Wählen in der Pandemie„Briefwähler sind keine Denkzettelwähler“

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Wahlzettel

Am 13. September wird in NRW gewählt.

  • Zum ersten Mal in der Landesgeschichte steht ein Urnengang unter dem Vorzeichen einer Pandemie.
  • Damit ändert sich so einiges – und doch weniger, als mancher vermutlich denkt.
  • Was Corona für den Wahlkampf und die Wähler heißt, welche Auswirkungen das Virus auf die Briefwahl hat und wer profitiert.

Köln – Zum ersten Mal in der Landesgeschichte steht ein Urnengang unter dem Vorzeichen einer Pandemie. Das hat Folgen: Für die Wähler, den Wahlkampf und den Wahlgang selbst. Wir beleuchten Ausgangslage und Folgen.

Der Anteil der Briefwähler wird steigen

Der Bonner Politikwissenschaftler Volker Kronenberg geht vor der kommenden Kommunalwahl von einem höheren Anteil an Briefwählern aus. Diese würden damit unter anderem vermuteten Risiken aufgrund der Corona-Pandemie aus dem Weg gehen wollen.

Eine ausdrückliche Werbung für die Briefwahl ist nach Ansicht von Landeswahlleiter Wolfgang Schellen in der gegenwärtigen Lage „nicht zu begründen“. Die Briefwahl sei „nach vorherrschender Rechtsauffassung lediglich als Ergänzung zur Urnenwahl vorgesehen“, betont Schellen in einem Runderlass an den Städtetag, den Gemeindetag sowie den Städte- und Gemeindebund NRW.

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Grundsätzlich sieht der Politologe Kronenberg eine starke Inanspruchnahme der Briefwahl als „Mehrwert für die Demokratie“. Wähler, die sich die Mühe einer Abstimmung per Brief machen, handelten „reflektiert und bewusst“. „Es sind eher keine Spontan- oder Denkzettelwähler.“ Das lässt laut Kronenberg aber keine Rückschlüsse auf die Parteienpräferenz zu.

Wahlkampf im Corona-Modus ist keine Gefahr für die Demokratie

Der auch aufgrund von Corona auf wenige Wochen reduzierte Wahlkampf ist nach Ansicht von Volker Kronenberg aus demokratischer Sicht unproblematisch. Selbst für den Bundestag sieht das Grundgesetz im Fall einer Auflösung vor, dass die Neuwahl nach 90 Tagen stattfinden kann. Die Beeinflussung der Wähler im Wahlkampf – etwa durch Plakate oder Wahlkampfstände – sind nach Erkenntnissen der Wahlwirkungsforschung eher gering. „Damit bekommen die Parteien kaum jemanden überzeugt, der ihnen nicht schon vorher zugeneigt war“, sagt die Parteienforscherin Schönberger.

Auf lange Sicht könnte der Wahlkampf unter Corona-Bedingungen dazu führen, dass die Parteien ihre tradierten Wahlkampf-Formate überdenken oder sogar ganz aufgeben. „Allerdings habe ich noch keine innovativen Kampagnen wahrgenommen, die mich vom Hocker gerissen hätten“, gibt Schönberger zu bedenken. Inhaltlich sei der Wahlkampf für die Politiker schwierig, weil sie sich nicht „gegen Corona“ profilieren könnten, ohne gleich ins Lager der Corona-Leugner zu geraten. „Außerdem ist die Entwicklung der Infektionszahlen so ungewiss, dass sich daraus keine Wahlkampf-Programmatik, ja nicht einmal ein paar starke Sprüche ableiten lassen, die womöglich nicht schon morgen von der aktuellen Lage überholt sind.“

Die Kommunalwahl wird zur Abstimmung über Corona

Laut Volker Kronenberg werden die Wähler darüber abstimmen, wie die Krise vor Ort gemanagt wurde. Aber: „Mein Team am Institut hat Beispiele für erkennbaren Unmut auf lokaler Ebene gesucht – und nichts gefunden.“ Alle Aufmerksamkeit konzentriere sich in der Krise auf die Amtsinhaber. Dass Oppositionspolitiker das als unfair oder als Benachteiligung sehen, sei einerseits nachvollziehbar. Andererseits gelte umgekehrt aber auch: Die Exekutive kann Fehler machen. „Sie steht unter Beobachtung – und muss liefern.“

