Kanzler-Tweet mit Korrekturhinweis„Bizarr“ und „falsch“ – Harte Kritik an Scholz nach Taurus-Erklärung

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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steht nach seiner Ablehnung einer Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine in der Kritik. (Archivbild)

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steht nach seiner Ablehnung einer Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine in der Kritik. (Archivbild)

Kanzler Scholz erntet Kritik aus Ampel und Opposition für sein Nein zu Taurus. Macron stänkert mit – und X korrigiert einen Kanzler-Tweet. 

Eine „besser informierte Welt zu schaffen“, sei das Ziel von „Community Notes“, erklärt das soziale Netzwerk X (vormals Twitter) in seinem Hilfezentrum. So hätten „Menschen auf X die Möglichkeit, gemeinsam Kontext zu potenziell irreführenden Beiträgen hinzuzufügen“, schreibt das von Multimilliardär Elon Musk übernommene soziale Netzwerk weiter. Sobald genügend Nutzerinnen und Nutzer einen Hinweis als „hilfreich“ bewerten, werde dieser unter dem ursprünglichen Beitrag angezeigt.

Bei X passiert das täglich – allerdings nur selten bei Beiträgen von Staatschefs. Bundeskanzler Olaf Scholz ist die zweifelhafte Ehre nun dennoch zuteilgeworden: Unter einem Beitrag des Kanzlers zu Taurus-Marschflugkörpern prangt mittlerweile eine „Community Note“ – und korrigiert die Worte von Scholz. 

Taurus-Beitrag von Olaf Scholz bekommt „Community Note“ bei X

„Deutschland ist der größte militärische Unterstützer der Ukraine in Europa. Dabei bleibt es. Klar ist aber: Wir werden nicht zur Kriegspartei – weder direkt noch indirekt. Diese beiden Prinzipien leiten alle meine Entscheidungen“, hatte Scholz am Montag geschrieben, um seine erneute Ablehnung einer Lieferung von deutschen Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine zu erklären.

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„Es ist nicht korrekt, dass für die Taurus Lieferungen deutsche Soldaten auf dem Boden der Ukraine benötigt würden“, steht nun deutlich sichtbar unter dem Beitrag des Kanzlers. „Die französischen und britischen Systeme Storm Shadow und Scalp werden von der Ukraine eingesetzt, ohne dass die Länder Kriegspartei wurden“, heißt es weiter in der „Community Note“.

Scharfe Kritik an Olaf Scholz: „So etwas gibt es völkerrechtlich nicht“

Seit Monaten hofft Kiew auf eine Lieferung der Taurus-Marschflugkörper, die weitreichenden Raketen würden der Ukraine Schläge gegen russische Versorgungslinien hinter der Frontlinie erlauben – und so zielgerichtete Vorstöße ukrainischer Bodentruppen ermöglichen könnte. Doch Scholz will trotz Druck auch aus den eigenen Reihen partout nicht liefern. Am Montag erklärte der Kanzler, warum – und erntete dafür nicht nur die „Community Note“, sondern auch viel Kritik aus der eigenen Koalition.

Denn an einigen der Argumente des Kanzlers gibt es offensichtlich erheblichen Zweifel. Zum einen gebe es keine „indirekten Kriegsparteien“, entgegneten die Kanzler-Kritiker. „So etwas gibt es völkerrechtlich nicht“, schrieb der Kölner Professor für internationale Politik, Thomas Jäger, bei X. Der Begriff entstamme den „Desinformationsnarrativen der Putin-Unterstützer“, führte Jäger aus – und fragte: „Was soll das?“ 

Olaf Scholz: „Das weiß auch jeder, der sich damit auseinandergesetzt hat“

Scholz hatte sich zuvor in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur zu Taurus geäußert – und seine Bedenken auch mit Blick auf die Unterschiede zu den von Frankreich und Großbritannien bereits gelieferten Langstreckenraketen erläutert.

„Das ist eine sehr weitreichende Waffe, und das, was an Zielsteuerung und Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden“, erklärte Scholz. „Das weiß auch jeder, der sich mit diesem System auseinandergesetzt hat“, so der Kanzler. Er sei daher „verwundert“, dass ihm die Frage nach Taurus immer wieder aufs Neue gestellt werde. 

„Wenn das die Antwort des Bundeskanzlers ist, dann ist das mehr als bizarr“

Doch auch mit dieser Begründung geben sich die Kritiker des Kanzlers nicht zufrieden. Die Reaktionen ließen nicht nur bei X nicht lange auf sich warten. „Ich bin wirklich fassungslos“, erklärte FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann angesichts der Ausführungen des Kanzlers – und kritisierte auch den Zeitpunkt von Scholz’ Nein zu Taurus. Die FDP-Politikerin, die in der letzten Woche für einen Oppositionsantrag zur Lieferung der Raketen gestimmt hatte, ließ gegenüber der „Welt“ aber vor allem an der Begründung des Kanzlers kein gutes Haar.

Scholz liege falsch mit der Behauptung, es müssten Bundeswehrsoldaten in die Ukraine, um Taurus einsetzen zu können. Das stimme schlichtweg nicht, so Strack-Zimmermann. Der Kanzler suche mit diesem Argument lediglich eine Ausrede, um nicht zu liefern. „Wenn das die Antwort des Bundeskanzlers ist, dann ist das mehr als bizarr“, sagte Strack-Zimmermann zudem der ARD. 

