Klimaschutz im Museum LudwigWas wir von den Armfüßern vor 360 Millionen Jahren lernen können

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Blick auf Berge in den Schweizer Alpen.

Gerhard Richters „Schweizer Alpen“ (Ausschnitt, 1969) sind bis Oktober 2024 im Kölner Museum Ludwig ausgestellt.

Das Kölner Museum Ludwig will klimaneutral werden. Ausstellungen stören da nur. Die „Hier und Jetzt“-Schau ist ein guter Kompromiss. 

Seit seiner Eröffnung im Jahr 1986 hat sich das Museum Ludwig um einen halben Meter vom Kölner Fleck bewegt. Das klingt nach viel, ist aber erdgeschichtlich gesehen lediglich ein Trippelschritt in Zeitlupe. Zum Vergleich: Vor 360 Millionen Jahren lag Köln auf der Südhalbkugel nahe dem Äquator und wurde von muschelartigen Armfüßern bewohnt. Menschen kannten die nicht mal vom Hörensagen und haben sich wohl nicht träumen lassen, heute im Museum Ludwig unter Glas zu liegen und immer noch mit der eurasischen Platte gegen andere Erdteile zu schieben.

Der Mensch ist bekanntlich eine relativ junge Laune der Natur, die ersten Hominiden wurden vor wenigen Millionen Jahren gesichtet. Trotzdem benehmen wir uns, als hätten wir selbst die Erde erfunden, in Auftrag gegeben und abgenommen (und nicht der Supercomputer Deep Thought). Auch die Kunst, muss man zugeben, hat uns bislang nicht unbedingt gelehrt, demütig mit der Schöpfung umzugehen, deren Evolution uns rein zufällig und nur vorübergehend an die Spitze der Nahrungs- und Ressourcenverbrauchskette beförderte. Genau deswegen hat sich Miriam Szwast, Beauftragte für Nachhaltigkeit am Museum Ludwig, nun für die zehnte Ausgabe der experimentellen Ausstellungsreihe „Hier und Jetzt“ geologische Fachkenntnis ins Haus geholt.

Etliche Millionen Jahre der Kölner Erdgeschichte sind einfach abgesackt

Das erste Exponat ihrer „nachweislich klimaneutralen“ Ausstellung (dazu später mehr) ist eine Weltkarte, auf der die tektonischen Platten abgebildet sind. Da weiß man gleich, dass sich die Menschheit auf schwankendem Grund bewegt. Daneben liegen in Vitrinen verschiedene Abschnitte einer Erdbohrung in Holweide; je tiefer man bohrt, desto weiter führen die Funde in die Erdgeschichte zurück. In drei bis vier Meter Tiefe liegen Sand und Kiesel, die der Rhein vor etwa 16.000 Jahren mit sich trug, beim 28. Meter stößt man auf die Braunkohlesümpfe 24.000.000 v. Chr. und ab 82 Meter klopft man bei den Armfüßern an. Angesichts dieser Bohrungen in die geologische „Tiefenzeit“ kann und soll man sich als Mensch nur angemessen klein und unbedeutend fühlen. Was aber wirklich beunruhigt: Etliche Millionen Jahre der Kölner Erdgeschichte sind einfach abgesackt.

Im Grunde passt der geologische Teil der Kölner Ausstellung auf einen Plakatklassiker von Klaus Staeck: „Die Mietsache ist schonend zu behandeln und in gutem Zustand zurückzugeben“ steht unter einem Bild der Erde. Die Botschaft ist alt, aber kapiert haben wir sie noch immer nicht. Auch Miriam Szwast greift auf eine Nasa-Fotografie des blauen Planeten zurück, um die erdgeschichtliche Mahnung zu illustrieren. Hinzu kommen beinahe abstrakte Aufnahmen, die der Kölner Fotograf Chargesheimer in einem Basalt-Steinbruch machte und zwei Siebdrucke Gerhard Richters, auf denen in den Alpen tatsächlich die erhabenen Kräfte von Jahrtausenden zu wirken scheinen.

