Abschied von BergbauBottroper Kumpel: „Wir haben unseren Arbeitsplatz weggeraubt"

Lesezeit 4 Minuten
Revier-Steiger Jürgen Jakubeit (2.v.l.) überreicht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das letzte Stück Steinkohle, das in Deutschland gefördert wurde. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (r.) und RAG-Vorstand Peter Schrimpf (l.) begleiten den historischen Moment.

Revier-Steiger Jürgen Jakubeit (2.v.l.) überreicht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das letzte Stück Steinkohle, das in Deutschland gefördert wurde. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (r.) und RAG-Vorstand Peter Schrimpf (l.) begleiten den historischen Moment.

  • Unser Autor berichtet, wieso Jakubeit am Freitag gleichzeitig erleichtert ist, ihn der Abschied aber auch schmerzt.
  • Auch wenn die Politiker vor Ort versuchten, positiv in die Zukunft zu schauen: Der Tag stand auch aus anderen Gründen unter keinem guten Stern.

Bottrop – Die Kohlekrise gab es längst, als Jürgen Jakubeit mit 17 Jahren auf dem Pütt in Oberhausen-Osterfeld seine Ausbildung zum Berg- und Maschinenmann begann. Das war am 1. August 1985. Jetzt ist er 50, Revier-Steiger auf Prosper-Haniel in Bottrop und hält mit einer Mischung aus Stolz und Wehmut den letzten Brocken Steinkohle in seinen Händen, um ihn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu überreichen. Wohl selten hat der Begriff vom schwarzen Gold so gepasst wie in diesem Augenblick. Es ist der emotionalste Moment an einem historischen Tag. Einem Tag des Abschieds und der großen Worte. Der letzte Pütt schließt.

Den eigenen Arbeitsplatz geraubt

„Das ist eine Wertschätzung ohne Ende. Man fühlt sich voll geehrt.“ Jakubeit, den die Kumpel auf Prosper alle nur „Jacke“ nennen, ist erleichtert an diesem traurigen Tag. Erleichtert, weil er das wohl wertvollste Stück Kohle, das er seinem Arbeitsleben jemals gefördert hat, sicher an den Mann gebracht hat. Erleichtert aber auch, dass er mit 50 Jahren jetzt in den Vorruhestand gehen kann und nicht zu jenen Bergleuten zählt, die noch ein Jahr lang die eigene Zeche ausräumen müssen. Weil unter Tage nichts zurückbleiben darf.

„Das wäre zu hart für mich. Ich habe 33 Jahre nur Abbau gemacht. Das war schon schwer für mich, das eigene Revier zurückzubauen, nachdem die Produktion beendet war. Wir haben hier ja eigentlich unseren eigenen Arbeitsplatz weggeraubt.“ Als er das sagt, muss er schlucken. Der Bergbau wird ihm fehlen. Es war sein Leben und vor allem das, was das Ruhrgebiet immer geprägt hat. „Kohle und Stahl. Mir fehlt das schon jetzt.“

Alles zum Thema Frank-Walter Steinmeier

Mehr als ein Stück Kohle

Während der kurzen Zeremonie vor dem Schacht legt Peter Schrimpf, Vorstandschef der Ruhrkohle AG, immer wieder den Arm um Jakubeit. Jenen Kumpel, der in die Geschichte eingehen wird. Schrimpf hat zuvor vom „letzten schwarzen Tag“ gesprochen: „Der Tag, an dem die Steinkohlenförderung in Deutschland endet – endgültig und unwiderruflich.“

Vorsichtig legt Jürgen Jakubeit den Kohlebrocken in die Hände des Bundespräsidenten. „Das ist in der Tat mehr als ein Stück Kohle“, sagt Steinmeier. „Das ist ein Stück Geschichte.“ Er sei sich bewusst, dass es „für Sie, liebe Bergleute, die Sie bis zuletzt dem Berg die Kohle abgerungen haben, ein Tag der Trauer ist“. Weil eben nicht bloß ein Schacht geschlossen werde, sondern eine Epoche zu Ende gehe. „Ohne Kohle wäre die Geschichte dieses Landes anders verlaufen“, so der Bundespräsident.

