Deutsche AufsteigerDer amerikanische Traum bei uns

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Michael Schumacher hat eine Ausbildung als Kfz-Mechaniker hinter sich - und nun ein geschätztes Vermögen von 600 Millionen Euro. (Bild: dpa)

Michael Schumacher hat eine Ausbildung als Kfz-Mechaniker hinter sich - und nun ein geschätztes Vermögen von 600 Millionen Euro. (Bild: dpa)

Barack Obama hat ihn wiederbelebt: den amerikanischen Traum. Den Glauben, dass jeder es schaffen kann. Mit eisernem Willen und harter Arbeit. So wie einst der arme Rockefeller, der es zum reichsten Mann der Welt brachte. So wie der österreichische Terminator, heute Gouverneur von Kalifornien. So wie der Rapper 50 Cent, der seinen amerikanischen Traum gerne präsentiert: Foto mit Villa und Fuhrpark, goldene Wasserhähne, dazu die Geschichte vom schwarzen Jungen aus dem Ghetto, von den Schießereien, den elf Millionen Platten, die ihn runter von der Straße holten, rauf in die Berge von Beverly Hills.

Geschichten vom Aufstieg, die Hoffnung und Optimismus verbreiten. Gibt es sie auch bei uns? Nein, sagen Soziologen wie Gerhard Bosch von der Universität Duisburg. Er hat seine Gründe. Das Bildungssystem: nicht durchlässig. Die Chancengleichheit: nicht vorhanden. Unser Land: keine Aufzuggesellschaft. Der deutsche Traum - das klingt fremd. Trotzdem haben wir sie: die Aufsteiger, die deutschen Wunderkinder, die Türen öffneten, die ihnen eigentlich verschlossen waren, denen die Statistik prophezeite: Aus deinem schlechten Viertel kommst du nie raus. Solche, denen man sagte: „Als Frau? Als Kfz-Mechaniker? Ohne Studium? - Träum weiter.“

Der Schauspieler Jürgen Vogel wagte erst gar nicht zu träumen. „Da, wo ich herkomme, kannst du mit der Vorstellung, etwas anderes zu machen, nicht überleben“, sagte er einmal. „Da musst du nach der Schule arbeiten, um deiner Mutter ein bisschen Geld zu geben.“ Mit 15 haute er von zu Hause ab, zog nach Berlin. Die Kumpels von damals stecken noch heute in Drogenproblemen oder im Gefängnis. Die Schauspielschule besuchte Jürgen Vogel genau einen Tag. Dann hatte er schon genug. Zu trocken. Zu weltfremd. Eine Traumkarriere machte er trotzdem. Mehr als 80 Filme, hohe Gagen, Charakterrollen, Bambis, Berlinale-Bären.

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Auch der Drogendealer, der vor einem Berliner Gericht stand, sah so gar nicht nach Hoffnung aus. Sein Weg schien vorgezeichnet. Die Richter gaben ihm noch eine Chance. Eine Ausbildung zum Maler und Lackierer statt Jugendgefängnis. Er zog das Rappen vor. Einige Jahre später war Anis Mohamed Ferchichi - besser bekannt als Bushido - Plattenmillionär, seine Biografie lag auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste. Demnächst wird sein Leben verfilmt.

Statistik ist desillusionierend

Die Hoffnung auf Aufstieg gehört zum Gründungsmythos der USA wie die Freiheitsstatue zu New York. Dabei lädt die Statistik gar nicht zum Träumen ein. Der Wirtschaftswissenschaftler Tom Hertz von der American University belegte in einer Studie, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind aus einer armen Familie in die oberen fünf Prozent aufsteigt, gerade mal bei einem Prozent liegt. „Trotzdem ist dieser Optimismus, dass jeder es schaffen kann, bei den Amerikanern tief verwurzelt“, sagt der Soziologe Michael Hartmann.

Vom Hatz-IV-Empfänger zum SuperstarWie die Amerikaner lieben esaber auch die Deutschen, wenn eseiner von ganz unten schafft. BeiCasting-Shows helfen sie gernenach. Hartz-IV-Empfänger telefonierensie vorzugsweise zumSieg. Solche wie Michael Hirte.Er gewann die RTL-Show „DasSupertalent“. Nicht allein wegendes „Ave Maria“, das er in dieMundharmonika zitterte, sondernvor allem wegen der Geschichte,die darin mitschwang.Vom arbeitslosen Straßenmusikantenzum Chartstürmer. Einer,dem man es richtig gönnt. Wer esin die deutsche Wirtschaftseliteschaffen will, hat es deutlichschwerer. Michael Hartmannhat ihre Vertreter untersucht.„Ein Arbeiterkind? –Keine Chance!“ Das hätte erwohl auch zu René Obermanngesagt. Denn wereine Top-Position will,braucht seinen Studienzufolge vor allem eins:die richtigen Eltern.Deutschlands Top-Manager kommenfast durchweg aus Chef-Familien,bewegten sich schon alsKinder in Kreisen, in die sich andereerst mühsam vorarbeitenmüssen. Da oben bleibt man gerneunter sich. René Obermannschlüpfte durch. Er stammt auseinfachen Verhältnissen, brachsein Studium ab, gründete eineeigene Firma. 1998 ging er zurTelekom. Heute ist er dort derBoss.

Ein weiteres Arbeiterkind rüttelte einst am Zaun des Kanzleramtes und hat es geschafft. Gerhard Schröder, der zunächst nur die Volksschule besuchte. Auf der Abendschule holte er erst die mittlere Reife und das Abitur nach, studierte Jura, wurde Rechtsanwalt und schließlich Bundeskanzler. Sein Vize Joschka Fischer verzichtete gleich auf Abitur und Studium. Vom jungen Straßenkämpfer und Taxifahrer zum grünen Ministerpräsidenten in Turnschuhen, schließlich zu Deutschlands Chefdiplomat und Gast-Professor in Princeton.

Auch die unscheinbare Pastorentochter hinter dem Eisernen Vorhang war schlau. Keine Frage. Aber eine zukünftige Bundeskanzlerin? In einem vereinigten Deutschland? Damals unvorstellbar. Doch von Männern ließ sich Angela Merkel nicht schrecken. Nicht als Physikerin am Labortisch und nicht im Männer-Club Union, wo man sie „Kohls Mädchen“ nannte. Merkel zog ins Kanzleramt. Eine Frau als Regierungschefin, das hatten selbst die Amerikaner noch nicht.

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