„Hälfte wird diskriminiert“Sind Männervereine in Köln noch zeitgemäß?

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Kölns OB Henriette Reker in der Uniform der Roten Funken

  • Der Düsseldorfer OB Stephan Keller weigert sich, Vorstand im Düsseldorfer Heimatverein Jonges zu werden. Seine Begründung: Es handele sich um einen reinen Männerverein.
  • Die Jonges fühlen sich schwer getroffen. Auch in Köln gibt es zahlreiche Männervereine, vor allem im Karneval. Die Kölner OB trägt seit 2016 eine Funken-Männeruniform, sie ist neben dem Funkemariechen aber die einzige Frau im Korps.
  • Wie lautet die Begründung in Köln, keine Frauen aufzunehmen? Und wie zeitgemäß sind Argumente gegen die Aufnahme von Frauen?

Düsseldorf/Köln – Wer in der Düsseldorfer Stadtgesellschaft etwas auf sich hält, kommt an den Düsseldorfer Jonges schwerlich vorbei. Das ist seit 90 Jahren so, seit die Geschichte des Heimatvereins in den alten Schankräumen der Brauerei Schlösser in der Altstadt ihren Anfang nahm. Die Jonges, das sind knapp 3300 Mitglieder, organisiert in mehr als 50 Tischgemeinschaften, die sich nach ihrem Selbstbild „mit Herz für ihre Heimatstadt einsetzen und sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen“.

Normalerweise ist Dienstagabend Jongesabend – und das 50 Mal im Jahr. Wenn Corona nicht wäre. Sonst treffen sich bis zu 500 Mitglieder im großen Saal der Schlösser-Brauerei zu Vorträgen aus allen Bereichen. Politik, Wirtschaft, Kunst, Kultur, Geschichte, Stadtbildpflege. Die Tischgemeinschaften haben ihre eigenen Runden. „Bei uns sitzt der Handwerker neben dem CEO der Ergo-Versicherung“, sagt der Vorsitzende Wolfgang Rolshoven. „Vom Arbeiter bis zum Professor ist alles vertreten.“

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Wolfgang Rolshoven, Baas der Düsseldorfer Jonges

Mit 65 Euro sei der Jahresbeitrag bewusst so niedrig gehalten, dass ihn sich jeder leisten könne. Einzige Voraussetzung für die Mitgliedschaft: Man muss sich zwei Jonges-Paten suchen. Mitglied kann also jeder werden.

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Nur Frauen nicht. Und genau dieser Umstand wird in der Landeshauptstadt derzeit heiß diskutiert. Auslöser ist eine Anfrage des Vorsitzenden an Düsseldorfs Oberbürgermeister Stephan Keller (CDU), ob er sich vorstellen könne, im erweiterten Jonges-Vorstand mitzuarbeiten. Für Rolshoven eine Selbstverständlichkeit. Kellers Amtsvorgänger Thomas Geisel (SPD) und Dirk Elbers (CDU) gehörten und gehören auch nach ihrem Ausscheiden dem Vorstand an. „Es wäre uns eine Ehre und Freude gewesen, den amtierenden Oberbürgermeister als Mitglied im erweiterten Vorstand zu wissen“, sagt Rolshoven. „Das war in den vergangenen 60 Jahren bei allen Oberbürgermeistern der Fall.“

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Düsseldorfs Oberbürgermeister Stephan Keller (CDU)

Doch Keller lehnt ab und begründet seinen Schritt nicht nur damit, dass er die städtischen Interessen unabhängig vertreten müsse und „diese nicht unbedingt immer deckungsgleich mi den Interessen der Jonges sein müssen“. Rolshoven habe seinerzeit auch gesagt, „er würde sich gerne mit dem Oberbürgermeister im Vorstand schmücken. Wenn ich in einen Vorstand eintrete, dann, um tatkräftig mitzuarbeiten – und nicht, um ihn zu dekorieren“.

Das alles sind eher harmlose Scharmützel, doch dann fährt Keller ein Geschütz auf, das die Jonges in ihren Grundfesten erschüttert. „Die Jonges sind ein reiner Männerverein, Frauen wird die Mitgliedschaft bis heute verwehrt. Und nein: Sporadische Einladungen von Frauen als Gast-Referentinnen sind nicht mit einer Mitgliedschaft zu vergleichen“, schreibt Keller.

