Ende des TranssexuellengesetzÜber das Geschlecht wird künftig selbst entschieden

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Pride Month Symbolbild 290622

„Pride Month“ Symbolbild

Der Zeitpunkt ist kein Zufall. Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne) stellen an diesem Donnerstag, dem letzten Tag des „Pride Month“ die ersten Eckpunkte des Selbstbestimmungsgesetzes vor. Künftig soll es das Transsexuellengesetz ersetzen.

Zum Ende des Monats, in dem die schwul, lesbische, bisexuelle, trans und queere Gemeinschaft (LGBTQ) für ihre Freiheit demonstriert, soll klar werden, wie die Ampel-Koalition die Rechte von trans Personen stärken will. So kann eine Änderung der Geschlechtsangabe künftig wohl durch einen einfachen Gang zum Standesamt erledigt werden. Und das bereits ab 14 Jahren.

Transsexuellengesetz (TSG) ist seit langem umstritten

Schon lange ist das seit 1981 geltende Transsexuellengesetz (TSG) umstritten. Bereits sechs Mal hat das Bundesverfassungsgericht einzelne Vorschriften des TSG für verfassungswidrig erklärt. Um ihren Geschlechtseintrag anpassen zu können, mussten trans Personen sich bis 2011 scheiden und sterilisieren lassen.

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Auch Operationen an den Geschlechtsmerkmalen wurden vorausgesetzt. Aktuell müssen trans Personen noch immer ein Gerichtsverfahren durchlaufen, in dem sie zwei Gutachten über ihre Transidentität nachweisen müssen. Trans-Sein wird juristisch dadurch immer noch pathologisiert, also als Störung begriffen. Die Kosten für die Gutachten liegen im vierstelligen Bereich. Deshalb sollen sie entfallen. So steht es im Koalitionsvertrag. Verbände bezeichnen das als überfällig.

„Die bisher verlangte doppelte psychiatrische Begutachtung ist menschenrechtswidrig“, sagt Petra Weitzel, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualtität (dgti). Sie verweist auf die Weltgesundheitsorganisation WHO, die bereits 2019 erklärt hat, dass trans-Sein keine psychische Störung ist. Das unterstützt auch der Frankfurter Psychologe Bernd Meyenburg. Der 70-jährige gilt in Deutschland als Koryphäe auf dem Gebiet, richtete Ende der 1980er Jahre die erste Sprechstunde für transidente Kinder und Jugendliche ein.

„Die aktuell nötigen Gutachten sind überflüssig“

„Die Betroffenen wissen es am besten. Die aktuell nötigen Gutachten sind überflüssig“, sagt Meyenburg. „Die Menschen müssen dafür lange Reisen, viele Termine, hohe Kosten und intime Fragen zu ihren Lebensverhältnissen und ihrer Sexualität in Kauf nehmen.“ Gemeinsam mit Hamburger Kollegen habe er 1400 Gutachten aller Altersgruppen nach dem Transsexuellengesetz ausgewertet.

„Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass quasi alle Gutachten positiv ausgefallen sind“, so der Psychologe. Die Transidentität der Person wurde bestätigt. „Der Anteil der negativen Gutachten liegt bei unter einem Prozent. Das sind besondere Einzelfälle, wie Kinder, bei denen man es noch nicht mit Sicherheit sagen kann.“

Deutscher Kinderschutzbund fordert mehr Aufklärung

Besonders Kindern und Jugendlichen muss mehr Aufklärung zur Verfügung stehen, fordert der Deutsche Kinderschutzbund. Die eigene Unsicherheit über die Geschlechtszugehörigkeit und die Konfrontation mit anderen beeinträchtige Kinder und Jugendliche, sagt Heinz Hilgers, Präsident des Kinderschutzbundes.

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„Diese Gemengelage kann hohe psychische Belastungen erzeugen und führt in einigen Fällen sogar zum Suizid. Wir finden es deshalb richtig, auch Jugendlichen ab dem 14. Lebensjahr eine selbstbestimmte Entscheidung über ihre Geschlechtszugehörigkeit zu ermöglichen.“

Aufklärung könne außerdem gegen Anfeindungen im Internet helfen, sagt Petra Weitzel von der dgti. „Einen Anti-Trans Hype gibt es tatsächlich“, sagt sie. Radikale Gruppen hätten im Netz eine größere Reichweite als „jede bisher vorhandene Aufklärung der Verbände und Selbsthilfe.“ Diese Kampagnen hätten unmittelbare Auswirkungen auch außerhalb des Internets. „Der Hass im Netz wirkt: Auf den Christopher Street Days in diesem Sommer sind gewalttätige Übergriffe keine Ausnahme mehr, sondern die Regel geworden“, sagt Weitzel.

Alice Weidel widerspricht Selbstbestimmungsgesetz

Widerspruch zum Selbstbestimmungsgesetz kommt aber auch aus radikalen feministischen Kreisen. Alice Schwarzer hatte jüngst immer wieder Stimmung gegen trans Frauen gemacht. Sie sieht „Frauen bedroht“. „Eine lautstarke Minderheit“ richte „ihre neue Identität aggressiv gegen die Interessen biologischer Frauen“, Schutzräume wie Frauenhäuser seien in Gefahr.

Der Deutsche Frauenrat, der sich der Forderung nach einem Recht auf Selbstbestimmung angeschlossen hat, widerspricht derartigen Befürchtungen. „Wir sprechen hier nicht über Menschen, die sich mal eben als Frau ausgeben, sondern über Menschen, denen bei der Geburt ein Geschlecht zugeordnet wurde, das nicht ihrer Identität entspricht“, sagt die Vorsitzende Beate von Miquel.

„Es gibt dazu auch keine Belege aus Ländern, in denen es schon Selbstbestimmungsgesetze gibt.“ Petra Weitzel betont: „Es ist in unserer Gesellschaft immer noch so, dass Frauen insgesamt benachteiligt werden. Nur zum Spaß mal das rechtliche Geschlecht ändern, bringt viel mehr Nach- als Vorteile mit sich. Wer Frauen auflauern will, braucht dazu keinen Ausweis.“

Gesetz wird in feministischer Bewegung kontrovers diskutiert

Das Gesetz birgt dennoch Streitpotential innerhalb feministischer Bewegungen. „Es muss immer möglich sein, über Herausforderungen zu sprechen“, sagt von Miquel. „In unserem heterogenen Verband wird das Thema intensiv, aber immer mit Respekt diskutiert.“ Aber: „Als Feministinnen dürfen wir uns nicht spalten lassen! Weder bei diesem, noch bei irgendeinem anderen Thema.“

Psychologe Bernd Meyenburg wünscht sich derweil eine inhaltlich getriebene Diskussion über die Eckpunkte des Selbstbestimmungsgesetzes. „Ein heikler Punkt im Selbstbestimmungsgesetz ist für mich die Altersgrenze“, so Meyenburg. „Dass man sein Geschlecht ab 14 Jahren ändern kann, halte ich für problematisch. In der Zeit in und um die Pubertät festigt sich das Geschlecht erst. Da sollte man Vorsicht walten lassen. Ich würde eine Grenze ab 16 Jahren empfehlen.“ (RND)

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