen. Aber gerade bei jüngeren Frauen beobachte ich, dass sich der Gedanke des Netzwerkens und der wechselseitigen Allianzen sehr entwickelt hat. Auf der grünen Ratsliste für Köln etwa stehen viele – auch jüngere – Frauen, die sehr gut miteinander können und die mit einem ausgeprägten Teamgeist unterwegs sind.

Was sind dann die entscheidenden Faktoren, die nach wie vor eine gleichmäßige Anwartschaft auf kommunale Ämter oder deren Verteilung verhindern?

Die gesellschaftlichen Strukturen haben sich noch nicht so weit verändert, dass Kandidaturen von Frauen so normal sind, wie sie es sein sollten. Sicherlich unterscheidet sich die Situation in einer Großstadt wie Köln von derjenigen in ländlichen Gebieten. Aber das Platzhirsch-Verhalten vieler männlicher Kommunalpolitiker ist doch noch sehr, sehr weit verbreitet. Daraus folgen Organisationsformen von Kommunalpolitik, die auf die Lebenswirklichkeit und den Alltag von Familien viel zu wenig Rücksicht nehmen.

Wie äußert sich das?

Wie jüngste Umfragen zeigen, hat sich kaum etwas daran verändert, dass Sitzungstermine sich, salopp gesagt, eher an den Erfordernissen des männlichen Kegelvereins orientieren als an den Zeiten, zu denen Kinder ins Bett gebracht werden müssen. Oder dass Sitzungen sich endlos hinziehen, weil zwar alles schon gesagt wurde, aber eben noch nicht von allen anwesenden Männern. All das schlägt – seien wir ehrlich – viel stärker auf das Zeitbudget von Frauen durch als das von Männern, und es wirkt dementsprechend abschreckend auf Frauen, die zu ehrenamtlicher Kommunalpolitik durchaus bereit wären, es aber auch mit ihren Verpflichtungen in Beruf und Familie vereinbaren möchten.

Daran ändert auch die schönste Quote nichts.

Doch! Wenn Gremien paritätisch besetzt wären, würden sich auch die Abläufe ändern, weil die Frauen ihre Bedürfnisse ganz anders geltend machen und durchsetzen könnten.

Sie sind also Quotenfrau?

Ich lehne erstens den Begriff ab, weil er abwertend und beleidigend gedacht ist. Und ich halte die Quote zweitens für notwendig. Es wäre schön, wenn wir sie nicht bräuchten. Aber ohne die Quote werden sich die eingefahrenen, männlich dominierten gesellschaftlichen Muster nie ändern. Das ist schlicht die Erfahrung aus 30 Jahren Frauenförderprogrammen und Appellen an Einsicht und Freiwilligkeit.

Die Quote greift spätestens dann nicht mehr, wenn nur noch einen Posten zu vergeben ist. Zum Beispiel der eines grünen Kanzlerkandidaten oder einer Kanzlerkandidatin. Was dann?

Die Frage stellt sich zurzeit nicht. Ich bin mit Robert Habeck persönlich befreundet und halte Annalena Baerbock für eine hervorragende Politikerin. Die grüne Partei und die beiden Vorsitzenden werden eine gute Lösung finden.

Müsste der Ansatz für mehr Gleichberechtigung nicht viel früher erfolgen, nämlich schon in der Kindererziehung? Wenn ein Mädchen auf dem Spielplatz ans Klettergerüst geht, ruft die Mutter: „Sei bloß vorsichtig!“ Wenn ein Junge das macht, heißt es: „Toll, was du dich traust!“

Ich halte die Beobachtung für zutreffend. Sie wird auch durch Untersuchungen gestützt. Wir müssen tatsächlich schon in der frühkindlichen Erziehung damit beginnen, vermeintlich geschlechtertypische Rollenzuweisungen aufzubrechen. Dazu trägt beispielsweise die Umsetzung von Kinderrechten im Alltag der Kindertagesstätten bei. Hier können Mädchen und Jungen gleichberechtigt ihr Zusammenleben zu organisieren. Das mag jetzt vielleicht etwas hochtrabend klingen. Aber wir haben vom Deutschen Kinderhilfswerk, dessen Vizepräsidentin ich bin, Studien vorliegen, dass schon kleine Kinder sehr wohl in der Lage sind, Mitverantwortung für die Gestaltung ihres Alltags zu übernehmen. Das ist dann auch ein hervorragendes Lernfeld für ein geschlechterparitätisches Miteinander.