„Auch als Oberbürgermeister setze ich mich – aus ehrlicher Überzeugung – jeden Tag für Gleichberechtigung ein. Gerade Düsseldorf ist eine Stadt, in der Weltoffenheit, Modernität, Toleranz und Vielfalt nicht nur dahingesagt, sondern wirklich gelebt werden. Darauf bin ich stolz, denn auch ich fühle mich diesen Werten verpflichtet. Deshalb kann und werde ich keine führende Funktion in einem Verein übernehmen, der nach wie vor die Hälfte der Düsseldorfer Bevölkerung per se ausschließt – und damit diskriminiert.“

„Vorwurf der Diskriminierung hat uns schwer getroffen"

„Der Vorwurf der Diskriminierung hat uns schon schwer getroffen und wir weisen ihn mit Entschiedenheit zurück“, sagt Rolshoven. Er sei jetzt seit zehn Jahren Baas. Die Jonges hätten sich zu „einer glaubwürdigen und verlässlichen Stimme entwickelt, die immer dann besonders deutlich zu vernehmen ist, wenn es darum geht, Positionen gegen zivilisations- und menschenfeindliche Tendenzen zu beziehen, sei es Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit, Homophobie oder Rassismus.“

Man sei nichts anderes als ein Netzwerk für Stadtbild, Denkmalpflege und soziale Zwecke. „2015 haben wir für 200.000 Euro ein Projekt für Kinder ohne Begleitung aus den Kriegsgebieten initiiert. Nach dem Sturm Ela haben wir mehr als 100 neue Bäume gepflanzt. Wir sind sozial engagiert, unterstützen in jedem Jahr viele gemeinnützige Vereine, unter anderem das Frauenhaus.“

75 Prozent der Mitglieder müssen dafür stimmen

Der Vorstand wehre sich gar nicht gegen die Aufnahme von Frauen, könne das aber nicht entscheiden. Das sei Sache der Mitglieder. „Wir sind da offen“, sagt Rolshoven. „Auch wenn das schon ein Einschnitt wäre. Wir heißen schließlich Düsseldorfer Jonges und nicht Düsseldorfer Mädches.“ Man werde das Thema diskutieren, alle Meinungen einholen und im kommenden Jahr zur Abstimmung stellen. Die Hürde für eine Satzungsänderung ist hoch. „Man braucht 75 Prozent, um den Passus zu ändern.“

1970, also vor mehr als 50 Jahren, sei das Thema schon einmal hochgekommen, auf der Mitgliederversammlung diskutiert und abgelehnt worden. „Das habe ich gar nicht gewusst und neulich erst in einem Film gesehen“, sagt Rolshoven.

Dass der Heimatverein in Düsseldorf eine hohe Bedeutung habe, stehe außer Frage. „Ich sage immer: Die Neusser haben die Schützen, die Kölner die Karnevalisten, die Düsseldorfer die Jonges.“

„Grosse Kölner" öffnet den Verein für Frauen

40 Kilometer stromaufwärts, in Köln, setzt man auf die feinen Unterschiede. Dass eine der ältesten Karnevalsgesellschaften, die „Grosse von 1823“, im Oktober 2021 nach 198 Jahren erstmals zwei Frauen als Senatorinnen aufnahm, hat im Festkomitee Kölner Karneval kein Erdbeben ausgelöst. Im Gegenteil. Die Entscheidung wurde ohne Gegenstimme getroffen.

Doch so fortschrittlich sind längst nicht alle. Die neun Traditionskorps wie die Roten Funken halten als reine Männerbünde an den Gepflogenheiten aus ihrer Gründungszeit im 19. Jahrhundert fest. Sind sie deshalb frauenfeindlich?

