Von Wuhan bis KarnevalDas Protokoll eines unglaublichen Corona-Jahres

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Dr. Joseph Varon_ Texas

Ein Arzt auf einer Intentivstation in Houston, Texas, tröstet einen schwer an Covid-19 erkrankten Mann.

  • Im Dezember 2019 wissen die Behörden in China von 27 Menschen, die an einer mysteriösen Lungenkrankheit leiden. Ein Jahr später hofft die Welt auf den Impfstoff gegen Covid-19.

Es ist Aschermittwoch, der 26. Februar, als Corona NRW erreicht. Zwölf Tage zuvor ausgebrochen auf einer Karnevalssitzung in der Gemeinde Gangelt, die zum Kreis Heinsberg gehört. Dort hat es ideale Bedingungen vorgefunden, um sich rasend schnell zu verbreiten. 300 Menschen, die bei der Kappensitzung des Karnevalsvereins „Langbröker Dicke Flaa“ unbeschwert feiern. Dicht an dicht. Bis dahin war Corona überhaupt kein Thema, Wuhan noch ganz weit weg.

Zwölf Tage später. Die Aussagen bei der Pressekonferenz im Gesundheitsministerium in Düsseldorf klingen aus heutiger Sicht surreal. Der Minister versucht zu beruhigen: „Es handelt sich um eine überschaubare Sitzung in einer überschaubaren Gemeinde.“ Karl-Josef Laumann und fordert die Menschen auf, sofort zu reagieren, „wenn sie Symptome haben. Wir müssen sehr aufpassen, dass keine Panik entsteht.“

Der ärztliche Direktor der Düsseldorfer Uni-Klinik, in der die beiden ersten Covid-19-Patienten aus NRW versorgt werden, sieht das Gesundheitssystem gut gerüstet. „Das Krankheitsbild kann schwere Verläufe haben, ist aber nicht vergleichbar mit anderen schweren Infektionskrankheiten“, sagt Professor Dieter Häussinger.

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Gut zwei Wochen später verkündet Ministerpräsident Armin Laschet in Düsseldorf die Schließung aller Schulen und Kitas. „Wir stehen vor einer riesigen Bewährungsprobe, wahrscheinlich der größten in der Landesgeschichte“, sagt der CDU-Politiker. Da hat sich Corona längst zu einer Pandemie entwickelt mit weltweit rund 60 Millionen Infizierten – bis heute. Eine Chronik.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in einer Plenarsitzung im Deutschen Bundestag mit FFP-Maske. 

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in einer Plenarsitzung im Deutschen Bundestag mit FFP-Maske. 

Dezember 2019: Die Gesundheitskommission der chinesischen Millionen-Metropole Wuhan identifiziert bis Ende Dezember 27 Menschen, die an einer mysteriösen Lungenerkrankung leiden. Mehrere Fälle können auf den Besuch des Wuhan Huanan Fischmarktes zurückgeführt werden. Die Behörden reden das Problem klein.

1. Januar 2020: Der Fischmarkt wird geschlossen. Acht Tage später stirbt der erste Mensch an Covid-19.

23. Januar: Wuhan wird abgeriegelt, wenige Tage später folgt die gesamte Provinz Hubei. Rund 60 Millionen Menschen dürfen ihre Wohnungen nicht mehr verlassen. Es ist die bis dahin größte Quarantäne der Menschheitsgeschichte. Jetzt reagieren die Behörden und bauen innerhalb von zwei Wochen zwei Notfallkliniken mit 2500 Betten auf.

24. Januar: Das Virus ist in Europa angekommen. In Frankreich werden die ersten Fälle bekannt. Im bayrischen Starnberg infizieren sich zwei Mitarbeiter eines Autozulieferers.

26. Februar: Am Aschermittwoch wendet sich Stephan Pusch, Landrat des Kreises Heinsberg, an die Bevölkerung. In der Ortschaft Gangelt hat sich ein Ehepaar mit dem Virus infiziert. „Die Situation erfordert von uns allen ein bisschen Disziplin, aber wir sollten auch nicht in Panik verfallen“, sagt Pusch.

