Die göttlichen Farbpixel

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Das abstrakte Werk aus rund 11 500 farbigen Glasquadraten ersetzt die und schmucklose Verglasung des Südquerhauses.

Das abstrakte Werk aus rund 11 500 farbigen Glasquadraten ersetzt die und schmucklose Verglasung des Südquerhauses.

Selten wurde ein einzelnes Kunstwerk in der Region mit so viel Spannung erwartet. Das vom Kölner Ehrenbürger Gerhard Richter gestaltete neue Fenster des Kölner Doms wird am Samstag eingeweiht.

LESERKOMMENTARE: Ihre Meinung zum Domfenster

Als die Dombaumeisterin kürzlich über das Kirchenfenster heute und die Möglichkeiten für den Kölner Dom referierte, wurde man den Eindruck nicht los: Dieser Zweig der angewandten Kunst konnte einen Innovationsschub gut gebrauchen. Keiner der Künstler, die Barbara Schock-Werner vorstellte, schien prädestiniert zu sein für die vornehmste Aufgabe, die im Dom seit langem zu vergeben war - einen Entwurf für das große Fenster im Obergaden des Südquerhauses vorzulegen und damit ein lang währendes, farbloses Provisorium abzulösen. Eine unauffällige Ornamentverglasung war 1948 als Ersatz für das zerstörte Fenster von 1863 eingesetzt worden, doch dessen mangelnde Ausstrahlung und die Tatsache, dass das einfallende Licht blendete, galten seit langem als Makel. Völlig zu Recht sah sich Schock-Werner in ihrem Vortrag wiederholt aufgerufen, an die ästhetische Liga zu erinnern, in welcher der Dom spielt, die Maßstäbe anzumahnen, die mit ihm gesetzt sind - und verspielt werden können.

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Fanfarenstoß der Erneuerung

Nun liefert die Kölner Lösung selbst einen Fanfarenstoß der Erneuerung. Nicht nur das gläubige Herz lässt sie höher schlagen. Es spricht für die Entschlussfreude des Domkapitels, vor einigen Jahren dem Künstler Gerhard Richter, einem „Atheisten mit Hang zum Katholizismus“ (so sein Interpret Hubertus Butin), die hochbedeutende Herausforderung anvertraut zu haben. Nicht minder bezeugte die Wahl des berühmten Kölner Malers aber auch die Ratlosigkeit, in der sich das Domkapitel befunden hatten, zumal seine eigenen Ideen anfänglich auch nicht als richtungweisend bezeichnet werden konnten - zum Beispiel der Plan, Märtyrer des 20. Jahrhunderts an die Stelle der früheren kirchlichen und weltlichen Herrscher zu setzen.

Wer sich in Richters Werk nur ein wenig auskennt, konnte schon früh erahnen, dass sein Vorschlag eines gleichmäßigen Farbrasters in dem ornamentalen Maßwerk eine viel- versprechende Option eröffnen würde - als autonomes, modernes Bild ebenso wie als ortsbezogene, religiöse und spirituelle Setzung. Der 75 Jahre alte gebürtige Dresdner und Ehrenbürger Kölns hat in einem langen Ruvre eine Reihe von Glasarbeiten auf hohem Reflexionsniveau hervorgebracht. In zahlreichen Museen kann man sich davon überzeugen, ob in Köln oder in Düsseldorf oder besonders im Museum „Dia:Beacon“ bei New York, einer der wichtigsten Sammlungen der Gegenwartskunst. Mit einer vollkommen eigenen Handschrift changieren sie zwischen Bild, Skulptur und räumlicher Installation. In den späten 80ern hatte Richter sogar einmal ein ähnlich strukturiertes Fenster wie das im Dom, allerdings im Miniaturformat, für ein Privathaus entworfen. Glas war ihm also keineswegs fremd - aber ein Kirchenfenster, dazu eines von dieser Größe und Bedeutung, stellte auch für ihn Neuland dar. Richter zeigte sich beglückt und erschrocken, bis heute spielt er den Auftrag gern herunter - es sei doch „nur ein Fenster“. Selten indessen ist ein einzelnes Kunstwerk in der Region mit einer solchen Spannung, aber auch mit so viel Vorfreude erwartet worden.

Strahlendes Meisterwerk

Das Resultat ist ein strahlendes Meisterwerk, und es dürfte sich vom Moment seiner Enthüllung an als Meilenstein des sakralen Fensters erweisen. Richter hat sich ganz auf die Aura des Ortes eingelassen und den existenziellen Zweifel überwunden, der sich in seiner Malerei auf unvergleichliche Weise mit einer befragten Schönheit vermählt. „Ich habe mich selbst eher zurückgenommen“, sagt Richter. „Ich wollte, dass das Fenster etwas Selbstverständliches hat, etwas Alltägliches“, jedenfalls sollte es kein „Farbrausch“ werden. „Nicht zu warm, nicht zu kalt“ sollte das Licht sein, „zurückhaltend“, am besten „so neutral wie es geht“. Er habe, so Richter, „den Geschmack ausschalten“ wollen.