Ähnlich eindeutig fiel auch die Reaktion der Grünen – und damit des zweiten Koalitionspartners von Scholz – aus. „Das ist falsch“, erklärte Anton Hofreiter. Deutschland habe den Taurus auch nach Südkorea und Spanien geliefert. Südkorea habe 260 Stück bekommen, Spanien 43. „Wenn die den nur einsetzen könnten, mit deutschen Soldaten vor Ort, die hätten den doch nie bestellt“, sagte der Vorsitzende des Europaausschusses des Bundestags.

Die Bundeswehr könne „problemlos die inzwischen sehr kriegserfahrenen ukrainischen Soldaten in Deutschland am Taurus ausbilden“, so Hofreiter. Auch eine Eskalationsgefahr im Zusammenhang mit einer Taurus-Lieferung ließ der Grünen-Politiker als Argument nicht gelten: „Das Argument mit der Eskalationsgefahr bringt der Kanzler immer wieder. Es wird dadurch nicht richtiger.“

Kritik auch aus der CDU: „Scholz brüskiert unsere engsten Verbündeten“

Kritik an Scholz gab es derweil auch aus der CDU. „Die Aussagen des Kanzlers zu Taurus sind auch mit Blick auf Frankreich und Großbritannien verantwortungslos“, kritisierte Norbert Röttgen. „Beide Staaten liefern der Ukraine Marschflugkörper. Natürlich sind sie deshalb nicht Kriegspartei“, führte der CDU-Politiker aus, der bereits lange die Taurus-Lieferung fordert. „Scholz hat die Kontrolle über seine Argumente verloren und brüskiert unsere engsten Verbündeten“, fügte Röttgen an. 

Rückendeckung bekam Scholz unterdessen aus der eigenen Partei – und von AfD und BSW. Die Entscheidung des Kanzlers habe seine „volle Unterstützung und volle Solidarität“, erklärte der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil. „Zwei Flugstunden von Deutschland weg tobt dieser Krieg. Es gibt wahnsinnig viele Leute in Deutschland, die Angst haben davor, dass wir hineingezogen werden“, führte Klingbeil aus. „Ich akzeptiere völlig, dass der Kanzler diese Entscheidung jetzt getroffen hat.“ Auch SPD-Politiker Ralf Stegner und Fraktionschef Rolf Mützenich begrüßten Scholz’ Haltung zu Taurus. 

Björn Höcke und das Bündnis Sahra Wagenknecht loben Scholz

Zuspruch gab es für den Kanzler unterdessen auch vom rechtsradikalen AfD-Politiker Björn Höcke. „Gehen Sie nicht in die Geschichte ein als der Mann, dessen Entscheidung Marschflugkörper zu liefern, den Dritten Weltkrieg ausgelöst hat“, forderte Höcke bei X Standhaftigkeit von Scholz. „Geben Sie in dieser Sache nicht nach und erhalten Sie den Frieden“, fügte der AfD-Politiker an.

Auch beim Bündnis Sahra Wagenknecht gab es Lob für den Kanzler – und die Übernahme des „Kriegspartei“-Arguments. „Scholz hat in Bezug auf Taurus vollkommen recht“, schrieb der BSW-Spitzenkandidat für die Europawahl, Fabio De Masi, bei X. „Wer Deutschland leichtfertig zur Kriegspartei macht, ist unverantwortlich“, fügte er an.

Taurus-Entscheidung: Emmanuel Macron schießt indirekt gegen Kanzler Scholz

Die Taurus-Erklärung des Kanzlers blieb derweil auch im Ausland nicht ohne Reaktion. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kündigte am Montag eine „Koalition“ zur Lieferung von Langstreckenraketen an die Ukraine an – und wollte den Einsatz von westlichen Bodentruppen nicht mehr ausschließen. Auch Seitenhiebe gegen Scholz erlaubte sich Macron.

„Viele Leute, die heute ‚niemals, niemals‘ sagen, waren dieselben, die vor zwei Jahren ‚niemals, niemals Panzer‘ und ‚niemals, niemals Kampfflugzeuge‘ gesagt haben“, erklärte Macron. „Ich erinnere Sie daran, dass vor zwei Jahren viele an diesem Tisch sagten: Wir werden Schlafsäcke und Helme anbieten“, fügte der Franzose an.

Macrons Seitenhieb: „Vor zwei Jahren sagten viele: Wir werden Helme anbieten“

Die Bemerkung dürfte Scholz und Deutschland gegolten haben, das zu Kriegsbeginn lediglich die Lieferung von Helmen angeboten hatte und nur nach und nach – stets mit langem Zögern verbunden – weitere Waffensysteme geliefert hatte. Was Macron allerdings verschwieg: Deutschland ist mittlerweile nach den USA der größte militärische Unterstützer der Ukraine. Frankreich steht in dieser Tabelle trotz der Lieferung von Marschflugkörpern derweil unter ferner liefen.  

Der Bundeskanzler reagierte am Dienstag auf Macrons Vorstoß. Für die Zukunft gelte weiterhin, „dass es keine Bodentruppen, keine Soldaten auf ukrainischem Boden gibt, die von europäischen Staaten oder Nato-Staaten dorthin geschickt werden“, sagte Scholz am Dienstag bei einem Besuch in Freiburg – und äußerte sich entsprechend auch erneut bei X.

Auch die Nato versicherte, es gebe keine derartigen Pläne. Nun liegt der Ball erneut in Paris – und es bleibt der Eindruck, dass Europa in diesen Tagen mehr mit sich selbst beschäftigt zu sein scheint, als mit der gemeinsamen Abwehr des russischen Angriffs. 

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