9. März: Die überfüllten Intensivstationen und die massenhaften Todesfälle in der Lombardei versetzen die EU in Alarmstimmung. Italien wird zur roten Zone, rund 60 Millionen Menschen müssen in Quarantäne. Die Zahl der Infektionen steigt bundesweit auf mehr als 1000. Ein 78-Jähriger aus dem Kreis Heinsberg und eine 89-Jährige aus Essen sind die ersten Corona-Toten in NRW. Der Kreis Heinsberg wird zum ersten Hotspot.

11. März: Mönchengladbach und der 1. FC Köln bestreiten das erste Geisterspiel in der Geschichte der Fußball-Bundesliga.

12./13. März: Immer mehr Theater und Konzerthäuser stellen den Spielbetrieb ein. Die Bundesliga pausiert.

16. März: An den Grenzen zu Frankreich, Österreich, Luxemburg, Dänemark und der Schweiz gibt es Kontrollen und Einreiseverbote. In den meisten Bundesländern sind Schulen und Kitas geschlossen.

17. März: Die französische Regierung beschließt einen harten Lockdown. In Deutschland kommt es zu Hamsterkäufen. Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité wird mit seinem Podcast im NDR zum wichtigsten Corona-Erklärer.

Erlangte in der Corona-Krise große Bekanntheit: der Virologe Christian Drosten

Erlangte in der Corona-Krise große Bekanntheit: der Virologe Christian Drosten

18. März: Bundeskanzlerin Angela Merkel wendet sich in einer Fernsehansprache an die Deutschen: „Seit der deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt.“ Kitas und Schulen werden geschlossen. Bund und Länder einigen sich auf strenge Kontaktbeschränkungen.

22. März: Ansammlungen von mehr als zwei Menschen werden in Deutschland verboten. Ausgenommen sind Angehörige, die im eigenen Haushalt leben. Cafés, Kneipen, Restaurants, aber auch Friseure zum Beispiel schließen.

30. März: Ganz Deutschland blickt auf ein Dorf. Wissenschaftler der Uniklinik Bonn unter Leitung des Virologen Hendrik Streeck beginnen in Gangelt im Kreis Heinsberg mit einer repräsentativen Studie, an der 1500 Menschen aus 500 Familien teilnehmen. Sie soll Aufschluss darüber geben, wie sich das Virus verbreitet.

3. April: Forscher melden erste Erfolge im Kampf gegen die Pandemie und halten Lockerungen nach den Osterferien für denkbar.

15. April: Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Länderchefs einigen sich auf ein schrittweises Hochfahren des Schulbetriebs ab 4. Mai.

20. April: Geschäfte unter 800 Quadratmetern Fläche dürfen wieder öffnen. Als erstes Bundesland führt Sachsen die Maskenpflicht im Nahverkehr und im Einzelhandel ein. Alle anderen ziehen nach.

22. April: Die Firma Biontech darf einen möglichen Impfstoff in einer klinischen Studie testen. Für Firmen, Arbeitnehmer und Gastronomie gibt es milliardenschwere Hilfen.

6. Mai: Die Länder bekommen weitgehende Verantwortung für die Lockerung von Beschränkungen, etwa für Hotels, Gastronomie, Schwimmbäder und Fitnessstudios.

16. Mai: Sachsen-Anhalt registriert als erstes Bundesland seit Ausbruch der Pandemie keine Neuinfektionen im Vergleich zum Vortag. Die Bundesliga legt wieder los – ohne Fans.

Jens Spahn (CDU,r), Bundesgesundheitsminister und Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen im Innenraum eines Stadions. 

Jens Spahn (CDU,r), Bundesgesundheitsminister und Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen im Innenraum eines Stadions. 

16. Juni: Im Kampf gegen das Virus geht eine staatliche Warn-App an den Start. Sie soll helfen, Infektionen nachzuverfolgen.

