Schwerkranke Kläger vor Kölner GerichtDarf es Selbsttötung auf Behörden-Rezept geben?

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Harald Mayer (l.) vor dem Ver­wal­tungs­ge­richt Köln: Dort klagte er auf das Recht, tödliche Medikamente kaufen zu dürfen, um sich selbst zu töten. 

  • Mehrere unheilbar Kranke haben vor dem Kölner Verwaltungsgericht geklagt. Sie wollen ein tödliches Medikament zur Selbsttötung erwerben.
  • Das Kölner Gericht verwies die Klagen an das Bundesverfassungsgericht.
  • Unser Kolumnist Michael Bertrams, früherer Präsident des Verfassungsgerichtshofs NRW, bewertet die Klagen juristisch. Zu welchem Schluss kommt er?

Köln – Vor dem Verwaltungsgericht Köln wenden sich derzeit mehrere Kläger, die an schweren Krankheiten leiden, gegen Bescheide des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte.

Es hat Anträge der Kläger auf Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung zurückgewiesen. In ihren Anträgen berufen sich die Kläger gegenüber dem Bundesinstitut, einer Behörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit, auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2017. Es spricht unheilbar Kranken in einer extremen Notsituation das Recht auf Erwerb eines letalen (tödlichen) Mittels zum Suizid zu. Grundlage dieser Entscheidung ist eine verfassungskonforme Auslegung des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) im Lichte des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts dahingehend, dass der Erwerb eines letalen Mittels entgegen dem gesetzlichen Verbot ausnahmsweise erlaubt sein soll.

Mit Beschluss vom 19. November hat das Kölner Verwaltungsgerichts in Anlehnung an das Urteil der Leipziger Bundesrichter seine Sicht der Dinge dargelegt: Auch nach Überzeugung des Kölner Gerichts ist es mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, sich gegenüber schwerkranken Menschen in einer existenziellen Notlage darauf zu berufen, dass der Erwerb eines Mittels zur Selbsttötung generell verboten sei.

Die staatliche Schutzpflicht für das Leben könne in begründeten Einzelfällen hinter das Recht des Einzelnen auf einen frei verantworteten Suizid zurücktreten. Es sei jedoch nicht möglich, dieser Position durch eine verfassungskonforme Auslegung der Verbotsregelung im BtMG zu entsprechen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sei der Erwerb eines Mittels zur Selbsttötung generell ausgeschlossen. Darüber dürfe sich das Verwaltungsgericht nicht hinwegsetzen. Eine Klärung der Verfassungsmäßigkeit des Verbots müsse daher durch das Bundesverfassungsgericht erfolgen.

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Das Verwaltungsgericht hat deshalb die bei ihm anhängigen Klageverfahren ausgesetzt und die maßgebliche Verbotsregelung dem Verfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt.

Wie wird es entscheiden? Meines Erachtens sprechen schwerwiegende Gründe dafür, dass Karlsruhe der Sicht der Verwaltungsgerichte in Köln und Leipzig nicht folgen und eine Erlaubnis zum Erwerb letaler Mittel zur Selbsttötung ablehnen wird. Einen zentralen Grund für diese Annahme nennt das Verwaltungsgericht Köln selbst: Der Zweck des BtMG ist nach seinem eindeutigen Wortlaut auf lebenserhaltende und lebensfördernde Maßnahmen und Verwendungszwecke gerichtet. Er schließt mithin eine Erlaubnis zum Erwerb letaler Mittel zum Suizid erkennbar aus. Diesen Ausschluss kann auch eine Auslegung im Lichte des Persönlichkeitsrechts nicht überwinden. Soweit das Bundesverwaltungsgericht dies mit seiner Auslegung versucht, wendet es sich gegen den offenkundigen Willen des Gesetzgebers und setzt damit – wie auch der frühere Verfassungsrichter Udo Di Fabio in einem Rechtsgutachten für das Bundesinstitut feststellt – seinen eigenen rechtspolitischen Willen an die Stelle des Willens des Gesetzgebers.

Hilflose Menschen nicht sich selbst überlassen

Darin liegt ein Verstoß gegen das in Artikel 20 des Grundgesetzes niedergelegte Gewaltenteilungsprinzip. Die Auffassung, ein Anspruch unheilbar Kranker auf Erwerb von Mitteln zur Selbsttötung lasse sich aus einer Schutzpflicht des Staates ableiten, dürfte ebenfalls einer Prüfung in Karlsruhe nicht standhalten. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist zwar anerkannt, dass die staatliche Gemeinschaft hilflose Menschen in einer Notlage nicht sich selbst überlassen darf.

Daraus folgt aber keine Verpflichtung des Staates, unheilbar kranken Menschen auch eine Selbsttötung zu ermöglichen und ihnen zum Erwerb des dafür erforderlichen letalen Mittels durch das Bundesinstitut ein „behördliches Rezept“ ausstellen zu lassen. Der gesetzliche Ausschluss eines Erwerbs letaler Mittel zur Selbsttötung ist von daher auch kein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen.

In einer Kolumne zum Thema Sterbehilfe habe ich im August 2014 im „Kölner Stadt-Anzeiger“ die Auffassung vertreten, dass in Fällen, in denen bei unheilbarer Krankheit auch palliative Maßnahmen das unerträgliche Leiden eines Patienten nicht mehr lindern können, ärztliche Sterbehilfe zugelassen und nicht unter Strafe gestellt werden sollte, sofern der Patient den Tod frei verantwortlich und nachhaltig wünsche. An dieser Auffassung halte ich fest.

Weg aus extremer Not

Von daher stimme ich mit der Intention des Bundesverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichts Köln völlig überein, unheilbar Kranken einen Weg aus extremer Not zu eröffnen. Gegen den vorgeschlagenen Weg habe ich jedoch erhebliche Bedenken. Gefordert ist meines Erachtens der Gesetzgeber.

Dabei geht es nicht um behördliche Rezepte zum Erwerb letaler Mittel zur Selbsttötung, sondern um ärztliche Sterbehilfe. Diese hat der Bundestag 2015 mit Mehrheit abgelehnt.

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