Der verdichtete sinnliche Gehalt und das komplexe Zusammenspiel der Farben unterscheidet das Fenster vom Ornament. Es ist ein Riesenbild. Wer sich von den funkelnden, flackernden Farben nicht mitreißen lässt, sondern - „wenn die Predigt mal langweilig wird“ (Richter) - auf ihre Struktur konzentriert, entdeckt eine Symmetrie: Je zwei der hohen Fensterbahnen sind gespiegelt. Er habe dieses Gleichmaß gewollt, so Richter, „weil das Fenster selbst symmetrisch angelegt ist“. Gott würfelt nicht, heißt es. Der Künstler aber tut es allemal. Die Anordnung der Farben überließ Richter einem Zufallsprogramm, dessen Reihung er nur in wenigen Punkten korrigierte. Gegenständliche Anspielungen, die der Zufall erlaubte, löste er auf, indem er die Farben wechselte.

Die Farben des Domfensters und ihre Strömungen sind euphorisierend, vielleicht sogar berauschend, aber frei von aller formelhaften und pathosgetränkten Bildrhetorik. In den 60ern hatte Richter seine ersten farbigen Rasterbilder gar als „Angriff gegen die Falschheit und die Gläubigkeit“ gemalt, „wie Abstraktion zelebriert wurde, mit verlogener Ehrfurcht“; regelrecht gewettert hatte er gegen „Andachtskunst“ und „Kirchenkunstgewerbe“, als welche das Raster zelebriert wurde. Nun zeigt er selbst dessen Gehalt als sakrale Bildform. Das Fenster reagiert sensibel wie ein Organismus auf das einfallende Licht und die vorüberziehenden Wolken, wodurch zwangsläufig Erinnerungen an den Impressionismus aufkommen, namentlich an Monets Serie der Kathedrale von Rouen, aus der die Moderne einen wesentlichen Teil ihres Selbstverständnisses geschöpft hat.

Vorbild an Klarheit

Das neue Domfenster ist ein Vorbild an Klarheit und Transparenz moderner Glasmalerei, und mag auch Richter eine persönliche Distanz zum tätigen Glauben wahren, so eröffnet das Fenster durchaus Wege zur Transzendenz. Die Emanation göttlichen Lichts in dem wogenden Meer der Farbpixel ist eine besonders nahe liegende Assoziation. Wer einen Ausdruck des Glaubens sucht, findet ihn in einer aufgeklärten, gelassenen Haltung und einer Schönheit, deren ungetrübte Reinheit sich die heutige abstrakte Malerei kaum noch gönnt. Vielleicht lässt sich Glaubensgehalt auch darin finden, dass die wechselnden Erscheinungen des Farbentableaus immer unvordenklich sind und man sich ihnen doch unvoreingenommen überantworten möchte. Man sieht sich durchströmt mit dem Farblicht einer Struktur, die alle Hierarchie meidet und stattdessen eine pulsierende, pointillistische Fläche völlig gleichrangiger Teile aktiviert.

Richter möchte sich im Gespräch über die Möglichkeiten seines Fensters, einen Glauben konkret zu vermitteln, nicht äußern - kaum ein Künstler spricht aus freien Stücken allzu offen über die benennbaren Inhalte seiner Kunst. Zudem habe er sich darüber „noch mit keinem Geistlichen unterhalten“. Zugleich aber sagt das Fenster eine Menge über den Künstler aus. Fraglos hat Richter sich in seinem kontrastreichen, überraschenden, auch sentimentalischen Werk noch einmal als der Selbsterfindung fähig erwiesen, ohne die der Erfolg seiner jüngsten Arbeit kaum möglich gewesen wäre. Die farbstrahlende Wirkung seines Domfensters ist nur an diesem Ort sinnvoll. Nur dort ließen sich auch die Erscheinungen der Farben und Formen überhaupt verlässlich einschätzen. „Glasmalerei geht nur an Ort und Stelle“ - diese Lektion hat die Dombaumeisterin in den letzten Jahren ausführlich gelernt. Die ersten Muster waren durchaus nicht immer nach ihrem und des Künstlers Geschmack ausgefallen. Einen unerwünschten „Badezimmer-Touch“, wie sie ihn empfand, hatte einer der frühen Entwürfe, andere hätten gar das Licht einer „Wirtshausverglasung“ ausgestrahlt. Richter selbst war einer der ersten Farbentwürfe „zu weihnachtlich“ ausgefallen. Dies hat sich korrigieren lassen, und offenbar ist Richter inzwischen auf den Geschmack gekommen.

Inzwischen ist er auch in anderen Gotteshäusern gefragt. Einen Auftrag hat vor einiger Zeit die Kathedrale von Reims an ihn herangetragen, die geschichtsträchtige Stätte, an der einst die französischen Könige gekrönt wurden. So entsteigt die geometrische Abstraktion auf ihre alten Tage plötzlich einem Jungbrunnen. Sie feiert einen gloriosen Erfolg auf religiösem Terrain, an den selbst ihre glühenden Exegeten nicht geglaubt haben können.

Köln und der Dom, aber auch das vielschichtige Ruvre Gerhard Richters sind um ein singuläres Werk reicher.

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