18. Juni: Der Ausbruch des Corona-Virus in der Tönnies-Fleischfabrik in Rheda-Wiedenbrück ist der bis heute größte in NRW. Von den rund 6500 Beschäftigten werden 1300 positiv getestet. 600 000 Menschen in den betroffenen Landkreisen Gütersloh und Warendorf bangen um ihre Sommerferien, weil etliche Bundesländer Beherbergungsverbote aussprechen. Der Fall löst eine Debatte über die Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen aus. Im November einigt sich die große Koalition darauf, Werkverträge und Leiharbeit zu verbieten.

16. Juli: Das Robert Koch-Institut meldet, die Zahl der in Deutschland registrierten Infektionen sei auf mehr als 200.000 gestiegen.

8. August: Einreisende aus internationalen Risikogebieten müssen sich bei der Rückkehr nach Deutschland testen lassen.

29. August: Etwa 40.000 Menschen protestieren in Berlin gegen die Corona-Maßnahmen. Demonstranten durchbrechen die Absperrung vor dem Reichstag und besetzen die Treppe.

30. September: Angesichts wieder steigender Infektionszahlen fordert die Kanzlerin zum Durchhalten auf. „Wir riskieren gerade alles, was wir in den letzten Monaten erreicht haben“, sagt Merkel im Bundestag.

2. Oktober: US-Präsident Donald Trump, der die Existenz des Corona-Virus über Monate schlichtweg geleugnet hat, ist selbst infiziert und muss ins Krankenhaus. Schon nach vier Tagen twittert er aus dem Weißen Haus: „Ich habe so viel über das Coronavirus gelernt. Eins ist sicher: Lasst euch nicht davon dominieren. Habt keine Angst davor.“

28. Oktober: Mit Kontaktbeschränkungen und dem Herunterfahren von Freizeitaktivitäten wollen Bund und Länder die zweite Infektionswelle brechen. Der neue Teil-Lockdown beginnt am 2. November.

6. November: Erstmals werden in Deutschland mehr als 20.000 neue Infektionen innerhalb eines Tages registriert.

9. November: Als erste westliche Hersteller veröffentlichen Biontech und der US-Pharmakonzern Pfizer vielversprechende Ergebnisse einer für die Zulassung ihres Corona-Impfstoffs entscheidenden Studie.

Der Biontech-Impfstoff

Der Biontech-Impfstoff

18. November: Unter dem Protest Tausender machen Bundestag und Bundesrat den Weg für Änderungen im Infektionsschutzgesetz frei.

20. November: Biontech und Pfizer beantragen bei der US-Arzneimittelbehörde FDA eine Notfallzulassung für ihren Impfstoff.

25. November: Die strengen Beschränkungen für persönliche Kontakte werden für weitere Wochen verschärft – und nur über Weihnachten leicht gelockert. Darauf verständigen sich Bund und Länder.

27. November: Die Zahl der nachgewiesenen Infektionen in Deutschland hat die Marke von einer Million überschritten.

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30. November: Als erstes Unternehmen beantragt der US-Pharmakonzern Moderna die Zulassung für einen Corona-Impfstoff in der EU. Die kooperierenden Unternehmen Biontech und Pfizer folgen.

2. Dezember: Die britische Aufsichtsbehörde für Arzneimittel hat eine Notfallzulassung für den Impfstoff von Biontech und Pfizer erteilt, die erste Zulassung für den Impfstoff BNT162b2 weltweit. Bund und Länder verlängern den Teil-Lockdown: Restaurants, Museen, Theater und andere Freizeiteinrichtungen bleiben bis zum 10. Januar geschlossen.

13. Dezember: Die Ministerpräsidenten der Länder einigen sich mit Kanzlerin Merkel über einen harten Lockdown vorerst bis zum 10. Januar.

15. Dezember: Die Wahrscheinlichkeit, dass in Deutschland noch vor Weihnachten mit ersten Impfungen begonnen werden kann, steigt. Die europäische Arzneimittelbehörde Ema kündigt an, bereits am kommenden Montag ihr Gutachten über die Zulassung des Impfstoffs der beiden Unternehmen Pfizer und Biontech vorzulegen. Danach müsste formell nur noch die EU-Kommission zustimmen. (mit dpa)

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