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Günter Ebert, Sprecher der Roten Funken (r.) mit Präsident Heinz-Günther Hunold

Nein, sagt Pressereferent Günter Ebert. Die Roten Funken seien nun mal die Nachfolger der Kölner Stadtsoldaten. Der Satzungszweck des aktiven Korps sei die Pflege des traditionellen Brauchtums. „Wir stellen das Soldatenleben des 17., 18. und 19. Jahrhunderts dar und persiflieren es. Das können nur Männer sein, weil es damals keine Soldatinnen gab. Wir können schließlich nicht die Geschichte verfälschen, indem wir 20 Reiterinnen und Soldatinnen in Uniformen stecken. Deshalb sind wir doch nicht frauenfeindlich.“

Kölner Traditionskorps halten an alten Bräuchen fest

Man habe auf allen Ebenen Frauen in den Vereinsstrukturen. Bei den Funkenförderern, bei den Funkefründe. „Da sind 600 Frauen Mitglied. Es gibt bei uns keine Veranstaltungen, die nur für Männer zugänglich sind“, sagt Ebert. Das Traditionskorps sei die einzige Ausnahme, nur die Funken-Uniform den Frauen verwehrt. Und die Teilnahme an den Knubbelabenden. „Das sind Männerstammtische. Da geht es um die Aufzüge, bei denen wir das Brauchtum auf den Bühnen darstellen“, sagt Ebert. „Wir haben in den 25 Jahren, die jetzt dabei bin, noch keine Bewerbung einer Frau gehabt, die bei uns aktives Mitglied werden wollte.“

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Das Mariechen ist Teil des Traditionskorps während seiner Amtszeit.

Ganz ohne Frauen geht es im Korps aber doch nicht. Es gibt zwei Ausnahmen. Das Funkemariechen, das die Marketenderin darstellt, die „die Jungs mit allem versorgt hat, was gebraucht wurde“, darf die Uniform tragen, solange sie diese Funktion ausübt. Und der Oberbürgermeister als oberster Befehlshaber der Roten Funken. Oder eben die Oberbürgermeisterin. Und so trägt Henriette Reker seit 2016 eine Funken-Männeruniform. „Sie wollte das so“, sagt Ebert.

Urteil des Bundesfinanzhofs: Gemeinnützigkeit aberkennen

Für kurzzeitige Aufregung sorgte vor drei Jahren ein Urteil des Bundesfinanzhofs aus dem Jahr 2017, das einer Freimaurerloge die Gemeinnützigkeit entzog, weil Frauen von der Mitgliedschaft ausgeschlossen waren. „Vereine, die ihre Mitglieder ohne sachlich zwingenden Grund nach Geschlecht auswählen, können nicht gemeinnützig sein. Die Steuervorteile für gemeinnützige Vereine entfallen hierdurch“, heißt es in dem Urteil, von dem alle reinen Frauen- und Männervereine betroffen sein könnten, also auch Männerchöre, Schützenbruderschaften und Studentenverbindungen.

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Der damalige Bundesfinanzminister und heutige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schien 2019 im Kampf um den Parteivorsitz fest entschlossen, das Urteil auch umzusetzen. Es gehe ihm dabei nicht um Männerchöre oder die Herrenmannschaften von Fußballvereinen, sagte Scholz damals. Es gehe vielmehr um „eine überschaubare Zahl an Vereinen", die bewusst und ohne Sachgrund keine Frauen zur Mitgliedschaft zuließen.

Scholz erntete einen Sturm der Entrüstung. „Wir werden dem nicht zustimmen, es passt nicht zu NRW und seinen Traditionen“, konterte damals NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). In NRW gebe es Bergmannschöre nur mit Männern, Schützenvereine mit einer jahrhundertealten Tradition und auch reine Frauenorganisationen. „Muss der katholische Frauenbund demnächst noch Männer aufnehmen, damit er gemeinnützig ist?“

Das vielleicht nicht. Aber im Fall der Düsseldorfer Jonges schließt Wolfgang Rolshoven nicht aus, dass das Thema nochmal auf den Tisch kommt. Dann könnte es eng werden. Denn ein sachlicher Grund, warum die Jonges bisher keine Mädches zulassen, ist nicht zu erkennen.

Warum Frauen im 21. Jahrhundert keine Stadtsoldaten darstellen können, wäre auch eine spannende juristische Frage.

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