Im nächsten Ausstellungssaal wird die Geologie von der Holzkunde abgelöst. Auch die Jahresringe der Bäume erzählen Erdgeschichten, die ein Menschenleben überdauern, allerdings sehen die historischen Baumbilder an den Wänden etwas kümmerlich aus. Sie werden beinahe von einem Mammutbild Tacita Deans erdrückt, das einen angeblich mehr als Tausend Jahre alten Kirschbaum in zarter Blüte zeigt. Himmel, Erde und die Krücken des Baumgreises hat Dean mit Buntstift vernebelt, um die natürliche Würde ihres Gegenstandes zu betonen.

Im Schlusssaal versucht Szwast in die Zukunft der Erde zu blicken, verzichtet aber auf Klimamodelle der katastrophalen Art. Stattdessen sehen wir Wolkenfotografien aus dem 19. Jahrhundert, die einst halfen, das Wetter als globales Phänomen zu verstehen, und uns außerdem daran erinnern, dass die sauerstoffhaltige Luft für uns buchstäblich immer dünner wird. Als die Menschen lernten, das Wetter aus den Wolken vorherzusagen, war das auch eine Form der Naturbeherrschung. Heute ist es vor allem ein Zeichen, wie kurzsichtig wir der Zukunft des Weltklimas entgegensehen.

Alle 15 Minuten säuselt Yoko Ono am Ausstellungsende ihr Liebeslied an die Erde aus einem Lautsprecher, was immer noch ziemlich kitschig, aber vor allem rührend klingt: Wenn Naturkitsch die Erde rettet, bin ich dabei. Onos „I Love You Earth“ leitet über auf die Dachterrasse des Museums, auf dem das Berliner atelier le balto einen Kübelgarten mit Domblick angelegt hat. Er soll in den nächsten drei Jahren helfen, die Klimabilanz des Museums zu verbessern, und bildet den Schlusspunkt einer Schau, in der Kunst und guter Wille eine Vernunftehe eingehen.

Das Museum Ludwig will den eigenen ökologischen Fußabdruck möglichst klein halten

Wie bereits die „Grüne Moderne“ ist auch Szwasts „Hier und Jetzt“-Ausstellung ein Versuch in nachhaltiger Ausstellungskultur. Das erklärte Ziel, die erste „nachweislich klimaneutrale“ Museumsschau in Deutschland auszurichten, wird allerdings nicht ohne CO₂-Kompensationen erreicht. Eine wirklich klimaneutrale Ausstellung wäre eine mit weißen Wänden, doch so weit geht die Schonung der Ressourcen selbst in Köln noch nicht. Stattdessen holte Szwast die Ausstellungsstücke größtenteils aus der Ludwig-Sammlung oder von Leihgebern aus der näheren Umgebung; die mit Abstand weiteste Anreise hatte die in London produzierte Kirschblüte Tacita Deans.

Man wolle den eigenen ökologischen Fußabdruck möglichst klein halten, so Szwast, und den eigenen „Handabdruck“ vergrößern, indem man das gute Beispiel an andere weitergibt. Auf diesem Weg ist das Museum Ludwig schon recht weit gekommen, wenn auch nur im Rahmen eines Experiments. Immerhin wäre es absurd, dem Ludwig für seine Klimasünden (die demnächst eröffnende Roni-Horn-Werkschau dürfte eine solche sein) des Artwashings zu zeihen. Dafür besteht immer die Gefahr, auf dem Weg zum nachhaltigen Museum den Wert des autonomen, nicht nur die kuratorische Botschaft verstärkenden Kunstwerks aus den Augen zu verlieren.

„Hier und Jetzt. Und gestern und morgen“, Museum Ludwig am Dom, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, bis 13. Oktober 2024. Der Katalog erscheint im Lauf der Ausstellung.

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