BahnübergangBis zu 30 Minuten Wartezeit

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Der Wanderer vor der geschlossenen Schranke: Weit und breit - wie so oft - kommt kein Zug. (Bild: Csaba Peter Rakoczy)

Der Wanderer vor der geschlossenen Schranke: Weit und breit - wie so oft - kommt kein Zug. (Bild: Csaba Peter Rakoczy)

Vingst – Zäh zieht sich der Vingster Ring. Doch ansonsten freie Fahrt. Prima Abkürzung Richtung Poll. Nur Schlaglöcher bremsen etwas auf dem Weg durch den Wald. Zeit, um einen Wanderer zu bemerken. Er steht auf der Autobahnbrücke - und blickt in die Ferne. Unter ihm die Flughafenautobahn. Wohin ihn sein Weg wohl führt?

Der Weg der Autofahrer endet jedenfalls schlagartig. Oder vielmehr Schlag-Baum-artig. Als der Ring einen Porzer Vornamen bekommt, schließt sich die Bahnschranke, die vor den scheinbar endlos weiten Gleisen des Güterbahnhofs Gremberg zum jähen Innehalten zwingt. Und sie bleibt geschlossen. 9.21 Uhr.

Zwei Minuten lang passiert gar nichts. Dann kommt tatsächlich ein Zug. Zählen beruhigt. Ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn Waggons. Grau - und vorbei. Und bei geöffneter Fahrertür belebt die frische Luft. Vögel zwitschern rund um die Einfahrt zur einer Kiesgrube.

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Zeit wird relativ. Nach vier Minuten und 58 Sekunden kommt ein zweiter Zug. 25 Waggons. Rot und eckig. Nach sechs Minuten und 51 Sekunden nähert sich ein Auto von hinten. Es kommt aus Altenkirchen. Logisch. Ortskundige tappen hier kaum in die Falle. Es sei denn, sie suchen Stillstand.

Der Fahrer macht große Augen. „Ist das hier eine offizielle, richtige Straße“, will er wissen - und wendet im Anschluss an die Antwort. „Ich hab mich hier irgendwie verfranst“, entschuldigt er sich zum Abschied. Wieder allein. Dann trifft auch der Wanderer von der Autobahnbrücke ein - und kommt ebenfalls vor der Barke zu stehen.

Nach acht Minuten und sieben Sekunden kreuzt eine rote Lok ohne Anhängsel - langsamer geht es kaum -, bremst ab, legt den Rückwärtsgang ein und fährt wieder zurück.

Die Uhr zeigt neun Minuten und 16 Sekunden seit der Schrankenschließung an: Die Barke erhebt sich. Doch welcher Autofahrer nicht schnell genug wieder im Wagen sitzt und startet, steht erneut - weil sich bereits nach einer Minute und 19 Sekunden die eben noch offene Schranke wieder schließt.

Es passiert eine Lok. Dieses Mal sind es 33 Waggons niederländischer Herkunft in den Farben Weiß, Braun und Rot, mit Plane oder ohne. Eine Minute und 36 Sekunden später kommt ein Lastwagen vor dem Hindernis zum Stehen. Er trägt ein Kennzeichen des Landkreis Lippe. Drei Minuten und 25 Sekunden später. Eine grüne Lok. 35 Waggons. Rot. Meditativ.

Weitere 74 Sekunden später - der Lkw-Fahrer wendet gerade in der Kiesgrubeneinfahrt - geht die Schranke auf. Zwei Pkw - ein Kölner Kennzeichen, eins aus dem Landkreis Parchim (Mecklenburg Vorpommern) - passieren. Der Wanderer bleibt. Er hat Zeit.

70 Jahre alt sei er, verrät er nach anfänglichem Misstrauen. Er, der seinen Namen nicht verraten will, kommt aus Porz-Urbach und - „ja, ich mache keinen Hehl daraus: Ich gehe im meinem Ruhestand gerne spazieren.“ Nur zum Frühschoppen und danach zum Mittagessen? „Da hätte ich keine Ruhe für“, sagt der Mann mit dem geschichtsträchtigen Rucksack. Drei Jahre seiner Rentenzeit habe er nicht genießen können, weil er eine kranke Bekannte pflegte.

Seit zwei Jahren nun läuft er der Hektik davon. Ganz geruhsam. „Auto hab ich keins mehr“, sagt er und lässt dabei seinen Wanderstab aus Astholz nicht los. „Ich genieße meinen Lebensabend.“ Seine Freundin, die im Westerwald wohnt, besuche er nur an Wochenenden. In Eile sei er während seines Berufslebens als Kraftfahrer genug gewesen. Nun stehe er höchstens mal auf Brücken und schaue sich in aller Ruhe „das ganze Theater auf den Autobahnen an“.

Morgens um sieben verlässt er meistens das Haus. „Dann ist es meistens noch düster.“ Manchmal gehe er auf den Flohmarkt beim Autokino, die Frankfurter Straße entlang und über den Alten Deutzer Postweg. Oder von Urbach aus Richtung Zündorf und Lülsdorf. „Ich habe keine feste Route.“ Aber es seien immer so um die zehn bis 15 Kilometer, schätzt er. Schrittzähler oder sonstige Kilometerzähler hat er nicht. Er könne auch „diese Leute“ nicht verstehen, die „voll verdrahtet mit Stöpsel in den Ohren joggen gehen“.

Der Unbekannte macht bewusste Pausen. „Dafür habe ich Butterbrote dabei.“ Um 14 Uhr sei er meistens wieder zu Hause. Je nachdem, wann die umstrittene HGK-Bahnschranke sich öffnet, an der sich schon Bezirkspolitiker die Zähne ausgebissen haben. Das Ding bleibt zu - aus Sicherheitsgründen, wie die Deutsche Bahn mehrfach mitteilte. „Eine halbe Stunde habe ich hier bereits gestanden“, sagt der Wanderer. Dann hat er das Gefühl, der Schrankenwärter sei zur Toilette gegangen und habe nur vergessen, das Ding wieder hoch zu machen. „Und die Autofahrer hupen.“ Der Wanderer schweigt, die Hürde bleibt.

Als niemand mehr zu hoffen wagt und in sich versunken da steht, hebt sich die Schranke plötzlich. Einfach so. Jenseits fordert ein Verkehrsschild: „Fahrbahnschäden. Bitte Schritt fahren.“ Der Wanderer passiert und verschwindet hinter dem Gleiskörper. Schade eigentlich.

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