Proteste gegen iranisches RegimeHoffen auf das Ende der Unterdrückung

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Eine Frau nahm am ·Marsch für die Freiheit·in Köln teil. Ihr Arm ist in die Luft gereckt, auf ihrer Wange steht „Iran“, auf der Stirn „Freiheit“.

Eine Frau nahm am ersten Novemberwochenende am ·Marsch für die Freiheit·in Köln teil. Organisiert wurde die Demo unter anderem vom deutsch-ukrainischen Verein Blau-Gelbes Kreuz.

Nach dem Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini ebbt die Welle der Proteste im Iran gegen das Regime nicht ab. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Woran haben sich die Proteste entzündet?

Anlass war der Tod der 22 Jahre alten Kurdin Mahsa Amini, die am 16. September im Polizeigewahrsam in Teheran ums Leben gekommen war. Die Sittenpolizei hatte die junge Frau wegen des Vorwurfs festgenommen, ihr Kopftuch nicht den Vorschriften entsprechend getragen zu haben. Nach Angaben von Aktivisten starb sie an einer Kopfverletzung in Folge von Schlägen. Das Regime behauptet hingegen, sie sei an den Folgen eines früheren chirurgischen Eingriffs im Kindesalter gestorben. Aminis Vater widersprach: „Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, dass Blut aus Mahsas Ohren und ihrem Nacken ausgetreten war“, hatte der in London ansässige persischsprachige Fernsehsender Iran International den Vater zitiert. Hunderttausende Menschen gehen seitdem immer wieder gegen das Mullah-Regimes auf die Straße – in mehr als 130 Städten des Landes, wie Menschenrechtsorganisationen melden.

Wie reagiert das Regime?

Mit brutaler Gewalt und Versuchen der Abschottung. Das Regime lässt auf die Protestierenden schießen und einschlagen, berichten Beobachter. Mehr als 300 Menschen seien dabei bislang getötet worden, teilt die Organisation Human Rights Activists News Agency aus den USA mit. Darunter sind auch Polizisten. Mehr als 14 000 Menschen seien festgenommen worden. Mit einer Blockade sozialer Netzwerke versucht das Regime zu verhindern, dass sich die Menschen verabreden und Informationen nach außen dringen – vergebens.

Wogegen richten sich die Demonstrationen?

Inzwischen gegen das gesamte Regime. Anfangs gingen vor allem Frauen auf die Straße, um unter dem Slogan „Frau, Freiheit, Leben“ gegen ihre Unterdrückung zu protestieren. Sie rissen sich die Kopftücher herunter und verbrannten sie. Mittlerweile demonstrieren Frauen wie Männer aller Schichten und fordern den Sturz des undemokratischen Mullah-Regimes. Prominente schlossen sich dem Widerstand an, darunter auch der Fußballer von Bayer Leverkusen, Sardar Azmoun, der in der iranischen Nationalmannschaft spielt. Im Land sind es in erster Linie junge Menschen, die sich gegen die Obrigkeit auflehnen. Hochschulen im ganzen Land sind zentrale Orte des Protests.

Wie sind die Erfolgsaussichten?

In Deutschland lebende Exiliranerinnen und -iraner sind optimistisch, dass es dieses Mal zum Durchbruch kommt. Der Grund dafür ist die Breite der Bewegung, die das Land erfasst hat. Auch andere im Ausland angesiedelte iranische Oppositionsbewegungen glauben, das sei jetzt der Wendepunkt. Doch es gibt auch skeptische Stimmen. Seit der Ausrufung der sogenannten „Islamischen Republik Iran“ im Jahr 1979 reagiert das iranische Regime immer wieder mit maßloser Gewalt auf Proteste. Auch dieses Mal befürchten Beobachter, dass die Mullahs zu noch härteren Mitteln greifen, um die Demonstrationen zu unterdrücken.

Heimtückische und böswillige Mächte sind auf Irans Boden eingedrungen
Ali Chamenei, Irans Staatsoberhaupt

Wie äußern sich die Spitzen des Regimes?

Irans Oberster Religionsführer Ali Chamenei nennt die Proteste einen „hybriden Krieg“ gegen das Land. „Einige heimtückische und böswillige europäische Mächte“ seien auf Irans Boden eingedrungen, sagte das 83 Jahre alte Staatsoberhaupt. Er warf außerdem Amerika und Israel Einmischung „mit Hilfe von nachrichtendienstlichen Mitteln“ sowie Medien vor.

Der Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden, Hussein Salami, forderte vor einigen Tagen – erfolglos – ein Ende der seit mehr als 40 Tagen anhaltenden Straßenproteste und drohte, „die Demonstranten sollten die Geduld des Systems nicht überstrapazieren“. Der General bezeichnete die Unruhen seit Mitte September in einer Rede als Verschwörung der USA, Großbritanniens, Israels und Saudi-Arabiens.

Gab es Vorläufer des Protests?

Seit der Errichtung der „Islamischen Republik“ 1979 erlebte das Land immer wieder Protestwellen. Schon am 8. März desselben Jahres demonstrierten Tausende Iranerinnen in Teheran und anderen Städten gegen die ersten Anzeichen ihrer systematischen Entrechtung. Den bislang größten Aufstand gab es im Jahr 2009 mit wochenlangen Massenprotesten nach der Präsidentschaftswahl. Der Sieg von Präsident Mahmud Ahmadineschad gegen den Oppositionskandidaten Mir Hossein Mussawi war nach Ansicht der Demonstrierenden die Folge massiver Wahlfälschungen. Hunderttausende gingen auf die Straße. Doch die Staatsmacht erstickte die Proteste, die Oppositionellen wurden schließlich unter Hausarrest gestellt.

Seit 2014 wurden auch immer wieder Protestaktionen von Iranerinnen gegen die Zwangsverschleierung publik. Weltweite Aufmerksamkeit erzielte die iranische Journalistin Masih Alinejad mit ihrer Aktion „My stealthy freedom“ (etwa: Meine heimliche Freiheit). Aus dem Exil veröffentlicht Alinejad bis heute Fotos und Videos von Iranerinnen, die unverschleiert durch die Straßen laufen und gegen das Regime protestieren. Viele dieser Aktivistinnen wurden verhaftet, es ist oft unklar, wo sie sind und wie es ihnen geht.

Wie sind die internationalen Reaktionen auf die aktuellen Proteste?

In zahlreichen Ländern solidarisieren sich Menschen mit der Protestbewegung und gehen ebenfalls gegen die Unterdrückung der Menschen im Iran auf die Straße. Die EU hat bisher lediglich elf iranische Personen und vier Organisationen sanktioniert. Offenbar sollen diese Sanktionen nun aber ausgeweitet werden. Die USA haben Sanktionen gegen 14 iranische Offizielle verhängt.

Was ist aus den Hoffnungen auf einen Reformprozess im Iran geworden?

Als 2013 der Kandidat des Reformlagers, Hassan Ruhani, die Präsidentschaftswahlen gewann, gab es große Erwartungen. Während seiner Amtszeit schloss der Iran 2015 mit den USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Russland und China das Atomabkommen, mit dem das Land an der Entwicklung einer Atombombe gehindert werden sollte. Viele Sanktionen wurden aufgehoben. Seit dem Austritt der USA 2018 liegt das Abkommen auf Eis. Die Hoffnungen auf eine verbesserte Menschenrechtslage wurden nie erfüllt, wie Amnesty International schon nach der ersten Amtszeit Ruhanis ernüchtert feststellte. (mit eul, dpa)

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