Fahnen bei Demo am ReichstagDafür steht die schwarz-weiß-rote Reichsflagge

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Reichsfahne

Eine Demonstration schwenkt eine Reichsfahne vor dem Reichstag während der Demonstration gegen die Corona-Politik in Berlin.

Berlin – „Abscheulich und unerträglich”, mit diesen Worten hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier jene Bilder vom Wochenende kritisiert, auf denen rechtsextreme Demonstranten die Reichsflagge vor dem Reichstag schwenken. Politiker der meisten Parteien zeigten sich empört.

Dabei ist die schwarz-weiß-rote Flagge selbst gar nicht verboten - und das ist offenbar auch der Grund dafür, warum sie sich in rechtsextremen Kreisen immer größerer Beliebtheit erfreut.

Flagge widerspricht Werten der heutigen Bundesrepublik

„Neonazis würden natürlich gern die Hakenkreuzfahne schwenken, aber die ist nun einmal verboten und das ist mit erheblichen Sanktionen belegt”, erklärt Professor Michael Dreyer, Politikwissenschaftler und Leiter der Forschungsstelle Weimarer Republik der Friedrich-Schiller-Universität Jena, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Also weicht man auf eine andere Flagge aus. Die symbolische Aufladung ist ja schnell hergestellt.”

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In die Reichsflagge als solche würden die meisten, die sie derzeit tragen, nicht so viel hineininterpretieren, glaubt der Forscher. Dabei böte sie dafür durchaus Anlass, denn auch die schwarz-weiß-rote Fahne steht für vieles, was den Werten der heutigen Bundesrepublik widerspricht.

Symbol gegen die liberal-demokratische Republik

Nachdem die Farbkombination in den 1860er Jahren erstmals als Flagge des Norddeutschen Bundes auftauchte, wurde sie später Flagge des Deutschen Kaiserreiches. Schon damals kritisierten republikanisch Gesinnte die Farbzusammensetzung und plädierten für die Farben Schwarz, Rot und Gold, weil diese nicht für einen Ausschluss des deutschsprachigen Österreichs aus dem deutschen Nationalstaat standen. Die Reichsflagge etablierte sich aber als patriotisches und nationalistisches Symbol - vor allem während des Ersten Weltkrieges.

Seither ist die Abgrenzung in Deutschland eindeutig: Schwarz-Weiß-Rot steht für Obrigkeitshörigkeit und Nationalismus, Schwarz-Rot-Gold für Demokratie und Liberalismus.

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Folgerichtig wählte die 1919 entstandene Weimarer Republik die Nationalflagge Schwarz-Rot-Gold. Militärische und nationalistische Kräfte waren aber stark genug, um bei der Verfassunggebung durchzusetzen, dass die deutschen Handels- und Marineschiffe weiter unter der alten Reichsflagge fuhren - wenn auch mit einer kleinen schwarz-rot-goldenen Flagge in der oberen linken Ecke. Antidemokratische und rechtsradikale Bewegungen begannen schon damals, die Reichsflagge weiterhin als Symbol zu nutzen und so ihre politische Gesinnung auszudrücken.

Im Jahr 1926 führte der sogenannte “Flaggenstreit” zur Absetzung des Reichskanzlers Hans Luther und seines Kabinetts, weil die Regierung einen Erlass durchbringen wollte, neben der schwarz-rot-goldenen Fahne auch immer eine schwarz-weiß-rote zu platzieren. Das Vorhaben scheiterte, die Regierung stürzte.

Die Reichsflagge im Nationalsozialismus

Die Idee zweier Flaggen übernahm der Nationalsozialismus. Die Reichsflagge und die Hakenkreuzfahne wurden vorerst nebeneinander gehisst. Nachdem Adolf Hitler 1934 die politischen Spitzenämter Reichskanzler und Reichspräsident vereint hatte, legte er sich auf die Hakenkreuzfahne fest. Die Reichsflagge war nicht mehr Nationalflagge Deutschlands. Nach dem Ende des NS-Regimes gab es keine Diskussionen mehr über die Nationalflagge. Schwarz-Rot-Gold wurde die deutsche Flagge, wie wir sie heute kennen.

Verbot der Reichsflagge würde Problem nicht lösen

Dass alle, die nun hinter dieser Flagge herlaufen, deren Geschichte und Bedeutung kennen, bezweifelt Experte Dreyer. “Die vermeintlich Wissenden sind die ideologischen Rädelsführer, die anderen geben ihnen die Masse, so aufzutreten und die Treppen des Reichstages zu stürmen”, sagt er. Besser mache das die Sache allerdings nicht. “Ein Führer ohne Geführte ist uninteressant, aber eine Herde von Schlafschafen, die sich nur führen lassen, werden mit ihm gefährlich”, warnt der Politikprofessor.

Und könnte man das Problem nicht einfach lösen, indem mach auch das Zeigen der Reichsflagge verbietet? Da winkt Dreyer ab. “Es ist ja nicht so als wäre die deutsche Geschichte arm an autokratischen Flaggen”, sagt er. “Würde man die Reichsflagge ebenfalls verbieten, würde es Minuten dauern, eine neue zu finden.” (RND)

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