Die Wahl wird keine Protestwahl

Für eine Protestwahl sieht Sophie Schönberger kein Potenzial. „Die bundes- und landespolitischen Trends lassen nichts dergleichen erkennen. Im Gegenteil: Die AfD, ein Reservoir für Protestwähler , hat an Zustimmung verloren. Die Union, traditionell als Stabilitätsgarantin wahrgenommen, konnte einen deutlichen Zuwachs verzeichnen.“ Kronenberg stimmt ihr zu – und zitiert einen CDU-Wahlkampfslogan aus dem Jahr 1957: „Keine Experimente!“ Das entspreche auch heute dem Grundgefühl in der Corona-Krise. „Die Menschen wollen Sicherheit, Sicherheit, Sicherheit – in Verbindung mit Erfahrung.“ Allenfalls untergründig hält der Heidelberger Politologe und Philosoph Reinhard Mehring ein verschärftes Konkurrieren im Wahlkampf um die besten Konzepte zur Gewährleistung von Sicherheit auf der einen Seite und Lebensqualität auf der anderen Seite für denkbar. „Die Heterogenität der Maßnahmen, die in den Bundesländern ergriffen oder eben auch nicht ergriffen wurden, setzt sich auf der kommunalen Ebene fort.

Profitieren werden die amtierenden Bürgermeister

Auf den Kanzler kommt es an, plakatierte die CDU im Bundestagswahlkampf 1969 von Amtsinhaber Kurt Georg Kiesinger. Für die Kommunalwahl 2020 gilt analog: Auf die Bürgermeister kommt es an. So verzichtet der Düsseldorfer OB Thomas Geisel in seiner Plakatwerbung auf das SPD-Logo. „Er setzt auf eine Personalwahl ohne eine erkennbare Parteibindung, die er in seinem Fall als offenbar eher hinderlich einschätzt, sagt Reinhard Mehring. Ein OB für alle – das ist Geisels Strategie. Ähnlich hatte es SPD-Kandidat Jochen Ott in Köln schon vor fünf Jahren gehalten. Für die Kölner OB Henriette Reker stellte sich diese Frage erst gar nicht, als sie vor fünf Jahren antrat. Damals wie heute ist die Parteilose mit einem parteiübergreifenden Unterstützer-Bündnis unterwegs, aber eben nicht auf einem Parteiticket.

Die neue Macht der Kommunen ist vielen Wählern noch nicht klar

Unliebsame Entscheidungen zum Verhalten in der Corona-Krise wurden vom Bund und den Ländern vielfach an die Kommunen delegiert. „Das bedeutet faktisch einen Machtzuwachs der lokalen Entscheider“, sagt Reinhard Mehring. In der Tendenz sieht er die Gefahr einer „Entpolitisierung“ örtlicher Entscheidungen, wenn anstelle eines Stadt- oder Gemeinderats plötzlich das Gesundheits- oder Ordnungsamt darüber bestimmen, was passiert. „Aus demokratischer Sicht wäre es wünschenswert, dass der Wahlkampf die kommunalen Entscheidungszuwächse in der Corona-Politik offen thematisiert und so als Entscheidungsfragen in positivem Sinn des Wortes politisiert.“

Aber eines ist sicher: die Wahl

Landeswahlleiter Schellen stellt klar: Die Kommunalwahl kann bei Einhaltung der geltenden Corona-Auflagen stattfinden. Er empfiehlt den Kommunen „pandemiegerechte Hygienekonzepte“. Konkret führt Schellen unter anderem die Möglichkeit eines regulierten Zutritts zu den Wahllokalen bei starkem Andrang an. Klassenzimmer in Schulen, Kita-Gruppenräume, Ladenlokale, Vereinsheime oder auch Zelte können als „Ausweichräume“ genutzt werden. Bei Wählern „mit konkretem Covid-19-Verdacht“, die durch ihr Verhalten eine Gefahr darstellen, können die Wahlvorstände die Polizei oder das Ordnungs- bzw. Gesundheitsamt zu Hilfe holen.

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