„Danke Kumpel" auf Fußballtrikots

Ein Tag, der aber auch aus anderen Gründen unter keinem guten Stern steht. Wenige Tage zuvor hat es auf dem Bergwerk in Ibbenbüren einen Arbeitsunfall gegeben, bei dem ein 29-Jähriger ums Leben kam. Es ist der erste tödliche Unfall seit sechs Jahren. Und am Morgen vor der Feierstunde ereilt die Bergleute in Bottrop die Nachricht von der schweren Methangas-Explosion in Tschechien, bei der 13 Kumpel ihr Leben verloren.

Steinmeier blickt nach vorn. Er wünsche „Ihnen, den Bergleuten vor Ort, dass das, was Sie hier gelebt haben, Zusammenhalt und Solidarität, ein Wert und ein Beispiel ist, dass Sie an andere Menschen und hoffentlich nicht nur hier im Ruhrgebiet weitergeben“. Für „Jacke“ ist das der Moment, an dem er sich mal kurz verschämt mit dem Ärmel durchs geschwärzte Gesicht wischen muss.

„Glück auf!“ und „Danke Kumpel!“. Es sind die wohl meistausgesprochenen Worte des Tages im Revier, am Abend werden die Fußballprofis von Borussia Dortmund beim Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach das „Danke Kumpel!“ auf ihren Trikots tragen.

Anlass zur Besinnlichkeit

Bevor die Feierstunde vor rund 500 Ehrengästen beginnt, spricht EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker von einem „bewegenden Tag. Weil hier etwas zu Ende geht, von dem man sich gewünscht hätte, dass es etwas länger andauert“. Juncker steht in der Waschkaue, in der sich tagtäglich Hunderte Bergleute auf ihre Schicht vorbereitet haben. An diesem Ort habe er sehr gemischte Gefühle, „auch weil ich der Sohn eines Stahlarbeiters bin“. Er wolle nicht von einer Zeit der Niedergänge, aber doch von einer Zeit der epochalen Wechsel sprechen. „Kohle und Wohlstand sind unzertrennbar“, sagt Juncker. „Ohne Kohle hätte es keinen Wiederaufbau, kein Wirtschaftswunder, keine soziale Marktwirtschaft, keine Montanunion und kein vereintes Europa gegeben. Das ist schon Anlass zur Besinnlichkeit.“

Prosper-Haniel3

 Der Förderturm der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop - 2018  war hier Schicht im Schacht. 

Bernd Tönjes, Vorstandschef der RAG-Stiftung richtet den Blick nach vorn. Die Stiftung sei bestens darauf vorbereitet, die Finanzierung der sogenannten Ewigkeitsaufgaben sicherzustellen. Man müsse jetzt in die Zukunft blicken. „Es ist der Beginn der Nachbergbauzeit – die nun auch im Ruhrgebiet damit in ganz Deutschland angebrochen ist“, sagt Tönjes.

Montag wird weitergearbeitet

Während beim Festakt das Sinfonieorchester des WDR dem Abschied einen feierlichen Rahmen gibt, stärken sich ein paar Kumpel der letzten Schicht mit Erbsensuppe in der für diesen Freitag zum Pressezentrum umfunktionierten Werkstatt. Am Montag wird hier wieder ganz normal gearbeitet. Das verrät ein Zettel an der Wand. Am Freitag war das nämlich nicht möglich.

Deshalb habe man sich darauf verständigt, „aufgrund der Abschlussveranstaltung zur Schließung des Deutschen Steinkohlebergbaus“, einen Ruhetag zu verlegen. Diese Ruhetagsverlegung sei auch „bereits genehmigt“ worden.

KStA abonnieren