Die prächtigen Nächte im Sechser-Pack

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Ein Mann hebt ab: Thomas Drechsler macht heute den großen Flugschein.

Ein Mann hebt ab: Thomas Drechsler macht heute den großen Flugschein.

Wie das Six Pack zum Six Pack wurde. Eine kleine Late-Night-Legende.

Wer in Köln zur Szene gehörte oder nicht, entschied sich lange Zeit an der Tür des Six Pack. Besser gesagt zwischen den Türen. Weil nämlich die Tür zur Straße nach innen, die Innentür zur fabulösesten Kölner Nacht-Kneipe aber nach außen aufging, blieben Nichteingeweihte unschön im abstellkammergroßen Zwischenraum stecken. Wer in der ultrakargen Kneipe auf der Aachener Straße Stammgast war, hatte den Trick raus - mit dem rechten Fuß die Außentür aufhalten, derweil mit der rechten Hand die Innentür öffnen. Schon schwebte man elegant der Bierdose entgegen. Kein Kölner Club hat in den 90ern so viele Anekdoten, so viel „Weißt-du,-wer-da-hinten-steht?“-Geraune produziert wie der karge, schwer versiffte (die Toiletten!) Trinkflur an der Aachener Straße. Denn das Six Pack war mit der erste Laden, in dem am Ende der Theke ein DJ für die randgruppentaugliche Beschallung sorgte. Schnell fand sich ein Publikum aus Künstlern, Pop-Promis, Musik- und Stadtzeitungsredakteuren und anderen redefreudigen Spätaufstehern ein, aus deren Schnittmenge sich bald das Klischee „Six-Pack-Typ“ bilden sollte, das ein Ausgehführer einmal trefflich mit den Worten „Junge Männer, die sich gerne über Popmusik reden hören“ umschrieb.

Die heiligen Insignien des Six Pack waren der riesige, erst Dosen, später Flaschen beherbergende Kühlschrank und der speckige Ölschinken „Dreimaster im Seegang“, der nie richtig gerade hängen wollte. „Das Bild ist von der verstorbenen Mutter meines ehemaligen Kompagnons“, klärt Thomas „Don“ Drechsler auf. Der ehemalige Six-Pack-Besitzer gehört noch stärker zur Legendenbildung als Kühlschrank oder Dreimaster.

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Die Geschichte des Riesenkühlschranks, der noch heute die bunte Flaschen-Vielfalt beherbergt, muss allerdings Ernst Münch erzählen, der das Six Pack 1985 eröffnet hatte. Münch entdeckte den vier Meter langen Schrank auf einem Güterzug - und kaufte ihn direkt von der Schiene weg. „Nur hatte ich vergessen zu messen. Der passte gar nicht durch die Tür durch.“ Das Ungetüm plumpste schließlich über den Fenstersims auf sieben im Innenraum ausgelegte Matratzen. So kam der Kühlschrank ins Six Pack. Aufgefüllt mit den 86 verschiedenen Biersorten wog er 3,5 Tonnen. Überhaupt die Dosen. Fun-Importe waren den 80ern noch so fern wie Inline-Skater. Das fremdländische Bier importierte der gewiefte Münch aus obskuren Kanälen: „Japanisches Bier habe ich über die französische Botschaft besorgt. Amerikanische Marken kamen über einen Bekannten, dessen Schwiegersohn in einem Army-Shop einkaufsberechtigt war“, erinnert sich Münch. Irgendwann wurde Ernst Münch der Alltag ohne Sonnenlicht - 16 Uhr aufstehen, Dosenjagd, Kneipe - zu stressig. Er verkaufte den Laden. Die erste große Zeit des Six Pack ging zu Ende. Aus dem darauf folgenden Dornröschenschlaf rettete erst Thomas Drechsler das Six Pack. Drechsler legte im immer leerer werdenden Laden auf, bis er eines Tages vor verschlossenen Türen stand. „Da habe ich meinen Schwager belabert, mit mir die Kneipe zu kaufen.“ So wurde Drechsler mit 23 Jahren der jüngste Kneipenwirt von Köln. Als erstes flogen die Dosen raus: „Wenn ich mir irgendwo ein Six Pack kaufe, dann in Flaschen.“ Sein Publikum rekrutierte Drechsler auf die denkbar einfachste Weise: „Ich habe mich ins Hallmackenreuther gesetzt und jedem erzählt, dass ich das Six Pack kaufe. Außerdem arbeitete meine Schwester bei der »Spex« und brachte die richtigen Leute mit.“ Anfangs ließ sich auch die Kölner Unterwelt blicken. Und unterbreitete wenig legale Vorschläge. Ein Knüppel mit der Aufschrift „Mallorca“ beendete unliebsame Besuche. Von da an galt im Six Pack nur ein - gütiges - Wort: das Don Drechslers. Eine schöne Zeit für alle. Drechsler stemmt die Arme in den grünen Ledermantel: „Es hatte immer eine gewisse Pracht.“

Heute ist das Six Pack aufgeräumter, die Theke holzverziert. Die wilden Jahre, seufzen Nostalgiker, sind vorbei. Die DJ's sind elektronischer, das Publikum jünger. Doch das Bier kommt immer noch aus der Flasche und das Kühlschrank-Monster steht ja auch noch. Wer wollte es jemals wegbewegen?

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