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Männer werden in der Politik anders wahrgenommen als Frauen. Sie gelten als durchsetzungsstark, wenn sie ihre Ziel verfolgen, Frauen schnell als zickig. Bei Frauen wird zudem noch häufig über Frisur und Gesichtsausdruck diskutiert. Ist das auch ein Grund, warum Frauen sich dem politischen Geschäft vielleicht nicht aussetzen wollen?

Da bin ich sehr sicher. Das ist auch meine persönliche Erfahrung. Ich war häufig die erste und einzige Frau in Gremien. Da wurde das Auftreten kommentiert oder ob man lange oder kurze Haare hat – das passiert einem Mann nicht. Ein Mann verhält sich einem Mann gegenüber nicht so. Eine Frau muss sich immer damit auseinandersetzen, als Objekt betrachtet zu werden. Damit umzugehen, es abzuschütteln oder zu kontern ist nicht einfach. Darauf haben viele Frauen keine Lust.

Welche Strategie haben Sie für sich entwickelt?

Ich habe darauf in den ersten Jahren schnippisch reagiert, aber mit der Zeit lernt man damit umzugehen, macht auch mal eine Gegenbemerkung. Mit der Zeit und je höher man steigt hört das auf, aber ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Es führt in politischen Verhandlungen oder Auseinandersetzungen zu Verunsicherung, denn diese Bemerkungen, Kommentierungen werden als Machtinstrument eingesetzt. Und da muss man eben lernen gegenzuhalten. Aber das bedarf Zeit. Aber ganz grundsätzlich erwarte ich, dass weniger die Forderung an Frauen gestellt wird, sich damit auseinanderzusetzen, sondern an die Männer, ihr Verhalten zu ändern, und dieses kumpelhafte, männerbündige Verhalten abzulegen.

Hat die MeToo-Debatte zu Verbesserungen geführt, was solches Verhalten angeht?

Es geht um die grundsätzliche Haltung und die Erkenntnis, dass respektloses Verhalten nicht immer eine sexuelle Konnotation hat, sondern dass man die Person grundsätzlich nicht achtet. Die MeToo-Debatte hat sicherlich zu einer größeren Sensibilisierung geführt, nur ob sich das schon in die Gremien durchgeschlagen hat, wage ich zu bezweifeln.

Zur Person

Anne Lütkes (72) ist Fachanwältin für Familienrecht. Sie war Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kölner Stadtrat und trat 1999 als Kandidatin ihrer Partei bei der OB-Wahl an. Danach war sie Ministerin für Justiz, Frauen, Jugend und Familie und zugleich Stellvertreterin der Ministerpräsidentin des Landes Schleswig-Holstein. Sie war von 2010 bis 2017 Regierungspräsidentin in Düsseldorf. Zudem ist sie Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerks.

In Neuseeland, Dänemark oder Finnland sind junge Frauen Regierungschefinnen. Es scheint sich ja doch etwas zu bewegen. Sehen Sie diese Entwicklung auch in der Kommunalpolitik?

Wie ich ja bereits sagte stehen auf der grünen Ratsliste viele junge, engagierte Frauen, die zusammenarbeiten, Netzwerke bilden und eine klare Haltung haben. Das ist eine positive Entwicklung. Und gerade diese jungen Präsidentinnen ob in Neuseeland, Finnland oder Dänemark finde ich toll. Aber das ist ja nicht nur eine Sache, wo die Frauen gefragt sind, es geht auch immer darum, wie die Männer damit umgehen und ob sie bereit sind, ihre Grundhaltung Frauen gegenüber zu verändern. Und da ist noch einiges zu tun.

Das Gespräch führten Anne Burgmer und Joachim Frank

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